Digitalisierung

Digitaler Stress: Führung macht den Unterschied

Digitalisierung heißt für Menschen in Unternehmen, ständig neue Systeme und Technologien nutzen zu müssen. Das überfordert viele, genauso wie die empfundene Pflicht zur ständigen Erreichbarkeit per Teams und Mail. Führungskräfte haben die Pflicht, Mitarbeitende vor digitaler Überladung zu schützen.

Foto: Adobe Stock
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Die fortschreitende Digitalisierung unserer Arbeitswelt bringt enorme Vorteile. Sie erzeugt allerdings auch neue Belastungsfaktoren. Die Geschwindigkeit des technologischen und digitalen Fortschritts ist für viele Menschen eine große Belastung. Und viele haben das Gefühl, hier nicht mehr angemessen Schritt halten zu können oder dass dies ihre Gesundheit beeinflusst. Hinter diesem Gefühl verbirgt sich das umfangreiche Belastungsumfeld des digitalen Stresses. Als Führungskraft ist es wichtig, mit dieser Schattenseite der neuen Arbeitswelt aktiv umzugehen und diese zu entstigmatisieren. Grundvoraussetzung dafür ist, die wichtigsten Stressoren und Belastungsfaktoren zu kennen.

Digitale Stressoren und Belastungsfaktoren

Der wohl umfangreichste digitale Stressor ist der der sogenannten „Überladung“. Der Begriff beschreibt die umfangreiche Zunahme von technologischen und kommunikativen Systemen sowie von digitalen Anwendungen am Arbeitsplatz. Die stete Implementierung immer neuer Systeme und Tools kann dabei eine große Überforderung schaffen.

Digitaler Stress
Mehr zu digitalem Stress und wie wir damit umgehen steht in David Buschs Buch "Digitaler Stress".

Insbesondere, weil die Stressoren „Komplexität“ und „Ungewissheit im Umgang“ damit in Verbindung stehen. Was ist damit gemeint? Die Komplexität neuer digitaler Anwendungen und Systeme angemessen zu durchdringen und zugleich sicherzustellen, dass man damit wirksam umgeht, sodass diese optimal im Arbeitsalltag Anwendung finden können. Die Herausforderung ist heute deshalb enorm, weil früher deutlich mehr Zeit dafür zur Verfügung stand, diese Komplexität zu durchdringen und den Umgang mit der Technologie zu üben.

Gleichzeig kann der Stressor der „Unzuverlässigkeit“ die digitale Arbeitsbelastung noch weiter intensivieren, wenn häufige System- und Hardware-Abstürzte die effektive Nutzung erschweren. Geschieht dies unter erhöhtem Arbeits- und Zeitdruck, kann das zu einem hohen digitalen Stresslevel führen.

Ein weiterer Stressor verbirgt sich in der „Entgrenzung von Beruf- und Privatleben“. Die damit verbundene ständige Erreichbarkeit und Handlungsfähigkeit ist für viele Menschen insbesondere seit der Pandemie eine Belastung. Haben Sie schon einmal abends vom Sofa ihre beruflichen Mails gecheckt? Heute ist das für viele Menschen Teil des Alltags. Und wenn das berufliche Anliegen wichtig erscheint, dann klappen wir den Laptop noch einmal auf und versuchen, das Problem zu lösen. In früheren Jahren, in denen die Möglichkeit des Homeoffice nicht in dieser Weise gegeben war, musste der Betroffene zumindest bis zum nächsten Morgen warten, um den Sachverhalt zu klären. Dieser Schutzmechanismus besteht für die eingangs genannten elf Millionen Menschen heute oft nicht mehr.

Doch auch ein gewissermaßen strategischer Stressor gewinnt seit dem Jahr 2023 enorm an Bedeutung: die wahrgenommene „Jobunsicherheit“. Seit dem Beginn der KI-Revolution ist das Bewusstsein deutlich stärker vorhanden, wozu intelligente Systeme imstande sind. Und damit auch die Befürchtung, dass dies einen Einfluss auf die eigene Tätigkeit haben kann.

Es beginnt mit dem Führungsstil und dem Arbeitsumfeld

Natürlich ist jeder Mensch für seine Gesundheit hauptsächlich selbst verantwortlich. Aber im beruflichen Umfeld kommt der Führungskraft eine besondere Rolle zu. Die gesetzliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nach § 5 Arbeitsschutzgesetz Abschnitt 4 und 6 ist dafür wegweisend. Demnach sind Arbeitgeber verpflichtet, Mitarbeitende auch vor psychischen Belastungen zu schützen.

Digitaler Stress
Dies ist ein überarbeiteter Auszug aus dem Buch "Digitaler. Stress: Schattenseite der neuen Arbeitswelt. Entstehung, Herausforderung und Bewältigung" von Dr. David Bausch. Erschienen bei Haufe.
Digitaler Stress – Das Buch

In unserer digitalen Arbeitswelt bedeutet dies für Führungskräfte eine kaum vollständig zu erfüllende Verantwortung. Die digitalen Stressoren und Belastungsfaktoren sind so vielfältig und liegen an unterschiedlichen Stellen. Ein vollständig digitalstressfreies Arbeitsleben für alle Beschäftigten gleichermaßen ist nicht möglich. Und doch können Führungskräfte einen entscheidenden Unterschied machen.

