Organisationsentwicklung Change Management

„Digitalisierung ist kein 1000-Meter-Lauf“

Die Digitale Transformation hat einen Startpunkt, aber kein klar definiertes Ende. Anders als ein Mittelstreckenlauf, sagt Prof. Harald Eichsteller von der Hochschule der Medien, Stuttgart. Es geht um permanentes Change Management.

Schwindlig kann manch einem werden, der auf die Digitale Transformation in Unternehmen blickt.
Schwindlig kann manch einem werden, der auf die Digitale Transformation in Unternehmen blickt.

Viele Unternehmen richten die Stelle eines Chief Digital Officer ein. Die Aufsichtsräte sehen allerdings meist den CEO in der Pflicht. Wo sollte die Verantwortung für die Digitale Transformation Ihrer Meinung nach liegen? 

Harald Eichsteller: Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die Installation eines Chief Digital Officer (CDO) sehr hilfreich sein kann. Besonders erfolgversprechend ist dies, wenn folgende vier Voraussetzungen erfüllt sind: volle Rückendeckung durch CEO; ausreichend zentrales Budget mit internen und externen Ressourcen; Verankerung von Digitalzielen in den Zielvereinbarungen aller Führungskräfte; der CDO sollte eine erfahrene, integre Persönlichkeit mit Teamplayer- und Motivationsfähigkeiten sein. Dann liegt die Verantwortung bei allen und der CDO fungiert als Enabler.

"Bei der Stärkenanalyse haben Unternehmen ihre Hausaufgaben gemacht. Bei den bedrohungsszenarien müssen viele noch klarer werden." Prof. Harald Eichsteller  Foto: Hochschule der Medien, Stuttgart

Wo stehen die deutschen Aktiengesellschaften denn bei der Digitalstrategie? Wenn wir sie als 1000-Meter-Lauf betrachten: Stehen sie am Startblock, laufen durch die zweite Kurve oder haben sie schon die Zielgerade erreicht?

Naja, das Bild hat leider den Haken, dass egal, wo sich die Unternehmen befinden, der Lauf nach 1000 Metern nicht zu Ende sein wird. Unsere Studie ist ein Stimmungsbild von 50 Aufsichtsräten, die 100 Unternehmen betreuen und somit nicht repräsentativ für deutsche Aktiengesellschaften. Aus meinen Gesprächen mit einer ganzen Reihe von CEOs von Unternehmen mit mehreren Milliarden Euro Umsatz schließe ich, dass alle ausführlich ihre Hausaufgaben mit SW-Profil und OT-Einschätzungen gemacht haben. Die in einer SWOT-Matrix abgeleiteten Strategien sind im SO-Feld (Strenghts-Opportunities) mit zahlreichen Initiativen und organisatorischen Maßnahmen (Forschungskooperationen, Startup-Center, Inkubatoren, Acceleratoren etc.) auf den Weg gebracht. In den Bedrohungsfeldern (ST, WT) ist die Einschätzung über die Timeline schwieriger und da erscheint mir Weg noch wesentlich länger.

Ein Chief Digital Officer kann die Digitale Transformation vorantreiben, wenn der gesamte Vorstand das Thema aktiv unterstützt. 
Prof. Harald Eichsteller

Eine Digitalstrategie samt Vision zu erarbeiten, ist das eine. Mindestens genauso wichtig ist es aber, die Mitarbeiter für die Strategie zu begeistern. Dazu müssen sie die erst einmal kennen und verstehen. Wie weit ist das in den Unternehmen der Fall?

Vorstände und Unternehmer neigen dazu, sich schon über organisatorische Umsetzungen der Strategie in 2 bis 5 Jahren Gedanken zu machen, obwohl Analyse und strategische Schlussfolgerungen noch nicht kommuniziert sind. Harvard-Professor John P. Kotter empfiehlt deswegen im Change Management, erstmal die Dringlichkeit der Situation zu verdeutlichen und benutzt dazu das Bild des Pinguins, der auf einer schmelzenden Eisscholle sitzt. Wir beobachten seitens der Hochschule der Medien in den letzten Monaten eine rapide angestiegene Nachfrage nach Kommunikatoren in allen Bereiche – für mich ein Zeichen, dass die Notwendigkeit der Change-Kommunikation in den Unternehmen angekommen ist.

Change Management braucht Kommunikation

Was macht die Strategiekommunikation und – in der Folge – den kulturellen Wandel denn erfolgreich?

Glaubwürdige, authentisch kommunizierende CEOs und Vorstände, die ihre digitale Führungsrolle wahrnehmen und denen die Mitarbeiter diese auch hundertprozentig abnehmen. Change kann übrigens nicht erfolgreich sein, wenn von oben verordnet und nicht von breiter Basis akzeptiert. Letzte Woche habe ich erstmal die Vokabel ‚Frontline Employee‘ gehört – ein gelungenes Bild, das impliziert, dass eben bis zu allen Mitarbeitern mit Kundenkontakt die Strategie und der entsprechende Wandel kommuniziert sein sollte.

Woran mangelt es in deutschen Unternehmen besonders in Sachen digitaler Transformation? Und welche Rolle spielen Qualifizierungs- und Weiterbildungsprogramme bei dem Ganzen?

Die einzige Nullnummer in unserer Aufsichtsratsstudie war die Antwort auf die Frage nach dem Vorhandensein eines Sollprofils für Digitalkompetenz für alle Mitarbeiterebenen. Kein Aufsichtsrat konnte hier eine positive Auskunft erteilen. Agiles Projektmanagement ist auf der Agenda der meisten Weiterbildungsangebote angekommen, das Budget für die Weiterbildung der Mitarbeiter erschien gerade mal einem Aufsichtsrat als angemessen. Hier gibt es auf allen Ebenen einen enormen Nachholbedarf.