Business Transformation Innovation

Superhelden der Innovation

Kommentar Der Schlüssel zu Innovation sei Zusammenarbeit, sagt der Wirtschaftsphilosoph Hans Rusinek. Geniekult schade, weil er die Kooperationsfähigkeit beeinträchtige. Zeit, sich intensiv mit diesem Gedanken auseinanderzusetzen, meint Gunnar Sohn in seiner aktuellen Kolumne.

Innovation braucht Zeit

Hans Rusinek beschäftigt sich in seiner Forschungsarbeit intensiv mit den Mechanismen der Innovation und die Bedeutung von Zeit in der modernen Arbeitswelt. Seine Ansichten, geprägt durch seine Rolle als Praxistheoretiker und seine akademische Verwurzelung in der Philosophie und Ökonomie, zielen darauf ab, gängige Arbeitsroutinen zu hinterfragen und neue Denkansätze für die Herausforderungen der Wissensökonomie zu liefern.

Rusinek hebt im Zukunft-Personal-Nachgefragt-Talk hervor, dass echte Innovationen oft mehr Zeit beanspruchen, als es der erste Blick vermuten lässt. Start-ups, so erklärt er, erscheinen zwar oft als Inbegriff der Schnelligkeit und Agilität, doch ihr wahrer Vorteil liegt nicht in der Hektik, sondern in ihrer Fähigkeit, sich fokussiert einer Sache zu widmen. Finanziert durch Venture Capital, können sich Start-ups den Luxus erlauben, sich von unmittelbarem Marktdruck zu distanzieren und sich auf langfristige Ziele zu konzentrieren.

Start-ups können befreit vom Marktdruck agieren

Diese „Superheldenkraft“ der Start-ups steht im Kontrast zu etablierten Unternehmen, die unter dem Druck stehen, schnell auf Marktveränderungen zu reagieren und dabei oft kurzfristige Entscheidungen treffen, die langfristig nicht nachhaltig sind. „Ich habe mich immer gefragt, wie es sein konnte, dass manche Durchbrüche an verschiedenen Orten fast gleichzeitig erfunden wurden: das Telefon, das Periodensystem, das Automobil“, schreibt Rusinek in seinem Buch „Work-Suvive-Balance“.

Antworten fand er im Opus von  Lisa Herzog, „Die Rettung der Arbeit“.  „Arbeit läuft über Jahrzehnte ruhig und kollaborativ ab, in Konferenzen, in Fachgruppen, Forschungsabteilungen, in der Lektüre der gleichen Studien, bis dann die Grenze zu einem neuen Durchbruch erreicht wird, der geistige und infrastrukturelle Entwicklungsstandard gegeben ist. Bis die Erfindung in der Luft liegt. Wer Erfindungen für den explosiven Einfall eines Genies hält, übersieht die stillen Vorarbeiten, das Zusammenwirken vieler kleiner, scheinbar unbedeutender Entdeckungen und Menschen. Oder anders gesagt: Wenn Mark Zuckerberg Facebook nicht erfunden hätte, hätte es jemand anderes getan. Wenn Carl Benz nicht das Auto erfunden hätte, hätte es jemand anderes getan. Wenn Charles Darwin nicht die Evolution entdeckt hätte, hätte es jemand anderes getan. Das soll diese Menschen nicht abwerten, sondern darauf hinweisen, dass ihre ‚Erfindungen‘ keine genialen Einzelleistungen sind“, erläutert Rusinek.

"Genial" ist kein Adjektiv für Menschen

Genial sei ist ein Adjektiv für Wissen, Erfindungen, Einfälle, aber kein Adjektiv für Personen. Auch Thomas A. Edison, der Prototyp des einsamen Tüftelgenies, verfügte über ein Team, genannt „die schlaflose Crew“, die Tag und Nacht systematisch arbeitete und eine eigene Spezialbibliothek hatte. Die Genieverehrung verstehe nicht, dass Arbeit vor allem Zusammenarbeit ist. Und die von den Hippies inspirierte Begriffswelt der selbstbezogenen Sinnsuche führe zu Spaltung.

„Deren Ichbezogenheit schadet den sozialen Ressourcen, schadet Teams und Kolleginnen, auf die wir angewiesen sind. Die Selbstbeweihräucherung, die Suche nach Full Self, New Journeys, purer Authentizität und Inner Transformation, mit der wir durch die Arbeit stolzieren, macht die Arbeitswelt immer mehr zu einem Schauspiel“, kommentiert Rusinek.

 

Ein zentrales Element von Rusineks Philosophie ist das Konzept der „16. Sekunde“ – ein Zeitraum, den das Gehirn als Gegenwart interpretiert und der als symbolischer Moment für die Möglichkeit steht, gewohnte Muster zu durchbrechen und neue Wege zu beschreiten. Er argumentiert, dass viele Arbeitspraktiken, die wir als selbstverständlich betrachten, tatsächlich veraltet und ineffektiv sind, besonders in einer Zeit, in der kognitive und kreative Fähigkeiten über den Erfolg in der Wissensökonomie entscheiden.

Die ökonomische Bildung führt oft zu einem Rückgang der Kooperationsfähigkeit und des Altruismus. Wir brauchen eine Neuorientierung der Ausbildung, die stärker auf interdisziplinäres Zusammenwirken setzt, fordert Hans Rusinek.

Rusinek kritisiert die Ausbildung und Führungskultur in Unternehmen. Er sagt, dass ökonomische Bildung oft zu einem Rückgang der Kooperationsfähigkeit und Altruismus führt, und fordert eine Neuorientierung der Ausbildung, die stärker auf interdisziplinäres Zusammenwirken setzt. Etablierte Unternehmen sollten lernen, die langfristigen Vorteile von Investitionen in die Mitarbeiterentwicklung und innovative Denkweisen zu erkennen, anstatt ausschließlich kurzfristige finanzielle Erträge zu maximieren.

Zukunftsarbeit als partizipative Aufgabe

Für Rusinek ist die Gestaltung der Zukunft eine partizipative Aufgabe, die jeden Einzelnen betrifft. Er fordert dazu auf, aktiv an der Gestaltung der Arbeitsumgebung teilzunehmen, um sicherzustellen, dass die Zukunft der Arbeit nicht nur von großen Tech-Konzernen oder anderen mächtigen Akteuren geformt wird. Er sieht in der bewussten Auseinandersetzung mit den eigenen Arbeitspraktiken und der Bereitschaft, etablierte Normen in Frage zu stellen, den Schlüssel zu einer humaneren und gerechteren Arbeitswelt. In der Community der Fachmesse Zukunft Personal will er die HR-Verantwortlichen für seine Sichtweise begeistern. Auch die Bundesagentur für Sprunginnovationen und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sollten sich mit der Wirtschaftsphilosophie von Rusinek auseinandersetzen.