Business Transformation Innovation

"Die duale Transformation schaffen"

Interview Unternehmen müssen gleichzeitig ihr Bestandsgeschäft permanent optimieren und neue Märkte, Geschäftsmodelle und Produkte entwickeln. Das stelle gerade den Mittelstand vor große Herausforderungen, denn dort gebe es beschränkte Managementkapazitäten, meint Prof. Henning Werner von der SRH Heidelberg. Umso wichtiger seien neue Organisationsmodelle, die das Management entlasteten.

So viele Transformationen

Herr Prof. Werner, es gibt die digitale Transformation, die nachhaltige Transformation, die Twin Transformation, die große Transformation, die Irgendwas-Transformation. Um welche Transformation wird es auf Ihrer Transformationskonferenz im Juni gehen?

Wir sprechen von der dualen Transformation. Duale Transformation deswegen, weil es zum einen darum geht, das Kerngeschäft, das bei vielen Unternehmen unter Druck steht, auf Profitabilität zu trimmen. Unter Druck steht das Kerngeschäft, weil Materialkosten gestiegen sind, die Energiepreise gestiegen sind, die Kapitalkosten gestiegen sind, die Personalkosten gestiegen sind. Und weil viele Kunden angesichts der allgemeinen Wirtschaftslage sich bei Kaufentscheidungen zurückhalten. Deshalb lautet ein wichtiges Ziel, die Profitabilität des Kerngeschäfts zu sichern, besser noch, sie zu maximieren. Das verlangt eine Reihe von Maßnahmen. Das ist der erste Schritt. Es geht darum, Transparenz zu schaffen und die Frage zu beantworten: Mit welchen Produkten und Services verdient das Unternehmen überhaupt noch Geld? Gegebenenfalls muss man die Lieferkette diversifizieren, um sich breiter aufzustellen und Abhängigkeiten zu verringern. Unternehmen müssen Liquiditätsmanagement und Liquiditätsoptimierung betreiben, beispielsweise durch Working Capital Management. Denn Unternehmen brauchen ein profitables Kerngeschäft, damit die den zweiten Schritt machen können, nämlich die Transformation in die Zukunft zu finanzieren.

Transformationskonferenz 2024
Henning Werner ist Professor an der SRH Heidelberg. Er ist Veranstalter der Transformationskonferenz 2024 am 21. Juni in Heidelberg. 
Infos und Anmeldung zur Transformationskonferenz 2024

Was meinen Sie damit?

Bei dem zweiten Schritt geht es darum, neue zukunftsfähige Produkte oder Geschäftsfelder zu identifizieren und zu entwickeln. Zum Beispiel die Frage zu beantworten, wie ein Unternehmen seine Geschäftsmodelle digitalisieren kann, indem es etwa digitale Produkte an den Markt bringt. Ein weiteres wichtiges Thema ist Nachhaltigkeit. Unternehmen müssen definieren, was Nachhaltigkeit für sie und ihre Geschäftsmodelle bedeutet und wie sie sie gegebenenfalls nachhaltig im Sinne von ESG (Environment, Social, Governance) gestalten. Angesichts dieser Aufgaben sprechen wir eben von der dualen Transformation, einem grundlegenden Wandel sowohl im Bestandsgeschäft als auch bei Zukunftsinvestitionen. Auf der einen Seite Performance Improvement, auf der anderen Seite Zukunftsfähigkeit sicherstellen.

Im Kern das, was wir seit Jahren unter dem Begriff Ambidextrie diskutieren.

Ein gutes Beispiel ist in meinen Augen Lego. Dort hat das Management zum einen im Kerngeschäft das Produktsortiment gestrafft und auf wirklich marktfähige und umsatzstarke Themenwelten fokussiert. Gleichzeitig hat Lego in den zurückliegenden Jahren sehr viele digitale Produkte entwickelt. Lego hat sich vom reinen Bausteinhersteller zu einem Hersteller von digitalen Lern- und Spielewelten verändert – mit Filmen, Videospielen und einem Lego Metaverse, an dem sie gerade arbeiten. Und auch in puncto Nachhaltigkeit haben sie sehr viel getan. Ab dem Jahr 2025 wird keine Plastikverpackungen mehr geben, sondern nur noch Verpackungen aus nachhaltigen Materialien. Das gesamte Bausteingeschäft soll zudem ab 2030 ausschließlich aus nachhaltigen Materialien gefertigt werden. Für mich ist das ein Beispiel dafür, wie ein Unternehmen einerseits sein Bestandsgeschäft optimiert, und andererseits in zukunftsfähige neue Produkte investiert, die den aktuellen und kommenden Herausforderungen gewachsen sind.

Die duale Transformation bedeutet, dass Unternehmen mit beschränkten Managementkapazitäten gleichzeitig Transparenz im Kerngeschäft schaffen und sich im Operativen permanent verbessern müssen. Das kostet Kraft.

Wo liegen die größten Schwierigkeiten bei dieser dualen Transformation?

Sowohl die dauerhafte Profitabilität des Bestandsgeschäfts als auch die Suche nach neuen, zukunftsfähigen Produkten und Geschäftsmodellen sind jeweils große Aufgaben, die Zeit und Ressourcen beanspruchen. Unser Fokus liegt auf dem Mittelstand, und im Mittelstand sehen wir in der Regel beschränkte Managementkapazitäten, die noch dazu großteils auf das operative Geschäft ausgerichtet sind. Die duale Transformation bedeutet, dass Unternehmen mit beschränkten Managementkapazitäten gleichzeitig Transparenz im Kerngeschäft schaffen und sich im Operativen permanent verbessern müssen. Das kostet Kraft. Und gleichzeitig sollen sie auch noch Geschäftsmodellinnovationen betreiben und neue Produkte entwickeln. Das ist eine Frage der Kapazitäten, aber auch eine Frage der Kompetenzen. In vielen Unternehmen können sie diese Fragen heute nicht beantworten. Unternehmen müssen sicherstellen, dass sie die nötigen Kompetenzen im Haus haben, und damit meine ich Manager:innen, die sich systematisch mit den genannten Themen auseinandersetzen.

