Organisationsentwicklung Change Management

Wir müssen New Management-Schulen zusammendenken!

Der Wandel, den wir erleben, ist so radikal, dass er nicht nur die Silos und Hierarchien hinfort fegt, sondern unsere klassischen Begriffe wie Produkt, Organisation oder Markt in einer kokreativen Netzwerk-Ökonomie radikal hinterfragt. Wir müssen auch beim Denken Mauern einreißen.

Transformation bedeutet, alles von Grund auf neu aufzubauen: Organisation, Produkte, Märkte.  Foto: Christoph Pause
Transformation bedeutet, alles von Grund auf neu aufzubauen: Organisation, Produkte, Märkte. Foto: Christoph Pause

Die „Große Transformation“ – was es auch immer sei …

Karl Polanyi gehört wie Joseph Schumpeter, Karl Marx oder neuerdings Frithjof Bergmann zu jenen Opfern des eigenen Erfolges, die aufgrund ihrer wunderbaren Schlüssel-Begriffe („Große Transformation“, „Kreative Zerstörung“, „Entfremdung“, „New Work“, …) viel häufiger zitiert als gelesen und dann oft auch beliebig verzerrt oder reduziert interpretiert werden. Um ehrlich zu sein, habe ich meinen Polyani auch noch nicht zu Ende gelesen. Und noch ehrlicher: Auch ich missbrauche Polyani im Wesentlichen als Stichwortgeber. Denn ich weiß noch nicht genau, was Polyanis Konzept der „Großen Transformation“ im Detail umfasst, wobei ich kein Freund von Prophetentreue bin. Intuitiv erahne ich aber, dass wir uns genau in einer solchen Transformation befinden, die auch weit mehr ist als ein trivialisiertes Verständnis von „Digitalisierung“, das leider immer noch so dominierend ist, dass in diesem Beitrag die Anführungszeichen ein kritisches Hinterfragen von „digital“ andeuten.

Nur die Organisation zu verändern, macht Unternehmen nicht innovativer. Aber neue Wertschöpfung in alten Strukturen ist ebenfalls unmöglich.  Grafik: Dr. Winfried Felser
Nur die Organisation zu verändern, macht Unternehmen nicht innovativer. Aber neue Wertschöpfung in alten Strukturen ist ebenfalls unmöglich. Grafik: Dr. Winfried Felser

Es geht nicht nur darum, unsere alten Denk- und Gestaltungsmuster mit digitalem Sternenstaub zu überziehen, wie es einst spöttisch Ralf Gräßler, einer der Väter von Collaborative HR, beschrieb. Der Wandel ist so radikal, dass er nicht nur die Silos und Hierarchien hinfort fegt, sondern unsere klassischen Begriffe wie Produkt, Organisation oder Markt in einer kokreativen Netzwerk-Ökonomie radikal hinterfragt und noch radikaler sogar unser hellenistisches Erbe, das Denken in Kategorien / Ontologien und binärer Logik. Aber keine Panik: So weit wollen wir in diesem Beitrag nicht gehen.

Die „Große Transformation“ braucht ein „großes Bild“

Was auch ohne Diskussion eines transhellenistischen Ansatzes klar sein sollte: Wenn wir uns in einer Zeit der „Großen Transformation“ befinden, dann wäre es ideal, auch auf „große“ Bilder zurückgreifen zu können. Was haben wir zur Zeit stattdessen? Wir leben in einer fast babylonischen Zeit der Begriffs-Kreationen und damit einhergehenden Handlungs-Unsicherheiten.

Disruption (Schumpeter 4.0 von Clayton Christensen) oder Ecosystem-Economy, Design Thinking oder Customer Development, Service Dominant Logic oder Transformational Products, New Work oder Future of Work (Charles Handy versus Friedjof Bergmann) oder ganz neu – in Wirklichkeit relative alt – Ambidextrie, Holacracy oder doch Scrum, am besten auch Agile, Cloud, Crowd, Swarm, … und was war eigentlich Second Maschine Age versus Industrie 4.0, … Wer viel Zeit hat, hat viele Möglichkeiten, diese Zeit mit Literatur über neue Management-Konzepte zu füllen. Was ihm / ihr am Ende fehlt, ist ein Bild, das den Gesamtrahmen deutlich und damit auch die Einzelbausteine verständlich macht.

Irgendwas mit „Markt“, „Produkt“ und „Arbeit“

Ein wenig Klarheit schafft man für sich und andere, wenn man all die schönen neuen Begriffe einmal den alten Begriffen „Markt“, „Produkt“ und „Arbeit“ zuordnet. Auch wenn das an manchen Stellen knirscht und überlappend ist, hat man zumindest einen ersten Schritt geschaffen, um Ordnung in der Unordnung zu ermöglichen. Wie bei den alten Synoptikern (Lukas, Matthäus, Markus) schafft das Nebeneinanderlegen Klarheit.

Man wird nicht erfolgreich zu neuen Wertschöpfungskonzepten und Services für Kunden aufbrechen können, ohne eine Organisation, die auch ausreichend komplexitätsfähig ist.

