Business Transformation Organisationsentwicklung

Von Platonikern und Sophisten

Kommentar Management ist geprägt von Analyse. Daran wird auch New Management nichts ändern, solange wir uns nicht befähigen, synthetisch zu denken und zu handeln. Es geht um den Abschied von Platon und die Orientierung an den Sophisten, meint Guido Schmidt. Es gehe um die Klärung eines 2400 Jahre dauernden philosophischen Streits.

Die Diskussion um neues Management ist Ausdruck des Streits zwischen Platonikern und Sophisten.    Photo by Alex Block on Unsplash
Die Diskussion um neues Management ist Ausdruck des Streits zwischen Platonikern und Sophisten. Photo by Alex Block on Unsplash

Mit Ökosophie den Effizienzfetisch begraben

Es ist für jeden offensichtlich, dass sich in unserer Welt gerade einiges verändert. Die Gesellschaft stellt zunehmend die ökologische Frage. In der Wirtschaft wird von disruptiven Veränderungen gesprochen. Nicht wenige fordern ein neues Paradigma von Business Eco-Systemen, die die alte Welt ablösen sollen. Wenn sich sehr viel bewegt, ist die Frage, wie man mit dieser Situation und den Auswirkungen umgeht.

In der aktuellen Managementdiskussion geht es um den uralten Kampf zweier Philosophenschulen.

Winfried Felser hat an dieser Stelle berichtet, dass die Vertreter der Wirtschaft selbst bei dem angesehenen Drucker Forum in Wien keine einheitliche Strategie zur Gestaltung der Zukunft gefunden haben. Der Autor behauptet sogar, dass sich bei der Frage der zukünftigen Ausrichtung zwei Gruppen fast unversöhnlich gegenüber standen. Er bezeichnet diese Gruppen als Etablierte und Radikale oder auch als Pragmatiker und Paradigmatiker.

Tatsächlich wäre eine solche Konfrontation gar nicht verwunderlich, geht sie doch auf eine gut 2400 Jahre alte Auseinandersetzung zurück. Eine hintergründige Betrachtung legt die Vermutung nahe, dass es um den uralten Kampf zweier Philosophenschulen geht. Der Streit um die richtige Gestaltung einer Transformation ist eigentlich ein Kampf der Platoniker gegen die Sophisten. Wenn wir das zeitgemäßer ausdrücken wollen, stehen sich ein etabliertes Management-Konzept und ein radikales Leadership-Konzept gegenüber.

Das platonische Management

Schlägt man den Begriff der Ökonomie nach, so erhält man folgende Erklärung: Die Wirtschaftswissenschaft oder Ökonomie ist die Wissenschaft von der Wirtschaft. Die Wirtschaftswissenschaft untersucht den rationalen Umgang mit knappen Gütern.

Das entscheidende an dieser Definition ist die unscheinbare Formulierung „rationaler Umgang“. Tatsächlich bezeichnen wir die Wirtschaft auch als Welt der Zahlen und wollen damit der Objektivität und der Rationalität huldigen. Es ist ganz klar, dass bei schwergewichtigen Entscheidungen Emotionen und unbedachtes Handeln nichts zu suchen haben. Und so müssen wir auch den Begriff des Management verstehen. Dieses Wortgebilde geht auf den US-Amerikaner Frederick Winslow Taylor zurück, der im Jahre 1911 die streng logische Vorbereitung und Organisation der neuen industriellen Abläufe gefordert hat. Er selbst sprach vom „Scientific Management“.

Wie man die endlosen Analysen der Platoniker (oder Pragmatiker) auch dreht und wendet: Sie werden nie etwas Neues gebären.

