Innovation Agilität

Fehler? Ja bitte - aber nicht als Selbstzweck

Auf der Suche nach Neuem treffen Menschen auf Unerwartetes, auf das sie nicht vorbereitet sind. Und dann entsteht, was man gemeinhin Fehler nennt. Das ist nicht schlimm, sondern notwendig. Entscheidend ist, was man daraus macht. Glorifizieren sollten wir Fehler aber auch nicht. Sie sind kein Selbstzweck.

Versuch macht klug. So einfach ist das – und doch so schwer.
Versuch macht klug. So einfach ist das – und doch so schwer.

Mehr Fehler machen

„Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich im nächsten Leben versuchen, mehr Fehler zu machen.” Dieser Aphorismus wird dem argentinischen Schriftsteller Jorge Luis Borges zugeschrieben: Mit dem kleinen Makel vielleicht, dass sich Borges’ Witwe sicher gibt, er hätte es nie gesagt, und seit einiger Zeit versucht, die Zuschreibung zu verhindern. Was so ganz nebenbei auch das ambivalente Verhältnis der Menschen zur Fehlbarkeit illustriert. Der Wunsch, Dinge beim ersten Mal richtig zu machen, das Streben nach Perfektion, ist tief in uns allen verankert. Dank eines Fehlers etwas ein zweites Mal versuchen zu müssen, ist äußerst unpopulär. Fehler sind kostspielig. Etwas zum dritten Mal oder häufiger zu versuchen, ist deshalb erst recht keine Option.

Der Wunsch, Dinge beim ersten Mal richtig zu machen, das Streben nach Perfektion, ist tief in uns allen verankert.

Wenn man darin übereinstimmt, dass Fehler vor allem dann unvermeidlich sind, wenn Neues entstehen soll, fällt es leicht, zu akzeptieren, dass wir mit Fehlern anders umgehen sollten. Die Autoren Rob Austin und Lee Devin, der eine Wirtschaftswissenschaftler, der andere Dramaturg, sind zum Beispiel davon überzeugt, dass wir uns unnötig beim Erforschen der Dinge einschränken, wenn wir zwischen Irrtum („berühre einen heißen Ofen einmal”) und Fehler („berühre ihn ein zweites Mal”) unterscheiden. Dinge wieder und wieder zu versuchen, mehrfach gegen etwas anzulaufen, kann notwendig sein, um Blockaden zu überwinden. In der Geschichte finden sich zahllose Beispiele von Innovationen, die nur deshalb entstanden sind, weil Menschen nicht aufhörten, etwas immer und immer wieder zu versuchen. Für Austin und Devin kann es manchmal notwendig sein, die heiße Herdplatte nicht nur zweimal, sondern auch zehnmal anzufassen. Das ist untertrieben gesagt nie ein gutes Gefühl, so wie es immer eine schmerzhafte Erfahrung ist, wenn etwas schief geht. Doch es ist eben auch eine Erfahrung, die im geringsten Fall das eigene Können verbessert und im besten Fall zu einem Durchbruch führt.

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Wir machen aus Gift Medizin

Der amerikanische Pianist und Komponist Herbie Hancock hatte ein derartiges Erlebnis während eines Konzertes mit Miles Davis: „Als Miles gerade eines seiner unglaublichen Solos spielte, spielte ich den falschen Akkord. Es hörte sich einfach komplett falsch an. Es klang nach einem einzigen Fehler. Ich hielt mir mit meinen Händen sogar die Ohren zu. Miles setzte für eine Sekunde aus. Dann spielte er einige Noten, die meinen Akkord korrigierten. Er bügelte es aus, was mich erstaunte. Ich konnte nicht glauben, was ich hörte. Miles war dazu fähig, etwas Falsches in etwas Richtiges zu verwandeln, durch die Wahl der Noten, die er spielte, und aus einem Gefühl heraus. Ich konnte ungefähr eine Minute lang nicht spielen. Ich war nicht einmal in der Lage, das Klavier zu berühren. Heute verstehe ich, dass Miles das nicht als Fehler gesehen hat. Er sah es als etwas an, was einfach geschah. Es war einfach Teil der Situation, in der wir uns in diesem Moment befanden - und er ging damit um. Weil er es nicht als Fehler sah, fühlte er sich auch verantwortlich dafür, etwas dazu Passendes zu finden. Ich habe daraus viel gelernt, nicht nur in musikalischer Hinsicht, sondern fürs Leben. Wir können die Welt so sehen, wie wir sie gerne hätten, für uns als Individuen. Wir können es uns einfach machen. Aber ich glaube, der entscheidende Punkt ist, dass wir wachsen, und der einzige Weg dafür ist, dass wir offen genug sind, Situationen zu akzeptieren und zu erfahren, so wie sie sind – dass wir aus Gift Medizin machen. Nimm irgendeine Situation, in der du steckst, und mache etwas Konstruktives daraus. Das ist es, was ich von Miles gelernt habe.”

Erstrebenswerter als eine Kultur des Scheiterns erscheint uns eine Kultur, in der es erwünscht ist, Neues auszuprobieren.
Dirk Dobiéy und Thomas Köplin

Den Fehler als möglichen Ursprung des Neuen und als Beitrag zur individuellen Widerstandsfähigkeit zu verstehen, sollte natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich ein Fehler in vielen Fällen nicht zu etwas Besserem wenden lässt. Ein fehlerhaftes Bauteil führt zur weltweiten Rückrufaktion, eine Schwachstelle im Softwarecode erlaubt einen verheerenden Exploit. Bei dem, was wir mit Hancock und Davis andeuten, geht es deswegen auch nicht darum, den Fehler und seine Folgen zu romantisieren, sondern vielmehr darum, eine Haltung in unser Blickfeld zu rücken, die dem Unerwarteten, Unvorhergesehenen erwartungsvoll entgegentritt.

