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"Transformation ist eine zielgerichtete Bewegung"

Interview Mitten in der Pandemie hat Intersport fast alles umgekrempelt, von den Prozessen über die Warenwirtschaft bis zum Online-Shop. Und das als Genossenschaft, in der die Händler ein gewichtiges Wort mitzureden haben. CFO Thomas Storck erklärt, wo die Herausforderungen lagen. Und worauf es bei einer solchen Transformation ankommt.

Foto: picture alliance/dpa | Bernd Weißbrod
Foto: picture alliance/dpa | Bernd Weißbrod

Transformation sollte kein Zufall sein

Herr Storck bevor wir in die Details der Transformation bei Intersport gehen – was verstehen Sie unter Transformation, das mittlerweile ein Begriff für alles und jedes geworden ist?

Gut, dass diese Frage kommt, denn heute wird vieles als Transformation bezeichnet. Für mich bedeutet eine Transformation, wie wir sie bei Intersport gemacht haben, nicht einfach nur, von einem Zustand A nach Zustand B zu kommen. Das wäre nur eine Reaktion auf Entwicklungen und zum großen Teil auch Zufall. Ich verstehe eine Transformation als eine zielgerichtete Bewegung auf einem Weg hin zu einem Zustand, den man zuvor in der Zielsetzung und der Vision beschrieben hat. Das macht für mich eine Transformation aus. Dazu kommt: Transformation ist nie abgeschlossen, davon bin ich überzeugt. Wenn man von A kommend den Punkt B erreicht hat, muss man sich schon wieder auf den Schritt vorbereiten. Ausruhen ist unmöglich. Insofern ist eine Transformation ein Kontinuum, das in der Vision fest verankert sein muss.

Man muss die Strategie in klare Ziele übersetzen. Das sind zum Teil auch vermeintlich ganz triviale Ziele wie ausreichend Cashflow, um den Umbau zu finanzieren. Daran anschließend muss man die Frage beantworten, woher das Geld kommen soll und wie ausfallsicher es ist.

Am Anfang standen bei Intersport eine Strategie und ein Zielbild?

Strategie reicht aus meiner Sicht nicht. Die hatten wir, und trotzdem wären wir beinahe aus der Kurve geflogen vor ein paar Jahren. Man muss die Strategie in klare Ziele übersetzen. Das sind zum Teil auch vermeintlich ganz triviale Ziele wie ausreichend Cashflow, um den Umbau zu finanzieren. Daran anschließend muss man die Frage beantworten, woher das Geld kommen soll und wie ausfallsicher es ist. Also das Einmaleins der Unternehmensführung, das heute, ehrlich gesagt, manchmal fehlt. Eine Strategie haben alle Unternehmen, aber erfolgsentscheidend ist, an Zielen zu arbeiten, die Strategie auf diese Ziele hin konsequent umzusetzen – mit der richtigen Balance zwischen Risiko und finanziellen Möglichkeiten.

Was war der konkrete Anlass bei Intersport für die Transformation? Vor welchen konkreten Aufgaben stand das Unternehmen?

Der Status Quo war, dass ein Tochterunternehmen, das früher erfolgreich war, u.a. wegen einer nicht optimalen Expansionspolitik in eine massive Schieflage geraten war,. Am Ende stand eine Planinsolvenz der Tochter, die die gesamte Genossenschaft in Mitleidenschaft zog. Mit einem Mal waren die finanziellen Spielräume sehr eng. Ich habe am 1. April 2020 als CFO bei Intersport begonnen, und eine Woche später war das ganze Land im Lockdown. Das Geld war knapp, die Geschäfte geschlossen. Anstatt über Strategie zu reden war handeln angesagt. Diese schwierige Lage war der Auslöser für unseren Fundamentalumbau.

Der erste Schritt war, die Strategie noch einmal zu überprüfen und die Ziele so zu priorisieren dass wir uns auf das konzentrieren, was uns wirklich nach vorne bringt. Der zweite Schritt war, die finanzielle Situation der Genossenschaft schnell zu verbessern, denn ohne Geld ist man handlungsunfähig. Parallel dazu haben wir die Verantwortlichkeiten geklärt, denn da war vieles unklar. Es hat erst einmal wehgetan.

Transformation hat viele Dimensionen – strategisch, organisational, technologisch, in Bezug auf Prozesse, aber auch kulturell. Was stand bei Ihnen im Vordergrund?