Wer also Manager ist und die Welt der Wirtschaft im Sinne von modernem Management gestalten will, der ist der strengen Rationalität verhaftet. Im Management ist nicht nur alles logisch, es soll auch jede Verknüpfung logisch sein. Der Wissenschaftsbegriff im „Scientific Management“ geht dabei auf die Vorstellung des griechischen Philosophen Platon zurück. Er prägt unsere Gedankenwelt bis heute durch zwei wichtige Festlegungen: Erstens die Trennung von Subjekt und Objekt und zweitens die Überlegenheit der Menschheit als vernunftbegabter Wesen. Für Platon ist alles, was nicht vollkommen logisch ist, minderwertig.

Die Schwächen des modernen Managements

Wenn das Gefühl aufkeimt, dass die bisherigen Verhaltensweisen an Wirkung verlieren, wird etwas Neues gefordert. So können wir in zahlreichen Veröffentlichungen lesen, dass die Herausforderungen der Zeit nur durch ein „New Management“ gelöst werden können. Doch da irren die Autoren fundamental. Das Werkzeug des rationalen Management ist die Analyse. Sie basiert auf einem vorhandenen Erkenntnisgegenstand, der dann mit wissenschaftlicher Akribie in seine Teile zerlegt wird. Analyse heißt zerschneiden, und so werden Sachthemen durch Konkretisierung und Zerteilen von vielen Seiten in immer kleineren Häppchen beleuchtet. Die ausgiebige Arbeitsteilung in unserer Gesellschaft und der Wirtschaft verstärkt noch die zunehmende Ausschnittbildung. Das erklärt auch das Leidenslied der ungebremst zunehmenden und kaum noch zu beherrschenden Komplexität.

Das Management mit seiner strikten Rationalität erfindet nicht, sondern es zerteilt.

Es ist an der Zeit, die ausklingende Phase des Managements zu betrachten. Wir erleben seit mindestens 30 Jahren eine Phase der Effizienz. Im klassischen Management war die Optimierung das alles dominierende Paradigma. In unserer stetig wachsenden und zunehmend vernetzten Wirtschaft kam es darauf an, den Weg der Produkte und Leistungen zum Kunden immer mehr zu verbessern. Die zunehmende Komplexität sollte mit strenger Rationalität besiegt werden. Das erklärt auch den Tsunami an Beratern, der seit Anfang der 1990er Jahre durch die Unternehmen fließt.

Mehr über Leadership, Synthese vs. Analyse liefert Guido Schmidt in seinem Buch.
Mehr über Leadership, Synthese vs. Analyse liefert Guido Schmidt in seinem Buch.

Doch wie man die endlosen Analysen der Platoniker (oder Pragmatiker) auch dreht und wendet: Sie werden nie etwas Neues gebären. Sie brauchen den vorhandenen Erkenntnisgegenstand. Sie brauchen das bereits existierende Objekt, um ihr scharfes Werkzeug der Analyse mit dem Anspruch der objektiven Betrachtung überhaupt ansetzen zu können. Die Etablierten bzw. Platoniker können nur eine Zukunft analysieren, die irgendwie schon da ist. Das Management mit seiner strikten Rationalität erfindet nicht, sondern es zerteilt. Das wird sich auch unter dem Schlagwort New Management nicht ändern. Oder es ist eben kein „echtes Management“ mehr.

Synthese statt Analyse

Wenn man Zukunft gestalten will, gilt, dass da noch nichts ist, was man analysieren und zerteilen kann. Das Neue entsteht aus dem Nichts oder aus neuartigen Kombinationen des Vorhandenen. Das Erkennen des Disruptiven aus verschiedenen vorhandenen Bausteinen basiert grundsätzlich nicht auf einer Analyse, sondern ist das Ergebnis des genauen Gegenteils, der Synthese. Bei der Synthese werden verschiedene Bausteine zu etwas Neuem zusammengesetzt. Und genau das spiegelt sich in der berechtigten Forderung nach neuen Eco-Systemen.