Die ständige Angst, etwas falsch zu machen, führt zuStillstand. Besser irren als gar nichts versuchen.
Die ständige Angst, etwas falsch zu machen, führt zu Stillstand. Besser irren als gar nichts versuchen.

Wissen braucht Erfahrung – auch fehlerbehaftete

Das absichtlich Unvollkommene, der nutzbringende Fehler – solche Ansätze sind in weiten Teilen der Wirtschaft nur schwer denkbar. Zwar mangelt es nicht an Aufforderungen für mehr Fehlerkultur aber es bleibt meist bei Appellen. Doch es gibt Ausnahmen: Kaum eine Branche arbeitet so intensiv an ihrer Fehlerkultur wie die Luftfahrt: Unglücke und Abstürze sind heute so selten wie nie zuvor. Die leidvollen Erfahrungen der Vergangenheit haben ihren Teil dazu beigetragen, zu akzeptieren und damit umzugehen, dass sich menschliches Versagen nie ganz abstellen lassen wird. Und wenn sogar in Bereichen, in denen Sicherheit, Verlässlichkeit und Qualität an erster Stelle stehen, konstruktiv mit Irrtümern umgegangen wird, dann sollte dies erst recht dort möglich sein, wo man Neuland betritt.

Es geht nicht darum, den Fehler zu romantisieren. Sondern darum, eine Haltung einzunehmen, dem Unvorhergesehenem erwartungsvoll entgegenzutreten.

 

 Man kann nicht immer richtigliegen

Die gängige Annahme in unseren Organisationen ist, dass Fehler kostspielig sind und Ressourcen verschwenden. Dabei übersieht man natürlich – und der Blick in Richtung Künstler kann das ganz klar vor Augen führen – dass der Fehler an sich schon eine Ressource ist. Im Künstlerischen wird der Fehler zum produktiven Bestandteil, was nicht etwa bedeutet, dass er notwendig oder hinnehmbar ist. Der Berliner Maler Jörn Grothkopp beschreibt seinen Weg vom ersten Impuls zum finalen Werk so: „Der Belebungsmoment ist wichtig und nicht das Sezieren. Es ist der Chirurg, der den Patienten nach der Operation auf dem Zimmer besucht und nachsieht, ob er wieder laufen kann. Dieses Beziehungsgeflecht drückt etwas aus, es ist in sich autark und funktioniert. Ein gutes Bild ist die Fehler losgeworden, die es zuvor daran hinderten, ein gutes Bild zu sein.“ Es könnte im Künstlerischen also weniger darum gehen, die Fehler, die man macht, zu akzeptieren, als vielmehr die von vornherein angelegte Fehlerhaftigkeit des eigenen Denken und Handelns zu verringern.

Das oftmals aufgesetzte Streben nach einer Fehlerkultur könnte so gesehen für Unternehmen ein Irrweg sein.

So offen ihr Umgang mit Fehlern ist, es gibt unter Künstlern niemanden, der Fehler herbeisehnt. Dagegen lassen andernorts manche Äußerungen den Eindruck entstehen, dass man mit dem Scheitern regelrecht kokettiert, um sich die Angst zu nehmen, etwas Neues auszuprobieren, indem man den schlimmsten Ausgang seines Handelns, der eintreten kann, den Worst Case zur Normalität erklärt. Auch wenn ein Unternehmen immer das Risiko des Scheiterns in sich trägt, darf Scheitern nicht zum Selbstzweck verkommen. Wer eine Fehlerkultur anführt, um dahinter Leichtsinn, Liederlichkeit und Ressourcenverschwendung zu verbergen, mag damit hier und da durchkommen. Künstlerisch ist dies deshalb noch lange nicht. Hier geht es darum, ausgehend von einer grundsätzlichen Fehlerhaftigkeit der Dinge den Versuch zu unternehmen, diese Fehlerhaftigkeit zu verringern. So verstanden sind Fehler, für den, der sie macht, unvorhersehbar auftretende, unerwünschte Begleiterscheinungen, die ihm, indem er aus ihnen lernt, dabei helfen, sie loszuwerden.

Das oftmals aufgesetzte Streben nach einer Fehlerkultur könnte so gesehen für Unternehmen ein Irrweg sein. Erstrebenswerter als eine Kultur des Scheiterns erscheint uns eine Kultur, in der es erwünscht ist, Neues auszuprobieren, in der es dazugehört, dem Ungewissen couragiert entgegenzugehen.

Autoren 

Dirk Dobiéy und Thomas Köplin sind Mitgründer des Beratungs-, Ausbildungs- und Forschungsnetzwerks Age of Artists. Dirk Dobiéy war bis 2014 in unterschiedlichen Führungsfunktionen in der mittleren Leitungsebene bei SAP tätig. Davor arbeitete der Betriebswirt viele Jahre als Unternehmensberater bei Hewlett-Packard sowie als Beratungsleiter bei T-Systems. Thomas Köplin ist seit 2002 in der Digitaleinheit der Deutschen Telekom für Organisations- und Strategieentwicklung sowie interne Kommunikation zuständig.

Sie sind Autoren des Buches "Creative Company".