Agilität Organisationsentwicklung

Blüten der Krise

Im Krisenmanagement schlägt die Stunde der hierarchischen Führung. Doch das muss nicht das Ende von agilen Organisationen sein. Mehr Freiraum, bessere Informationsflüsse und mehr Kundennähe können die Qualität von Entscheidungen verbessern. Was davon nach der Krise bleibt: Wir werden sehen.

Alles anders

Dass ein Virus der Auslöser einer globalen Wirtschaftskrise sein würde, hätten vor sechs Monaten wohl die wenigsten Menschen für möglich gehalten. Die apokalyptischen Prognosen, denen man sich gemeinhin ausgesetzt sah, hatten das Unheil doch eher in einer ausufernden Fiskalpolitik und nimmersatten Finanzinvestoren vermutet.

Kein Remake der Finanzkrise

Nun also Covid-19. Wahrlich kein Remake der Finanzkrise in den Jahren 2008/2009, sondern ein handfestes Krisen-Novum. Die kurz- und langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen sind noch nicht ansatzweise abzuschätzen, und auch die Frage nach dem Beginn der Restabilisierung, dem sogenannten Rebound der Wirtschaft ist noch völlig offen.

Ein ziemlich klares Meinungsbild gibt es allerdings dazu, dass nach der Krise nichts mehr sein werde wie davor (eine prominente, aber eher allgemein gehaltene Gesellschaftsprognose findet man z.B. bei Matthias Horx). Und auch eine zweite Beobachtung wird aktuell häufig gemacht und als «krisentypisch» eingeordnet: Veränderungsprozesse, die sich vor dem Ereignis abgezeichnet haben, werden durch Krisen radikal beschleunigt oder, ganz im Gegensatz dazu, mit aller Kraft ausgebremst.

In Staat, Politik und Unternehmen wirkt die Corona-Krise als Beschleuniger von Prozessen, die sich davor angedeutet hatten, aber von Bedenken ausgebremst wurden.

Gerade die Beschleunigung lässt sich dieser Tage sehr gut beobachten. Nicht nur auf staatlicher Ebene, wo zustimmungspflichtige Gesetzentwürfe in parteiübergreifender Zusammenarbeit in atemraubender Geschwindigkeit verabschiedet wurden. Auch in den Organisationen wurden in Windeseile Homeoffice-Regelungen etabliert. Die üblichen Bedenken bezüglich Datenschutz oder der Arbeitsstättenverordnung hört man, wenn überhaupt, sehr leise. Gleichzeitig bedeutet die Krise auch die Kürzung von Budgets und die Aussetzung von Investitionen. Ambivalente Zeiten für Innovationen also.

Doch was sind die sonstigen Auswirkungen der Krise auf Organisationen? Was wird hier beschleunigt oder ausgebremst? Einige Reflexe lassen sich bereits beobachten.

Das Comeback des Managers

Schaut man sich gegenwärtig die Situationen in Organisationen an, gewinnt man den Eindruck, dass es ein Comeback totgeglaubter Wirkungsstrukturen gibt: Keine Rede mehr von dezentralen Entscheidungen, Selbstorganisation und agilen Strukturen – statt dessen setzt man auf schnelle und mitunter drastische Entscheidungen. Die heroischen Manager*innen längst vergangen geglaubter Tage sind gefragt wie nie. Schlimm? Ungewöhnlich? Nein. Ganz im Gegenteil. Schließlich ist es zentrale Funktion von Hierarchie, schnell entscheiden zu können. In Krisenzeiten kann dies ein notwendiger Überlebensmechanismus sein. Deutlich wird dabei auch: Aller Revolutionsrethorik zum Trotz blieben klassisch-hierarchische Mechanismen in den allermeisten Organisationen intakt. In Krisenzeiten werden sie lediglich wieder offener gespielt.

Die heroischen Manager*innen längst vergangen geglaubter Tage sind gefragt wie nie. Schlimm? Ungewöhnlich? Nein. Ganz im Gegenteil.

VUCA war gestern

Wurden die neuen Formen postbürokratischen Organisierens gerade noch mit Verweis auf die VUCA-Welt breitflächig eingefordert, so setzt man in der Krise stattdessen auf Regelmeetings, Steering Commitees und klare Prozesse. Ein typischer Organisationsreflex, der übrigens auch vorher schon galt: Einer unsicheren Umwelt begegnen organisierte Systeme nun mal gerne mit Strukturen.

Doch was bleibt angesichts dieser beiden Reflexe von den angestossenen Veränderungsprozessen hin zu höherer Dezentralität, zu mehr Kundennähe und zu postbürokratischeren Formen der Zusammenarbeit? Beweisen sich diese Formen des Organisierens als „nicht krisensicher“? Nicht unbedingt.

Die Krise offenbart, wer die Hausaufgaben gemacht hat

Organisationen kommen regelmäßig in Situtationen, die hierarchische Entscheidungen einfordern. Selbst in hoch agilen und marktgerichteten Organisationsformen wie FLEAT werden immer wieder solche Entscheidungen fällig – auch ohne Krise. Doch welchen Vorteil haben Organisationen, die sich bereits auf den Weg gemacht haben?

In agilen Organisationen ist die Qualität von Entscheidungen anders. Sie haben einen Vorteil: sie müssen nicht nur auf Hierarchie vertrauen, sondern können Führungsimpulse auch Bottom Up aufnehmen. 

Wir meinen, dass in solchen agilen Organisationen die Qualität der Entscheidung eine andere ist. In Organisationen wird, das ist eine Binsenweisheit der Organisationsforschung, immer mit begrenzter Rationalität entschieden – auch an der Spitze. Jedoch kann diese Spitze mehr oder weniger gut informiert sein. Und da haben Organisationen, die gutes Entscheiden bereits vor der Krise erprobt haben, einen strategischen Vorteil: Denn sie müssen nicht nur auf Hierarchie vertrauen, sondern können Führungsimpulse auch Bottom Up aufnehmen, generieren Informationen aus dem Herzen der Organisation oder direkt von den Kunden.

Noch wissen wir nicht, ob diese Beobachtungen sich stabilisieren, ob Althergebrachtes oder ganz neue Ideen Unternehmen aus der Krise führen. Und wir können auch kaum antizipieren, wie es danach weiter geht. Aber wir sind neugierig

Das nächste Normal

Was wird nach der Krise passieren? Was sind die grossen Lernchancen, die sich derzeit ergeben – und wie werden sie genutzt? Welche Knöpfe gilt es jetzt in dem Organisationen zu drücken, um vom „Nächsten Normal“ nach der Krise zu profitieren? Werden tatsächlich die Organisationen gestärkt aus der Krise hervorgehen, die sich an neue Organisationsstrukturen gewagt hatten? Werden die Krisenmanager das Ruder wieder an sich reißen und die zarten Pflänzchen der Re-Organisation mit dem Verweis auf ihre heldenhaften Taten in der Krise vertrocknen lassen?

Wir können es nicht voraussagen. Aber es braucht einen Diskurs über das, was aktuell passiert und was daraus entstehen könnte. Denn nur so können wir die Zukunft mitgestalten und Einfluss auf das nächste Normal nehmen.