Organisationsentwicklung Selbstorganisation

Von Organigrammen und anderen Arbeitshemmnissen

Die B. Braun Melsungen AG ist ein klassisches Unternehmensproblem ganz unklassisch angegangen - und hat dem eigenen Organigramm den Kampf angesagt.

Was kommt nach der Organigramm-Pyramide?
Was kommt nach der Organigramm-Pyramide?

Das Unternehmensparadoxon

Vor jeder Lösung steht ein Problem. Und vor einem Problem stand die B. Braun Melsungen AG: Der Umsatz des Unternehmens für Pharma- und Medizinbedarf mit Sitz in Hessen wuchs stetig, aber proportional dazu auch die Zahl der Mitarbeiter. Kein Problem in guten Zeiten, aber sobald der Umsatz einmal stagnieren sollte eine Kostenfalle. Was tun? Gegensteuern, und zwar radikal. Das meinten zumindest der CEO, Heinz-Walter Große, und die HR- und Kommunikationschefin des Unternehmens, Bernadette Tillmanns-Estorf.

Weg mit dem Organigramm

Die beiden entwickelten einen Plan: Das Organigramm abschaffen. Mithilfe des Programms Task & Teams.  Warum? „Das Organigramm ist wie ein lebendiger Organismus. Mittels einer unternehmensinternen Zuständigkeits-Zellteilung entstehen ständig neue Zellen. Denn zu viele wollen ein Kästchen für sich, zu viele wollen Teil der Verästelung sein. Und jedes Kästchen zieht eine neue Grenze – zu Kollegen, zu Themen und Verantwortlichkeiten. Statt Vernetzung gibt es Trennung, statt Effizienz nur Zuwachs. Und dann steht der Wirtschaftsprüfer vor einem und sagt: Sie werden immer mehr! Wie lange soll das noch gut gehen?“ So beschreibt Heinz-Walter Große seine Sicht auf das Organigramm.

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CEO Heinz-Walter Große Foto: B.BraunMelsungenAG

In zwei Bereichen des Unternehmens haben CEO und HR ihre Ideen mit Task & Teams Anfang 2017 in die Tat umgesetzt. Und nun ein Buch darüber veröffentlicht.

Das drohende Kostenrisiko war nur der Auslöser für den radikalen Umbau. Heinz-Walter Große und Bernadette Tillmanns-Estorf wollten noch weitere Probleme des Unternehmens angehen: Führungskräfte, die jede Entscheidung absegnen mussten und deshalb zum Flaschenhals geworden waren. Mitarbeiter, die gerne mehr Verantwortung übernehmen wollten, es in den bestehenden Strukturen aber nicht konnten.

Abteilungsübergreifende Zusammenarbeit statt Silo-Denken

Task & Teams soll diese Probleme lösen, indem es die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befähigt, selbstständig und in teilweise interdisziplinären Teams miteinander zu arbeiten. Diese teilweise neu zusammengefügten Teams wiederum sollen unter anderem Aufgaben übernehmen, für die in einer Abteilung vor der Etablierung von Task & Teams eine neue Stelle geschaffen worden wäre.

Das Konzept und seine Einführung fußen auf einem theoretischen Grundgerüst. Schlagworte wie Entscheidungen, Motivation, Wertschätzung, Kontrolle und Feedback werden für das neue Organisationsprinzip neu definiert oder - wenn sie nicht mehr gebraucht werden - ganz verworfen.

Ohne Regeln geht es nicht

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Personal- und Kommunikationschefin Bernadette Tillmanns-Estorf Foto: B.BraunMelsungenAG

Ein Schlagwort aber, das man im agilen Kontext und einer post-organigrammen Welt nicht vermutet, wird als besonders wichtig erachtet: Regeln. “Wir sind große Verfechter von Regeln. Wissen Sie, warum? Weil man Regeln eben auch mal brechen kann und auch muss“, heißt es in „Task & Teams“. Deshalb haben die Beteiligten von Task & Teams für die neue Art der Zusammenarbeit einige Regeln und Definitionen aufgestellt, angefangen von den Grundlagen für gute Zusammenarbeit über die Unterscheidung von einigen Begriffen wie Tasks und Projekten bis hin zur Definition von Entscheidungsprinzipien. Einige dieser Begriffe hat Bernadette Tillmanns-Estorf im Interview mit New Management erläutert.

Darum ist „Task & Teams“ lesenswert

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"Task & Teams" ist im Murmann Verlag erschienen.

Die genaue Beschreibung der Teamzusammensetzungen, der Meetings und Circles lädt zur Nachahmung ein. Wobei Autorin und Autor den Leserinnen und Lesern auch klarmachen, dass jedes Unternehmen selbst zu seinen agilen Arbeitsweisen finden muss und das Task & Teams selbst bei B. Braun noch erprobt, angepasst und weiterentwickelt wird. „Task & Teams lebt davon, dass es wächst und gedeiht wie in einem Biotop und dass es Woche für Woche besser wird durch die Beiträge, den Enthusiasmus und die Ideen der Kolleginnen und Kollegen“, heißt es im Buch.

Die Beispiele aus der Praxis, die ganz am Ende des Buches beschrieben sind, muten deshalb zum Teil noch etwas konstruiert an und auf manche Fragen können die Autorin und der Autor noch keine abschließende Antwort geben. Trotzdem ist das Buch jeder Führungskraft zu empfehlen, die den Sinn und Nutzen des eigenen Organigramms hinterfragen möchte und nach alternativen Organisationsmodellen sucht. Wie es bei der B. Braun Melsungen AG mit Task & Teams weitergeht, ob das Modell in noch mehr Bereichen des Unternehmens Anwendung findet und ob dadurch wirklich die proportional zum Umsatz wachsenden Einstellungen reduziert werden konnten, wird erst die Zukunft zeigen. Auf jeden Fall freuen wir uns in ein paar Jahren auf ein neues Buch aus dem Hause B. Braun mit noch mehr Beispielen aus der Praxis und Lessons Learned.