Das beginnt bei ihrem Führungsverständnis. Wir kommen aus einer Zeit, in der das transaktionale Führungsverständnis dominierte, in eine Zeit mit einem zunehmend transformationalen Führungsverständnis. Eine Studie der Northern Michigan University hat gezeigt, dass dieser Führungsstil nicht nur sehr gute Voraussetzungen bietet, die eigene digitale Stressbelastung bestmöglich zu bewältigen, sondern auch, dass er geeignete Ansatzpunkte bietet, Mitarbeitende in der digitalen Transformation zielgerichtet zu führen, sodass diese besser mit digitalem Stress umgehen können.

Entscheidend ist die Vorbildfunktion der Führungskraft. Zum einen sollte sie deutlich machen, dass psychologische Erkrankungen genauso anerkannt sind wie physische und dass es keinen Grund gibt, jene als Schwäche oder geminderte Leistungsfähigkeit zu betrachten. Dabei reicht es nicht, das einmal zu sagen, sondern die Führungskraft muss diese Einstellung „leben“. Es kann auch helfen, wenn die Führungskraft ihre eigene Betroffenheit von digitalem Stress formuliert. Entscheidend ist jedoch ein Umfeld geprägt von psychologischer Sicherheit und Vertrauen, in dem Mitarbeitende sich trauen, ihren digitalen Stress zu benennen.

In der Regel haben Unternehmen und insbesondere größere Teams und Einheiten keine Vereinbarung getroffen, die die digitale Zusammenarbeit regelt. Seit der Pandemie sehen wir aber einen Zuwachs an (digitaler) Kommunikation und (digitalen) Meetings. Oft treffen da viele Menschen zusammen, wirklich relevant ist der Termin aber nur für wenige. Warum also wurden die anderen überhaupt zum Termin zitiert?

Gleichzeitig sind viele neue Kommunikationskanäle hinzugekommen, deren Zweck oft nicht alle Mitarbeitenden verstehen. Ich erlebe immer wieder Menschen, die die Kommunikation in Microsoft Teams stresst, weil sie sich unter Druck gesetzt fühlen, sofort zu antworten. Das ist jedoch nicht immer möglich, was bei vielen Menschen zu einer inneren Unruhe führt. Verbindliche Regeln, die Menschen von der Last befreien, immer sofort reagieren zu müssen, können die digitale Belastung senken. Natürlich sind die Herausforderungen einer wirkungsvollen digitalen Zusammenarbeitsvereinbarung deutlich größer, doch schon dies vermeintlich kleine Beispiel zeigt, was möglich und angebracht wäre.

Die individuelle Führungsleistung

Die individuelle Art, wie die Führungskraft transaktional führt, spielt eine wichtige Rolle. One Size fits all ist nur noch höchst selten wirksam. Es geht vielmehr darum, die individuellen Stressoren und Belastungen der Mitarbeitenden herauszufinden und gemeinsam passende Lösungsstrategien zu erarbeiten. Belastet etwa die Entgrenzung von berufs- und Privatleben eine Mitarbeiterin, weil sie glaubt, zu jeder Uhrzeit auf E-Mails oder Teams-Nachrichten antworten zu müssen, sollten Mitarbeiterin und Führungskraft individuelle Angrenzungsstrategien entwickeln. Die Führungskraft muss das Thema im Zweifel aktiv ansprechen.

Stressen hingegen die wahrgenommene Komplexität und die Unsicherheit im Umgang mit digitaler Technologie ein Treiber, gilt es, gezielt die digitalen Kompetenzen der Betroffenen zu stärken. Entscheidend ist auch hier die psychologische Sicherheit im Team, damit Mitarbeitende sich frei fühlen, über ihre Überforderung zu sprechen. Und sie müssen keine Angst haben, im Umgang mit den Systemen Fehler zu machen.

Gleiches gilt für die digitale Stressbelastung, wenn diese Ausfluss der Angst vor Jobverlust ist.  aus einer eventuellen Jobunsicherheit wegen der Entwicklungen im Bereich Künstliche Intelligenz. Führungskraft und Mitarbeitende sind aufgerufen, gemeinsam zu eruieren, wie realistisch diese Befürchtungen sind. Um dann, wenn nötig, passende Qualifizierungs- und Entwicklungsmaßnahmen zu identifizieren und zu nutzen..

Wirksame Führung erhält im digitalen Zeitalter eine zentrale Bedeutung. Leadership-Kompetenzen sind gefragter denn je. Führungskräfte sollten zumindest teilweise die fachliche Verantwortung loslassen, damit sie mehr Zeit haben, ihre Mitarbeitenden aktiv bei deren Entwicklung zu begleiten.