Innovation

Vom Barock lernen: Innovation als theatralische Projektemacherei

Kommentar Forschung sowie technischer und wissenschaftlicher Fortschritt treffen heute zunehmend auf Skepsis und offene Ablehnung. Das liege auch an der Art und Weise, wie sich Wissenschaft und Innovation heute präsentieren, meint Gunnar Sohn. Und findet im barocken Spektakel ein Vorbild für die Innovationspolitik heute.

Foto: Cyrus Crossan auf Unsplash.com
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Innovation: Es geht auch ums Spektakel

In der wissenschaftlichen Innovation steht oft nicht nur der reine Erkenntnisgewinn im Fokus, sondern auch das spektakuläre, fast theatrale Element der Präsentation von Wissen. Zumindest in früheren Zeiten. Dieser Aspekt, tief verwurzelt in der barocken Ära, bildet den Kern der Überlegungen von Professorin Anita Traninger in ihrer Vorlesung an der FU-Berlin, die sich an Jan Lazardzigs Studien zu den theatralischen Praktiken des 17. Jahrhunderts anlehnt. Lazardzigs „Masque der Possibilität“ liefert eine fundierte Analyse des Zusammenhangs zwischen dem Experimentellen und dem Spektakulären in der frühen modernen Wissenschaft.

In einer Ära, in der die Wissenschaft zunehmend unter Druck steht, ihre Relevanz und ihren Nutzen zu beweisen, könnte ein Wiederaufleben der Theatralität und des Experimentellen möglicherweise neue Wege eröffnen, um komplexe wissenschaftliche Ideen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.

Die barocke Zeit war eine Epoche, in der sich die Wissenschaften nicht nur konzeptionell, sondern auch institutionell neu formierten. Dieser Umbruch war geprägt von einer intensiven Projektemacherei, die wissenschaftliche Unternehmungen mit einer starken Inszenierungskomponente verband. Der Projektemacher dieser Zeit agierte als ein Magus oder Alchemist, dessen Auftritte oft den Charakter von öffentlichen Spektakeln annahmen. Diese Form der Wissenschaftspräsentation ging Hand in Hand mit einer gesteigerten Theatralisierung des Wissens, bei der die Darstellung selbst zum integralen Bestandteil der wissenschaftlichen Praxis wurde.

Heute regiert Nüchternheit statt die Aura des Wunderbaren

Diese spektakuläre Form, die im 17. Jahrhundert als neu und innovativ galt, steht im deutlichen Kontrast zu den heutigen, eher nüchternen und strukturierten wissenschaftlichen Ansätzen. Lazardzigs zeigt, wie die barocken Wissenschaftler ihre Projekte nicht nur als pragmatische Lösungen, sondern als grandiose Vorhaben inszenierten, die häufig mit einer Aura des Wunderbaren umgeben waren. Diese Projekte waren nicht nur wissenschaftliche Unternehmungen, sondern auch kulturelle Ereignisse, die das Publikum in Erstaunen versetzen und zur Reflexion über das Potenzial sowie die Reichweite menschlicher Erkenntnis anregen sollten.

Traninger setzt die barocken Ideen in Beziehung zur gegenwärtigen wissenschaftlichen Landschaft. Sie betrachtet, wie moderne Wissenschaften durch eine Rückbesinnung auf diese historischen Formen der Wissenspräsentation profitieren können, insbesondere in einer Zeit, in der interdisziplinäre Projekte wieder an Bedeutung gewinnen.

Gründen wir eine Spektakel-Akademie für verrückte Ideen

In einer Ära, in der die Wissenschaft zunehmend unter Druck steht, ihre Relevanz und ihren Nutzen zu beweisen, könnte ein Wiederaufleben der Theatralität und des Experimentellen möglicherweise neue Wege eröffnen, um komplexe wissenschaftliche Ideen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Statt Steuergelder in  lahme Transfermaschinerien zu pumpen, sollte sich die staatliche Innovationspolitik an dem schillernden Entwurf einer Spektakel-Akademie von Gottfried Wilhelm Leibniz ein Beispiel nehmen.

„Engagiert werden sollten für diese  kunst- und wunderkammerhafte Einrichtung Maler, Bildhauer, Zimmerleute, Uhrenmacher und ferner Mathematiker, Ingenieure, Architekten, Gaukler, Scharlatane, Musiker, Dichter, Buchhändler, Schriftsetzer und Stecher. Die in größter Dichte aufgelisteten Repräsentationen  und Einrichtungen, die in dieser Akademie zusammengefasst werden sollten, umfassen Komödien, Naumachien, Rossballette, Feuerwerke,  Laterna magica-Vorführungen, Lotterien und Glücksspiele, anatomische Demonstrationen, Automaten- und Maschinen-Aufführungen wie auch öffentliche Experimente, Kunst- und Raritätenkabinette, außerdem  ein Registrierbüro für Erfindungen, Galerien, Sportstätten und einen  Heilkräutergarten“, so Lazardzig (nachzulesen in: Schramm, Helmar; Schwarte, Ludger; Lazardzig, Jan. Spektakuläre Experimente: Praktiken der Evidenzproduktion im 17. Jahrhundert (Theatrum Scientiarum 3), De Gruyter Verlag).  

In Leibniz manifestiert sich das Barockzeitalter als eine Ära, in der Wissenschaft nicht isoliert betrachtet wurde, sondern als integraler Bestandteil eines umfassenderen kulturellen und gesellschaftlichen Unterfangens. Davon ist die Innovationspolitik in Bund und Ländern meilenweit entfernt.

Leibniz verkörpert auf exemplarische Weise die Verschmelzung von theoretischem Forschungsdrang und praktischem Erfindungsgeist, die für die Barockzeit charakteristisch ist. Als Philosoph, Mathematiker, Jurist, und Diplomat hinterließ er ein erstaunlich breites und tiefes wissenschaftliches Erbe, das bis heute in zahlreichen Disziplinen nachwirkt. Sein Werk illustriert die komplexen Verflechtungen von Wissenschaft, Technik und Gesellschaft seiner Zeit und bietet damit einen aufschlussreichen Blick auf die barocke Projektemacherei.

Technologische und soziale Innovationen

Leibniz interessierte sich leidenschaftlich für die praktische Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Seine Arbeiten an Rechenmaschinen, die zu den ersten mechanischen Rechnern zählen, zeugen von seinem Bestreben, theoretisches Wissen für praktische Zwecke nutzbar zu machen. Darüber hinaus beschäftigte er sich mit Projekten zur Verbesserung des Bergbaus, zur Entwicklung von Windmühlen und sogar zur Reform des Rechtssystems. Diese Projekte waren nicht nur technologische Spielereien, sondern zielten darauf ab, gesellschaftliche Probleme anzugehen und zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen beizutragen. In Leibniz manifestiert sich das Barockzeitalter als eine Ära, in der Wissenschaft nicht isoliert betrachtet wurde, sondern als integraler Bestandteil eines umfassenderen kulturellen und gesellschaftlichen Unterfangens. Davon ist die Innovationspolitik in Bund und Ländern meilenweit entfernt.