Business Transformation New Work

Von Ökosystemen zu „Leadership everywhere“

Kommentar In Krisenzeiten planen "klassische" Manager ein Rollback. Endlich Schluss mit Kickertisch und Selbstorganisation! Dabei brauchen wir gerade jetzt mehr New Work, mehr New Management und vor allem New Spaces. Mahnt Winfried Felser.

Kokreative Business-Ökosysteme als radikale Antwort auf radikalen Wandel. Foto von Tom Fisk von Pexels
Kokreative Business-Ökosysteme als radikale Antwort auf radikalen Wandel. Foto von Tom Fisk von Pexels

Rollback statt New Work auch in der Krise?

In der Krise neigt Management gerne zu Rollbacks. Der teure Schnickschnack der Boomjahre ist dann erster Kandidat für Kostenabbau. Klassische Reflexreaktion. Vor allem da, wo New Work und New Management Zuckerguss für Digital Natives oder Cargo-Kult für veränderungsunwillige CXO waren, werden sie in stürmischen Zeiten als erstes weggefegt, vor allem von mutlosen Managern. Adieu Kickertisch, neue Möbel und Erfahrungsreisen, aber auch Digital Lab, CDO und Schwarmintelligenz.

New Spaces statt Rollback

Dabei ist – in the long run – der Wandel alternativlos, wenn sich die Logik von Märkten und Branchen fundamental wandelt. Zurecht forderte Thomas Sattelberger in seinem Jahresrückblick den Aufbruch in Richtung New Spaces als neuen, innovativen Chancen-Räumen. Ob regionale Innovations-Cluster oder Innovations-Plattformen in den Unternehmen: Wir brauchen solche New Spaces im weitesten Sinne, um im Innovationswettbewerb zu überleben. „In the long run“ ist aber selten die Entscheidungsbasis für Analysten- und Shareholder Value-getriebene Manager. Was aber ist genau die Alternative zu schnappatmigen Kostenstrategien?

In der Krise neigt Management gerne zu Rollbacks. Dabei ist – in the long run – der Wandel alternativlos, wenn sich die Logik von Märkten und Branchen fundamental wandelt.

Das Druckerforum einig in der Uneinigkeit zu Ecosystems

Wenn es um Wahrheitsfindung bei Fragen des Managements geht, sind Wien und das Druckerforum die erste Adresse. Hier trifft sich um das Team von Richard Straub das internationale Who-Is-Who der Management-Logik, um das Erbe Peter Druckers zu wahren und fortzuentwickeln. 2019 war das Thema „Ecosystems“ als neue Heilsbringer. Aber was sind überhaupt Business Ecosystems oder Ökosysteme? Wien war sich einig – in seiner Uneinigkeit. 

Wer darauf eine eindeutige Antwort erwartete, musste enttäuscht werden. Das Druckerforum machte vielmehr transparent, dass sich zwei Verständnis-Communities scheinbar unvereinbar gegenüberstehen. Nennen wir sie grob vereinfachend die Etablierten und die Radikalen oder auch die Pragmatiker und die Paradigmatiker. Die „Etablierten“ bzw. Pragmatiker verstehen Business Ecosystems so, wie sie einst definiert wurden und heute schon vielfach etablierte Praxis sind. Die „Radikalen“ bzw. Paradigmatiker suchen ein größeres Bild und eine fundamentalere Transformation.

Business Ecosystems als kollaborativere Unternehmens-Netzwerke

James F. Moore nutzte diesen Begriff erstmalig in seinem Artikel „Predators and Prey: A New Ecology of Competition“, der 1993 im HBR erschien: „I suggest that a company be viewed not as a member of a single industry but as part of a business ecosystem that crosses a variety of industries. In a business ecosystem, companies co-evolve capabilities around a new innovation: They work cooperatively and competitively to support new products, satisfy customer needs, and eventually incorporate the next round of innovations.“

Die Pragmatiker bzw. Etablierten docken auch heute noch an diese Sicht auf neue Unternehmens-Netzwerke zwischen Konkurrenz (Markt) und Kooperation (Organisation) an und fürchten jenseits von Apple & Co-Ecosystems die übliche Verwässerung des Konzepts, die typisch ist, wenn Konzepte zu Hypes werden. So war z.B. zuvor schon alles „4.0“ als der Begriff „Industrie 4.0“ sich etablierte und immer erfolgreicher wird. Diese Furcht ist also gerechtfertigt, aber vielleicht auch Basis für eine vertane Chance – so glauben die Paradigmatiker.