Offen gesagt: Alles. Meine Vorstandskollegen waren ein Jahr vor mir ins Unternehmen gekommen, der heutige CEO Alexander von Preen war schon länger als Berater für Intersport tätig gewesen. Wir haben in unserer Analyse festgestellt, dass wir kein resilientes Businessmodell hatten. Deswegen war es wichtig, die Vision noch einmal zu schärfen, was wir parallel zu allen anderen notwendigen Dingen gemacht haben. Wir haben 2020/21 herausgearbeitet, wofür Intersport steht, kurz: Wir haben den Purpose definiert. Dieser hat dem Unternehmen gefehlt, die Antwort auf die Frage aller Beschäftigten „Wofür gehe ich jeden Tag zur Arbeit bei Intersport? Gibt es einen höheren Sinnzweck als das Gehalt am Ende jedes Monats?“

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Auch waren die Zielparameter nicht klar. Ist es Umsatz, ist es Ertrag oder Cash? Wie sieht das gewünschte Verhältnis zwischen Servicegrad, Umsatz und Ertrag aus? All das war nicht wirklich definiert, und das haben wir dann so schnell wie möglich erarbeitet. Wir sind, wenn man so will, von der strategischen Ebene in die Zielebene gekommen. Und dort war die entscheidende Aufgabe eine Antwort auf die Frage zu finden, was unsere Vision, der führende Marktplatz für Sport in Deutschland zu werden, tatsächlich bedeutet. Denn das bedeutet natürlich, dass wir alle Prozesse anschauen mussten, die Warenwirtschaft, die Logistik, das Pricing. Wir haben also mitten in Corona diese Prozessanalyse gemacht, vom Lieferanten bis zum Händler. Und dann strategische Investitionen vorgenommen, die uns dem Ziel näherbringen. Alles andere haben wir hinterfragt. Kurz gesagt, Intersport hat die Corona-Phase für eine umfassende Digitalisierung genutzt: unter anderem eine B2C-Händlerplattform aufgesetzt und damit alle Händler onlinehandelfähig gemacht, damit das nicht jeder selber für sich machen musste. So waren sie im Lockdown handlungsfähig.

Totalumbau von Prozessen, Warenwirtschaft, Online-Shop

Zudem haben wir im Lockdown unser B2B Online-Lager live genommen. Diese wensentliche Entscheidung hat und dann in der zweiten Kriese sehr geholfen denn wir konnten so den Zusammenbruch der Internationalen Supply Chain überstehen und waren extrem schnell und effizient lieferfähig, als die Wettbewerber auf die Waren warten mussten. Wir sind schneller geworden als andere weil wir innerhalb kurzer Zeit Kernporzesse komplett digitalisiert und automatisiert haben. Heute sind wir in der Lage, für jeden Lagerartikel den genauen Standort zu benennen, egal wo auf der Welt. Jeder Händler kann zukünftig seinen Kunden genau sagen, wann der gewünschte Artikel im Laden sein wird. Wir haben mittlerweile alle Einkaufssysteme und die Bestellsysteme für die Händler digitalisiert, die im Kern auch Online-Shops sind, die Warenwirtschaft neu entwickelt, die Händler mobilfähig gemacht und den größten Sport- Kundenclub in Deutschland etabliert. Vorher hatte nahezu jeder Händler seinen eigenen Kundenclub, es war ein Wildwuchs. Jetzt gibt es einen, der zentral verwaltet wird, Kunden können im Laden und online Bonuspunkte sammeln. Und intern haben wir das Bestandsmanagement neu aufgesetzt und ebenfalls digitalisiert. Und ja, wir sind damit noch nicht am Ende.

Bei Intersport nutzen wir keine Software-Monolithen, sondern wir bauen Software, wie das Internet gebaut ist. Wir orientieren uns diesbezüglich an Unternehmen wie Google oder Amazon.

An Veränderungen des Warenwirtschaftssystems sind schon ganze Unternehmen gescheitert. Wie haben Sie das unter Druck geschafft?

Ich habe drei Jahre im Silicon Valley gearbeitet, wo ich viel gelernt habe, wie man IT macht. Außerdem habe ich bei meinen letzten Arbeitgebern bereits viel Erfahrung bei der Einführung von agilen Arbeitsmethoden und agiler Software gesammelt und erfolgreich in viele Länder ausgerollt. Bei Intersport nutzen wir keine Software-Monolithen, sondern wir bauen Software, wie das Internet gebaut ist. Unsere IT Leiterin und ich geben die Softwarearchitektur vor. Entlang dieser kann dann parallel für jede Vertikale eines Prozesses die Software entwickelt werden. Deswegen konnten wir an so vielen Projekte gleichzeitig arbeiten. Wir haben somit auch keine Schnittstellen-Problematik. Wir sind damit sehr flexibel. Wir orientieren uns diesbezüglich an Unternehmen wie Google oder Amazon, so machen es mittlerweile viele deutsche Firmen.

