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Purpose: Kein Cargo-Kult, sondern Basis für Erfolg

Kommentar "Purpose" wird viel zu oft als Zuckerguss gesehen, der Widersprüche in Unternehmen überdecken soll. Dann ist er Cargo-Kult. Brauchen tun wir ihn jedoch, aber als Orchestrierung der vielen unterschiedlichen Sinnstiftungen der Menschen und Organisationen. Dieser Purpose hät Netzwerkorganisationen zusammen, meint Winfried Felser.

Purpose ist mehr als ein Rettungsring in der Not.                            Photo by who?du!nelson on Unsplash
Purpose ist mehr als ein Rettungsring in der Not. Photo by who?du!nelson on Unsplash

Fehlender gemeinsamer Purpose kann tödlich sein

Mein Lieblings-Filmzitat zum Thema Purpose stammt aus "2001: A Space Odyssey": „Dave. This conversation can serve no purpose any more. Goodbye” oder in der deutschen Übersetzung: „Dave. Das Gespräch hat keinen Zweck mehr. Es führt zu nichts. Leb wohl“. Wir kennen den Rest der Geschichte. Sie endet “tödlich“, ausnahmsweise mal nicht für das letzte lebende Crew-Mitglied (Dave), sondern am Ende für HAL. Es kann also ohne Purpose wirklich dumm laufen. Hier wäre ein gemeinsamer Purpose existentiell beziehungsweise eine lebenserhaltende Basis für Zusammenarbeit gewesen.

Wer seine MitarbeiterInnen zu SöldnerInnen macht, zahlt dafür einen Preis.

Purpose als Sinn-loser Cargo-Kult in Zeiten von Fake New Work

Purpose kann aber umgekehrt auch vollkommen irrelevant sein. Wenn Purpose nur ein Cargo-Kult ist und dummes, inhaltsloses Geschwätz ohne wirkliche Konsequenz in Zeiten der Cholera respektive von Fake New Work nur den manipulativen Versuch darstellt, die brutale Shareholder-Zentrierung einer kafkaesken Corporate-Welt mit Purpose-Zuckerguss zu kaschieren. „Liebe macht es günstiger“ meinte der Autor dieses Beitrags einst auf dem Talent Management-Gipfel von Haufe zu Randolf Jessl, als ein hervorragender Professor Sliwka aus Köln seine Folien zum Zusammenhang von Commitment und Vergütung auflegte. Mitarbeiter mit hohem Commitment würden unter Umständen schlechter bezahlt. Das ist – wie meistens – keine Aussage zur Kausalität, sondern nur zur Koinzidenz!

Wie können wir das Sinnlose oder Pseudo-Sinnvolle der real existierenden Corporates überwinden?

Glücklicherweise warnte Professor Sliwka vor der naiven Interpretation der Zahlen. Daher sollten Unternehmen auch nicht das Commitment der Menschen nutzen, um Lohnkosten durch „Liebe“ niedrig zu halten: Sie sollten vielmehr erkennen, dass dahinter möglicherweise die umgekehrte Wahrheit steckt, die gerade Personaler nicht vergessen sollten: Wer seine MitarbeiterInnen zu SöldnerInnen macht, zahlt dafür einen Preis. Statt von "Liebe" können wir auch von "Sinnstiftung" sprechen und konstatieren: Sinnloses Tun erfordert Schmerzensgeld.

„Purpose“ als Kern der Strategie

Purpose sollte also weder Cargo-Kult noch manipulativer Kosten-Sparer sein. In einer kokreativen Ecosystem-Welt, in der ein großer Teil der Wertschöpfung gar nicht mehr Entgelt-basiert ist (Kunden als Kokreatoren und Empfehler, Crowd als Innovatoren, …), ist Purpose hingegen ein wichtiger Faktor der Gravitation, die die neuen Wertschöpfungs-Netzwerke zusammenhält und die neue kokreative Eco-Logik der Wertschöpfung jenseits der alten transaktionalen Ego-Logik ermöglicht. Aber nur dann, wenn die Orchestrierung der multiplen Sinnstiftungen nicht Zuckerguss ist, sondern Kern der Strategie.

Sinn-voll das Kafkaeske der Corporate-Logik überwinden

Was sagt eigentlich Luhmann dazu? Das interessiert mich überhaupt nicht. Luhmann ist Repräsentant einer vergangenen Logik ebenso wie manche Vertreter von Geschäftsmodellen, die die Ikonifizierung Luhmanns als Basis haben. Mancher Krisenmanager wird zudem einwerfen, dass in der Überlebenskrise der Purpose vielen relativ egal ist. Das ist natürlich so. Erst kommt das Fressen, dann die Moral, aber irgendwann ist Fressen eben nicht mehr genug Sinnstiftung, vor allem nach einem Überfressen bzw. unserem system-bedingten „Großen Fressen“, das in die Katastrophe führt.

Was mich hingegen sehr wohl interessiert: Wie können wir das Sinnlose oder Pseudo-Sinnvolle der real existierenden Corporates überwinden? Meine Hoffnung lautet: Ecosystem-orientierte Konzepte wie FLEAT  oder auch Company Rebuilding von unseren Partnern Haufe und Detecon. Es geht bei diesen Konzepten nicht nur darum, Plattformen für Innovation und Markt- und Kompetenzorientierung zu schaffen und erfolgreich zu machen. Im Idealfall sind diese Plattformen im Kern „purpose-driven“.

Doch in einem Unternehmen, das als Verbund unterschiedlicher Boote organisiert ist, braucht nicht nur jedes Boot seinen Purpose, sondern auch der Flottenverbund. Joachim Rotzinger hat richtigerweise darauf hingewiesen, dass die inhärente Anti-Gravitation in ambidextren Organisationen (Effizienz-Logik versus Innovations-Logik) einen neuen Zusammenhalt braucht. Seine Antwort: ein verbindender Purpose, der uns die Konflikte aushalten lässt. Eine gute Antwort. Dabei ist „metaphysischer“ Purpose natürlich nicht genug. „Partizipation“ sollte klären, wie man in Ecosystemen Wert-Gerechtigkeit sicherstellt, damit nicht „Purpose“ zusammenhalten muss, was an schiefer Partizipation Sprengkraft erzeugt. Das Purpose-Thema beschreibt eben keine einsame Inseln gemeinsamer Glückseligkeit, sondern Netzwerke fraktaler, polykontextureller Sinn-Orchestrierungen, wo Moral und Metaphysik einerseits und Fressen andererseits sinnvoll zu ihrem Recht kommen.