Ecoystems als radikale Variante von New Work / New Management

Die Radikalen bzw. Paradigmatiker interpretieren hingegen im Sinne von Sattelbergers New Spaces externe und interne Business-Ökosysteme als fundamentale Abkehr von der etablierten Management-Logik, die weit über Unternehmens-Netzwerke hinausgeht und „metadisruptiv“ alle bekannten Konzepte und sogar Metaphern/Bausteine der heutigen Ökonomie hinterfragt.

Paradigmatiker interpretieren externe und interne Business-Ökosysteme als fundamentale Abkehr von der etablierten Management-Logik, die weit über Unternehmens-Netzwerke hinausgeht

Die Radikalsten unter den Radikalen – wie der Autor – glauben an eine fundamentale Abkehr von der mechanistischen Weltsicht (dem hellenistischen Denken!) und der arbeitsteiligen Silo-Welt in Richtung kokreativer Ökosysteme im wahrsten, „lebendigen“ Sinne des Wortes als neuer Wertschöpfungs-Logik und sehen selbst Konzepte wie Markt, Unternehmen, Abteilung, … und nicht zuletzt auch „Manager“ im klassischen Sinne als überholt an (nicht hingegen Management, z.B. als Selbstmanagement oder horizontales Management). Damit sind „kokreative“ Business-Ökosysteme mit allen Konsequenzen die radikalste Variante von New Management und New Work.

Keine ferne Zukunftsmusik

Bedeutet radikal damit ferne Zukunftsmusik? Radikal in diesem Kontext bedeutet vor allem mutig und konsequent zukunftsorientiert. Dafür muss man nicht nach Kalifornien oder China schauen. Den Autor dieses Beitrags hat es in diesen Sinne besonders gefreut, dass EY im Jahr 2019 Haufe ausgezeichnet hat. Das Unternehmen ist als Sieger in der Kategorie Digitale Transformation so viele Jahrzehnte erfolgreich, weil man in der DNS des Unternehmens auf Zukunftsfähigkeit und Innovation setzt und neue unternehmerische Potenziale konsequent fördert, vorhandene Potenziale weiterentwickelt und andere ohne Zukunft aber auch konsequent beerdigt.

New Work und New Management – 2020 erst recht!

Was mich freut: Wichtige nachhaltige New Work-/New Management-Akteure wie Xing, Haufe oder Detecon zucken nun angesichts des Gegenwinds nicht zurück oder – noch schlimmer – werden vom Paulus zum Saulus, um auf der populistischen Rollback-Welle zu surfen. Vielmehr zeigen sie mit anderen Schwestern und Brüdern im Geiste auf, dass es gerade 2020 heißen muss: New Work / New Management – gerade jetzt.

Übrigens: 2020 lautet das Motto des Druckerforums „Leadership Everywhere“. Wenn das nicht eine unbewusste Hommage an die Paradigmatiker ist. Zudem ist es die richtige Antwort auf die Schlussrede von Charles Handy 2017 in Wien, der damals die Überwindung der kafkaesken Irrwege der „Corporates“ durch eine neue, humanzentrierte Reformation/ Revolution von der Drucker-Community einforderte.

2016 litt der Autor dieses Beitrags in Wien noch daran, dass mancher Top-Thinker in einer „Entrepreneurial Society“ vor allem die „Uber-Menschen“ als Hoffnungsträger sah (Nietzsche meets Kalanick) statt Unternehmertum und Führung – wie es Sattelberger und andere auch schon früh forderten – zu „demokratisieren“ bzw. zur allgemeinen DNS werden zu lassen. Wer fundamentalen Wandel will, muss manchmal einfach geduldig sein, dann findet auch das Who-Is-Who des Managements den richtigen Weg in die Zukunft.