Wir müssen erkennen, dass das neue Paradigma der Wirtschaft die Zusammenarbeit verschiedener Elemente und ganzer Systeme ist. Wir sollen kreative Elemente synthetisch zusammensetzen. Die Analyse mit ihrer inneren Logik den Status Quo bis auf kleinste Häppchen zu zerschneiden, zeigt keinen Weg in eine neue Zukunft. Die Synthetiker dagegen benötigen kein vorhandenes Erkenntnisobjekt, um ihre Arbeit zu beginnen. Sie erfinden die Erkenntnisgegenstände, die die Analysten dann später wieder mit allen möglichen Schnittmustern zerschneiden können.

Die Synthese ist das dominante Denkmodell einer frühen Gruppe der Philosophen, den sogenannten Sophisten. Sie haben die Trennung von Subjekt und Objekt abgelehnt und ihre eigene These verfasst: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge, derer die sind und derer die nicht sind.“ Mit einer grundsätzlichen Ablehnung von Objektivität haben Sie eine besondere Karriere als Feindbild des Platon gemacht. Die Geschichtsschreiber konnten zu der schriftlich überlieferten Gedankenwelt des Platon mehr sagen als zu den nur mündlich bekannten Paradigmen der Sophisten. So wurde denn auch die Kritik des Altmeisters gerne übernommen.

Die Etablierten bzw. Pragmatiker haben ihre Zeit gehabt und uns Jahrzehnte der Effizienz geschenkt. Nun wollen wir etwas Neues schaffen und wollen das Paradigma der Effizienz auf ein Normalmaß zurück setzen.

Platons Erbe ist es, dass das Paradigma der Objektivität seit jeher die westliche Welt dominiert. Damit hat das objektive Zerteilen durch Analyse eine lange Tradition. Der Kampf der kreativen Sophisten gegen die objektiven Platoniker ist eines der ältesten Schlachtfelder der Welt. Wir alle stehen in unserem ganzen Denken auf diesem Schlachtfeld und merken es meistens nicht einmal.

Was wir aber zur Gestaltung der Zukunft wirklich brauchen, ist eine Abkehr des bislang dominanten platonischen Gedankengutes. Die Etablierten bzw. Pragmatiker haben ihre Zeit gehabt und uns Jahrzehnte der Effizienz geschenkt. Nun wollen wir etwas Neues schaffen und wollen das Paradigma der Effizienz auf ein Normalmaß zurück setzen. Wir alles wissen doch, dass die Lösungen für die Zukunft nicht im Detail liegen. Wir wissen doch auch, dass die Zunft nicht logisch sein wird.

Die aktive und kreative Gestaltung der Zukunft liegt in einem neuen Denken, der Ökosophie. Neue Öko-Systme erfordern eine ganzheitliche Betrachtung. Ökosophie steht für eine neue Flughöhe. Wir müssen wieder Zusammenhänge erkennen und gestalten. Dazu ist es hilfreich mal von oben auf die Dinge zu schauen. Der Hamster im Rad denkt sicher, dass er toll voran kommt, der Betrachter von außen hat da eine andere Perspektive.

Ökosophie als neues Paradigma der Wirtschaft

Der Begriff Ökosophie soll verschiedene Aspekte des neuen Paradigmas deutlich machen:

  1. Ganz bewusst wird nicht von Öko-Logik gesprochen, sondern von Öko-Sophie. Sophia steht für Weisheit. Das neue Paradigma besteht nicht in der Anhäufung von Wissen. Wissen, insbesondere wenn es um Details geht, ist nahezu unendlich. Doch das hilft niemandem. Das Problem der Ausschnittbildung lösen wir nur durch einen höheren Abstraktionsgrad. Es ist doch ein Eingeständnis einer Niederlage, wenn man von zunehmender und kaum zu beherrschender Komplexität spricht. Wenn man komplexe Dinge verstanden hat, dann löst sich diese Komplexität auf. Wenn man die Fesseln der Ausschnittbildung verliert, wird Vieles klar. Das ist der Kern der Weisheit.
  2. Die Vorsilbe Öko als Platzhalter für wirtschaftliches Denken: Wer die Zukunft positiv gestalten will, darf nicht alle wirtschaftlichen Gegebenheiten negieren. Wir wissen, dass sich die Welt der Wirtschaft durch Fortentwicklung dramatisch verändern wird. Doch auch größere Umbrüche sind nicht schlimm, wenn dadurch co-kreative neue Lösungen entstehen. Wir müssen der Kreativität neuen Raum geben. An vielen Stellen ist das schon der Fall. Aber zu häufig sind Kreationen nur Spielwiese für eine junge Generation auf unteren Ebenen. Es wird Design-Gethinkt, Post-it´s werden überall aufgehängt und aus Seminaren werden Festivals. Doch auf den oberen Ebenen wird das - teilweise zurecht - als reines Motivationsinstrumentarium gesehen. Die Initiativen des Personalwesens kommen auf der Fachseite nicht an. Damit finden die Ideen inhaltlich keine oder deutlich zu wenig Beachtung. Es ist also an der Zeit, die Co-Kreationen in tragfähige Geschäftssysteme zu übersetzen. Die neue wirtschaftliche Ausrichtung muss das wichtigste Spielfeld der Unternehmensleitungen werden. Kreativität, anstrengendes Durchdenken und “Auf-den-Punkt-bringen“ sind gefordert. Doch der Lohn für diese harte Arbeit sind erfolgversprechende und zukunftsfähige Geschäftssysteme.
  3. Die Vorsilbe Öko als Bezug zur Umwelt und Natur: Heute wird Öko als Gegensatz zu Öko gesehen. Es wird suggeriert, dass man entweder für den Umweltschutz oder für die Wirtschaft ist. Nicht selten stehen sich die Protagonisten ebenso unversöhnlich wie die Platoniker und Sophisten gegenüber. Daran sind auch die „Greta -Debatten“ schuld, denn dort werden sehr einseitig Verhaltensänderungen gefordert. „Greta“ steht für eine Geisselung von individuellen Spielräumen und eine totale Abkehr von einer wirtschaftlich geprägten globalisierten Welt. Das ist natürlich zu kurz gesprungen. Neue Technologien in co-kreativen Systemen sind die Umsatzbringer von morgen. Wir bemängeln z.B. dass in China und Indien hunderte von Kohlekraftwerken geplant sind. Aber wo sind die von uns entwickelten Alternativen? Die deutschen Unternehmen im klassischen Kraftwerksbau sind durch internationale Konkurrenz schon lange unter gegangenen. So zeigt das Beispiel, dass es Zeit ist, wieder innovativ zu sein.

In kleinen Schritten zur Ökosophie

Wann haben Sie zuletzt das Wort Synthese gehört – ausser vielleicht in der Chemie? Kennen Sie auch nur eine Stellenanzeige, in der Menschen mit Teamgeist und der Fähigkeit zum synthetischen Denken gesucht werden? Nein, alle Welt sucht nette Mitarbeiter, mit analytischen Fähigkeiten und notwendiger Teamfähigkeit. Es wäre ein wichtiger Schritt, schon bei der Personalsuche neue Schwerpunkte zu setzen.

Wer in einem größeren Unternehmen als Manager arbeitet, der ist als Platoniker oder Bewahrer sozialisiert. New Spaces stehen in einer effizienten Welt nicht wirklich im Rampenlicht. Denn neue Welten sind nicht effizient. Sie sind kreativ, vielleicht sogar teuer und zu allem Überfluss noch mit Risiken behaftet. Nicht umsonst werden neue Geschäfte als Start-Ups neben die bestehende Organisation gestellt. So können die Platoniker weitermachen und sich den Anschein der Zukunftsorientierung geben. Die unterschiedlichen Denkweisen sind nicht kompatibel, und das Radikale wird einfach ausgelagert. Deshalb erscheint es notwendig, dem Establishment die neue Denkweise der Ökosophie näherzubringen. Schließlich geht es um co-kreative Kreationen.