Podcast Trafostation Bildung

Wir brauchen Bildung, die man brauchen kann

Hat die Verschulung des Bildungssystems Fließbandarbeiter:innen aus uns gemacht? Über die Chancen durch humanistische Bildung sprechen Wolf Lotter und Christoph Pause in der „Trafostation“.

Foto: Severine Guthier/Haufe Group
Foto: Severine Guthier/Haufe Group

Kommt unsere Bildung noch klar mit der Wirklichkeit? Wie unsere Vorstellungen von Arbeit, Organisation, Gesellschaft und Menschen hänge auch das Bildungssystem in der Vergangenheit fest, meint Wolf Lotter und wirft einen Blick zurück ins Industriealter, als noch zwischen zwei Sorten der Bildung unterschieden wurde: Einer Bildung für die Eliten und einer für die Massen.

Die eine und die andere Bildung

Neben der fachlichen Ausbildung ist bei den Eliten alles auf Allgemeinbildung ausgerichtet, auf humanistische Bildung, das Lernen lernen. „Es geht um das Erwecken von Neugierde und eine Grundeinstellung, sich leicht auf Veränderung, Überraschung und Innovation einstellen zu können“, betont der Publizist. Früher habe diese Bildung den Leuten, die sie bekamen, langfristig einen Platz am oberen Ende der Gesellschaft gesichert.

Für alle anderen ging Allgemeinbildung nur so weit, als sie die ihnen einmal zugewiesene Arbeit erledigen sollten. Es gab humanistisch gebildete Eliten und allgemein abgerichtete Massen, die sich bestens für kleinteilige Arbeit in der Fabrik oder standardisierte Büroarbeit eigneten, berichtet Lotter. Doch die Zeiten haben sich geändert. Und längst gehören nicht nur Industriearbeiter:innen zu den Verlierern der Transformation.

Gesucht: Kontextkompetenz

Es sind auch ihre Nachfahren, die fleißig studiert haben und scheinbar über den Problemen stehen. Wer Soziologie oder Kunstgeschichte studiert hat, aber nichts über wirtschaftliche, technische, politische und organisatorische Zusammenhänge ohne ideologische Scheuklappen weiß, wer Zusammenhänge nicht verstehen und erklären kann, kurz, wer keine Kontextkompetenz hat, ist und bleibt laut Lotter ein Fachidiot.

Wer Zusammenhänge nicht verstehen und erklären kann, wer keine Kontextkompetenz hat, ist und bleibt ein Fachidiot.

Wenn Programmierer:innen nur coden können oder Betriebswirt:innen nur etwas über BWL wissen, zeige ihm das deutlich: „Die Verschulung des Bildungssystems hat aus allen Fließbandarbeiter:innen gemacht, die in ihren Silos dahinwursteln, aber nicht über den Tellerrand schauen können.“ Die Fachidiot:innen seien heute Menschen mit Diplom, aber ohne weitere Interessen. Es brauche nicht einmal künstliche Intelligenz, um sie zu ersetzen: „Jede Form von Fortschritt geht denen an den Kragen, die nur die eigenen vier Wände ihres bescheidenen Wissens kennen.“

Offene Bildung, die den Horizont erweitert

Humanistische Bildung heißt nicht nur das Lernen zu lernen, sondern auch die Welt verstehen zu wollen und gelegentlich auch zu können. „Offene Bildung, die unseren Horizont erweitert, statt Auswendiglernen und stures Fachwissen, das uns einmauert“, fordert Lotter. Das sei allerdings schon weit fortgeschritten, gut zu beobachten bei allen Berufsgruppen, sogar bei Unternehmer:innen. Hauptsache, man gilt etwas in der Branche. Hauptsache, man wird von Kolleg:innen bestätigt.

Die neue Allgemeinbildung muss Zusammenhänge vermitteln, nicht bloß enges Fachwissen.

Selbstbestätigung ist Selbstbetrug. Wissen ist aber kein Selbstzweck. Oder wie es der Schweizer Ökonom Gilbert Probst gesagt hat: „Wissen ist die einzige Ressource, die sich vermehrt, wenn man sie teilt.“ Die neue Allgemeinbildung muss Zusammenhänge vermitteln, nicht bloß enges Fachwissen, meint Lotter. Es seien nämlich diese neuen Zusammenhänge, die Kontextkompetenz des Handelns und Denkens, die das Fachwissen erst nützlich machen.

„Es genügt nicht, etwas zu wissen, wir müssen auch wissen wollen, wozu und für wen es gut ist“, stellt der Autor schließlich fest. Und genau das sei dann Bildung. Eine Bildung, die man brauchen kann.