Der Cluster „Markt“ mit Disruption, Plattformen, Ecosystemen … trifft dann auf einen Cluster „Produkt“ mit Design Thinking, Customer Development, MVP, … und einen Cluster „Arbeit, Organisation, Management“ mit New Work, Future of Work, Holacracy, Scrum, Agile, …

Doppelte Integration der Cluster Disruption, Design Thinking, New Work

Diese Cluster sind nun doppelt zu integrieren. Zum einen gilt es horizontal zu klären, wie diese Bausteine zusammenwirken können und /oder müssen. Es nutzt nichts, die Organisation neu aufzustellen, um damit weiterhin das alte Business zu realisieren, das dann so vielleicht gar nicht mehr zukunftsfähig ist, weil z.B. disruptive Entwicklungen drohen.

Der Wandel ist so radikal, dass er nicht nur die Silos und Hierarchien hinfort fegt, sondern unsere klassischen Begriffe wie Produkt, Organisation oder Markt.

Umgekehrt wird man nicht erfolgreich zu neuen Wertschöpfungskonzepten und Services für Kunden aufbrechen können, ohne eine Organisation, die auch ausreichend komplexitätsfähig ist, um solche Lösung zu unterstützen. Die jeweiligen Innovationen outside-in oder inside-out müssen am Ende zusammenpassen. Vor allem aber müssen wir Transformation im großen Kontext unserer neuen "Branchen"-Logiken verstehen, um uns nicht im Klein-Klein zu verlieren bzw. an der Zukunft vorbei zu optimieren. Das große Bild ist alternativlos, selbst wenn es aufgrund seiner Komplexität in spezifischen Details oft zunächst unklar bleibt.

Wenn wir also die "Große Transformation" in ihren Auswirkungen auf „Arbeit/Organisation“, „Produkte/Services“ und „Märkte“ (Regionen, Ökonomien, ...) integriert neu denken, dann gilt es auch eine möglichst einheitliche (Begriffs-) Logik der Transformation in allen Bereichen zu verstehen. Es macht das Leben nicht nur schwer, dass die verschiedenen Managementschulen nebeneinander stehen und oft nur einen partiellen Fokus haben, sie sprechen auch keine einheitliche Sprache. Sind Ecosysteme und Netzwerke dasselbe, wie ist es mit Kokreation und Kollaboration oder Power of Pull und WHYral? Hier fehlt noch eine einheitliche Theorie-Bildung, aber vor allem die eine einheitliche Begriffswelt für die Praxis.

Noch keine vereinheitlichende „ökonomische Gravitations-Theorie“, aber Praxis im Aufbruch

Der Autor arbeitet unverstanden seit über 20 Jahren an einer Theorie einer post-materiellen und -materialistischen (Kompetenz-) Netzwerk-Ökonomie, und er wäre bereit, dass alle seine Begriffe übernehmen dürfen. Was jetzt Ecosystem hieß, hieß da Kompetenz-Netzwerk (oder neudeutsch Competence Network), was jetzt Co-Creation heißt, hieß da kollaboratives Competence Networking. Vielleicht erkennen wir irgendwann alle, dass die Welt nur ein Gemenge aus Fraktalen kollaborativer Kognition bzw. Problemlösungen sind so wie schon Popper das Leben als Problemlösen erkannte. Aber im Ernst: Namen sind am Ende nur Schall und Rauch. Was schwerer wiegt: Der Ansatz konnte sich nicht durchsetzen und es zeigen sich noch keine Anzeichen auf Besserung. Zum Glück ist die Praxis diesbezüglich schon weiter. Teams und Köpfe aller führende Beratungen für das Neudenken von Organisationen und Kollaborationen sind im Aufbruch, was ganzheitliche Konzepte angeht.

Die Vordenker des New Management müssen zusammenarbeiten.
Winfried Felser

Volksfront von Judäa versus judäische Volksfront und die WOL-Spalter

Vielleicht gelingt einem (geschlechtsneutral) von ihnen ja in der Praxis, woran der Autor in der Theorie scheiterte – das große Bild … Es wäre ihnen und uns – ganz ohne Neid – zu wünschen. Man muss „jönne könne“.

Und denken wir noch kühner. Vielleicht denken die Vordenker der neuen Kollaboration und Kokreation sogar ihre Konzepte kollaborativ oder – altdeutsch formuliert – gemeinsam weiter. Das wird am Ende wahrscheinlich aber schwierig sein. Wie war das im Leben des Brian mit der Volksfront von Judäa versus judäische Volksfront? Und dann gibt es noch diese WOL-Spalter. Was ist eigentlich aus WOL geworden?

Die Graswurzel macht natürlich wieder ihr eigenes Ding.

All you need is love …

Mit Liebe könnten wir solche Grenzen überwinden (klingt nach Helene Fischer). WOL ist z.B. ideal, um neue Netzfähigkeiten für Netzwerk-Organisationen zu erlernen und the Power of Pull / WHYral noch besser zu leben. Das passt. Auch WHYral, Rebuilding und Ambidextrie beißen sich nicht und werden komplementär ideal ergänzt durch marktorientierte Ansätze wie Deep Value. Wenn uns das Gemeinsam tatsächlich gelingt, dann könnten wir noch schneller aus den kleinen Partial-Nischen wegkommen und wirklich die Großen Transformationen zusammen realisieren.

Die
Die "Große Transformation" ist viel mehr als New Work. Sie verlangt, alles Hergebrachte zu überdenken, nicht nur die Zusammenarbeit im Unternehmen. Grafik: Dr. Winfried felser

Auf der Basis könnte man dann auch über Vorgehensmodelle nachdenken. Ich hätte da für uns alle einen Vorschlag (oder so ähnlich, noch offen für 1 oder 2 Ideen …).