Transformation: Eine Frage der Kompetenzen – und der Kapazitäten

Geoffrey Moore hat das in seinem Buch „Zone to win“ analysiert. Er kommt zum Schluss, dass es in einem Unternehmen eine Ablauforganisation gibt, die das Bestandsgeschäft managt, und eine Aufbauorganisation, die die Innovationen treibt. Er sagt, beide Welten hätten nichts miteinander zu tun und sollten sich möglichst nicht ins Gehege kommen. Können Mittelständler komplette Innovationsabteilungen mit neuen Leuten und Prozessen im Haus aufbauen und zugleich Performance Improvement betreiben?

Ich denke, dass Unternehmen, je nach Problem, das behandelt werden muss, ein unterschiedliches Organisationsdesign benötigen. Wenn es darum geht, komplizierte Aufgaben zu lösen, wofür es im Unternehmen jedoch bereits das nötige Wissen gibt, können die Ablauforganisation die Aufgaben gut bewältigen. Sollten sie auch, denn das ist ja effizient. Wenn es aber um völlig neue, komplexe Probleme geht, wo es keine eindeutigen Wirkungsbeziehungen oder Wirkungszusammenhänge gibt und kein vorhandenes Wissen, dann braucht es in meinen Augen eine neue Form der Organisation. Eine Organisation, die die Kreativität der Menschen fördert, in der Menschen Verantwortung übernehmen und bereit sind, Dinge auszuprobieren, ohne zu wissen, ob und wie sie gelingen. Hier sind crossfunktional zusammengesetzte Teams nötig, die ein spezifisches, völlig neues Kundenproblem lösen wollen. Ob ein Unternehmen zwei unterschiedliche Organisationen nebeneinander arbeiten lassen kann, ob es die Aufbauorganisation mit Bestandsmitarbeitenden staffen kann oder ob es vielleicht erfolgreicher ist, das strikt zu trennen, das hängt meines Erachtens von der Größe des Unternehmens ab.

Es braucht in meinen Augen eine neue Form der Organisation. Eine Organisation, die die Kreativität der Menschen fördert, in der Menschen Verantwortung übernehmen und bereit sind, Dinge auszuprobieren, ohne zu wissen, ob und wie sie gelingen.

Was bedeutet die von Ihnen skizzierte duale Transformation für die Unternehmensführung gerade im Mittelstand?

Genau das ist die entscheidende Frage: Was braucht es, um solch eine Transformation erfolgreich zu gestalten? Ich möchte vier Punkte anführen. Ganz grundlegend benötigt das Management erstens eine gemeinsame Vision, den Nordstern, an dem sich alle orientieren. Man braucht ein klares Bild, wo es hingehen soll. Und dieses Bild ist im besten Fall emotionalisierend, damit es die Mitarbeitenden mitreißt. Die Vision muss klar und einfach formuliert sein, damit alle im Unternehmen sie verstehen und nachvollziehen können, denn die Vision setzt die Leitplanken für den Weg in die Zukunft.

Der zweite Punkt ist ganz wichtig: Das Management braucht den Sense of Urgency. Die Unternehmensführung muss die Veränderungsnotwendigkeit erkennen, denn nur dann kann sie die Mitarbeitenden für die Veränderungen gewinnen. Friedrich Nietzsche hat einmal geschrieben: „Wer ein Warum hat, dem ist kein Wie zu schwer." Genau darum geht es – das Warum klarmachen. Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation.

Der dritte Punkt ist, dass auch erfahrene C-Level-Manager:innen, die seit 30 Jahren erfolgreich arbeiten, sich klar sein müssen darüber, dass sich die Rahmenbedingungen für ihr Business im Moment radikal wandeln. Es ist mitnichten sicher, dass das, was die vergangenen 10, 15 Jahre funktioniert hat, auch morgen noch funktioniert. Wir können nicht einfach an dem festhalten, was uns bislang erfolgreich gemacht hat. Das kann eben auch bedeuten, dass etablierte Strukturen, Organigramme und Führungsstille nicht mehr weiterhelfen und angepasst werden müssen, damit Mitarbeitende wirksam arbeiten können. Unternehmen benötigen ein neues Organisationsdesign, um die Herausforderungen in der VUCA-Welt zu lösen. Ziel muss sein, Silos und Hierarchien abzubauen, Entscheidungs- und Fachkompetenzen zusammenzuführen, um so die Eigeninitiative und das unternehmerische Handeln der Mitarbeiter zu stärken.

Das Management braucht den Sense of Urgency. Die Unternehmensführung muss die Veränderungsnotwendigkeit erkennen, denn nur dann kann sie die Mitarbeitenden für die Veränderungen gewinnen.

Viertens brauchen wir Führung, die Vertrauen schafft. Nur: Vertrauen kann ich nicht verordnen. Das heißt, Unternehmen brauchen Führungskräfte, die konsistent sind in ihren Aussagen und in ihrem Handeln. Das ist für mich der Schlüssel für Vertrauen und für Innovation. Denn wer sich permanent intern absichern muss, der wagt keine Experimente, der geht keine unbekannten Wege. Und eine Innovation ist immer eine Art von Experiment.

 

Zur Person:

Henning Werner ist Professor für Transformation, Restrukturierung & Sanierung an der SRH Hochschule Heidelberg. Er ist Leiter des IfUS-Instituts für Unternehmenssanierung.