Dazu kommt dann die von Ihnen erwähnte kulturelle Dimension und die Art und Weise, wie wir im Unternehmen zusammenarbeiten. Meine Vorstandskollegen und ich haben eine gemeinsame Führungsphilosophie, orientiert an der agilen Softwareproduktion. Dort gibt es Product Manager, Scrum Master etc., die bei den Entwicklern sitzen und sehr eng mit ihnen zusammenarbeiten. Alle haben enge Kontakte zu den Anforderungsgebern. Wir brauchen keine Koryphäe an der Spitze und dann eine zweite und eine dritte Schicht an Entscheidungsträgern, die Verantwortung und Entscheidungen hin und her schieben, bis die Anforderung irgendwann beim Entwickler landet, der dann gar nicht mehr weiß, worum es eigentlich geht.

Zugegeben, mit dem Thema haben wir noch nicht abgeschlossen, es ist nicht einfach, diese Arbeits- und Denkweise in allen Bereichen einzuführen. Wir sind aber dabei, die Kultur komplett zu drehen, mit allen Herausforderungen, die dabei aus der langen Historie des Unternehmens kommen, das ja eine Genossenschaft ist. Aber wir merken, dass wir über die gesamten Projekte, die ich genannt habe, viele Mitarbeiter infizieren konnten. Wir sind auch direkt an die Mitarbeiter und die unteren Führungskräfte herangetreten und haben sie für unsere Ideen gewonnen, sodass die Ressortleiter und auch wir im Vorstand gemerkt haben, dass auch sie etwas verändern müssen. Denn von Dauer sind solche Veränderungen nur wenn Sie die kulturelle Transformation geschafft haben.

Wir brauchen keine Koryphäe an der Spitze und dann eine zweite und eine dritte Schicht an Entscheidungsträgern, die Verantwortung und Entscheidungen hin und her schieben, bis die Anforderung irgendwann beim Entwickler landet, der dann gar nicht mehr weiß, worum es eigentlich geht.

Ist diese kulturelle Transformation das dickste Brett, das man bohren muss?

Das kommt darauf an. In einem kleinen Unternehmen reicht es oft, dass eine Person davon überzeugt ist, dass agile Arbeitsweisen die Organisation dauerhaft voranbringen, und die anderen ziehen dann mit. In großen Organisationen ist es entscheidend, dass Geschäftsführung oder Vorstand voll hinter der Veränderung stehen. Wenn die Führungsmannschaft sich uneinig oder unsicher ist, wird es sehr schwer, die Belegschaft für die Transformation zu gewinnen. Es ist wie auf einem Segelschiff, da muss der Steuermann Steuermann sein, der Kapitän Kapitän und der Smutje Smutje. Und alle müssen wirklich zusammenarbeiten. Die Mitarbeitenden müssen wahrnehmen, dass die Führung die Veränderung will und unterstützt. Das läuft sicherlich nicht immer optimal, aber in Summe haben wir es geschafft, eine Aufbruchstimmung zu entfachen.

Continous Learning lautet die Herausforderung

In einem Interview hat der CEO Alexander von Preen gesagt: "Menschen machen Unternehmen erfolgreich." Welche Rolle spielt Learning and Development bei der Transformation von Intersport?

Wir haben die besondere Herausforderung, dass wir eine Genossenschaft sind, dass also die Händler Eigentümer des Unternehmens sind. Wir haben 950 Händler, die sehr erfolgreich sind. Wenn aber nun jede Kauffrau oder Kaufmann in allen Punkten mitdiskutiert und entscheidet, wird es kompliziert. Wir haben deswegen sogenannte Regionalbeiräte ins Leben gerufen. Die werden von den Händlern gewählt und sind in Fachausschüssen organisiert. Zum Beispiel im Ausschuss für E-Commerce, in dem die zehn größten Händler arbeiten und drei kleine sie ergänzen, die online besonders erfolgreich sind. Im Ausschuss für den Einkauf erhalten unsere Einkäufer Feedback aus der Fläche. So fließt das Wissen der Händler über Kunden und Märkte in die Entscheidungsfindung ein.

Insofern spreche ich gern von einem Continuous Learning, bei dem die Leute vor Ort ihr Wissen in die Organisation einbringen. Die allgemeine Antwort auf Ihre Frage lautet: Weiterbildung und Weiterentwicklung spielen bei Intersport eine herausgehobene Rolle. Wir haben mit grundsätzlichen Schulungen begonnen, zum Thema Agilität. Aber natürlich entwickeln wir die Menschen auch in ihren fachlichen Fragen weiter. Wir haben, wie jedes Unternehmen, einen Seminarkatalog und ein spezielles Programm für das mittlere Führungssegment. Gleichzeitig bieten wir für die Mitarbeitenden unserer Händler E-Learning-Programme, in denen wir neue Sortimente vorstellen, genauso wie E-Learning rund um alle IT-Fragen. Unser Ziel ist exzellenter Service mit hervorragender Beratung, das unterscheidet uns von Discountern. Deswegen ist Weiterbildung für uns elementar.