Customer Experience Business Strategie

Customer Centricity: "Wir brauchen einen Wertewandel"

Wie werden Unternehmen kundenzentriert? Indem sie wirklich mit den Augen ihrer Kund:innen auf die eigenen Angebote und Services gucken. Und lernen. Wie das gelingen kann, diskutiert Johannes Ceh in einem Roundtable-Gespräch.

Kundenzentrierung ist keine Frage der Instrumente

So zentral es für Unternehmen ist, sich auf Kunden auszurichten, so enttäuschend sind oft die praktischen Erfahrungen. Johannes Ceh analysiert „Kunde“ seit vielen Jahren als Organisationsherausforderung, und vermittelt regelmäßig Lösungen mit verständlichen „Jobs to Be Done“ für Führung, Struktur und Kultur.

„Der technische Fortschritt ermöglicht es Unternehmen, Kund:innen immer besser zu verstehen. Doch damit steigen auch die Erwartungen der Kund:innen. Die entscheidenden PS liegen nicht in einer neuen Software oder Datenbank, sondern in der Qualität des Zusammenwirkens von Menschen mithilfe solcher Werkzeuge“, erklärt Johannes Ceh. Was das bedeutet, untersucht Ceh im Gespräch mit André Morys, dem Gründer von konversionsKRAFT, Ruppert Bodmeier, Gründer von disrooptive und Lars Giere, bis Mitte 2020 Global Head of Incubating bei mobile.de und danach Gründer von Felmo, einem Start-Up, das Prozesse zur Tiergesundheit digitalisiert.

Es geht um echte Probleme

Kundenzentrierung bedeutet nicht, dass ein Unternehmen eine Lösung hat und dann das dazu passende Problem sucht. Die unternehmerische Frage muss viel mehr lauten: „Welche echten Probleme hat der Kunde, können wir ihm eine passende Problemlösung bieten, und generiert diese für uns Umsatz? Die Lösung muss dem Problem folgen und nicht umgekehrt“ so Ruppert Bodmeier.

Will man Kundenzentrierung im täglichen Arbeitsleben umsetzen, müssen dazu zunächst die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Das sei sehr aufwendig, meint André Morys: „Mit der Skalierung eines Unternehmens ist das Aufrechthalten des kundenzentrierten Handelns umso schwieriger.“  Ändere sich die Unternehmensstruktur, müsse die Kundenzentrierung folgen.

Zusammenwirken muss gewollt sein. Es ist eine Frage des Charakters.

Eine Organisation muss dabei auch lernen eine Sprache zu sprechen, die alle sprechen und verstehen. Dafür gilt es zunächst, die Erwartungen, Vorstellungen und Anforderungen zu klären, bevor die Reise losgeht. Booking.com hat es zum Beispiel geschafft, in der gesamten Organisation dieses Verständnis von Kunde – Markt – Business zu implementieren – mithilfe einer entsprechenden Sprache.

Ebenso braucht es ein klares Entscheidungs-Framework, das Verantwortlichkeiten und Entscheidungsbefugnisse sehr klar definiert. Denn oft sind die Organisationsstruktur und die Prozesse die limitierenden Faktoren – je größer und je komplexer desto langsamer und komplizierter werden Entscheidungen getroffen. „Um schneller und klarer nachvollziehbare Entscheidungen treffen zu können, muss klar sein, wie und auf welcher Basis Entscheidungen zustande kommen“, sagt Lars Giere.

Gekränkte Entscheider

Die Teilnehmer der Podcast-Runde sind sich einig: Oft steht das Ego von Entscheidern im Weg. Das, was der Kunde sagt oder will, das, was Kundendaten sagen, steht nicht im Einklang mit dem Bauchgefühl eines Entscheiders, seinem Weltbild oder dem, was das Unternehmen möchte. „Dann ist man gekränkt, negiert diese Sicht der Dinge und schon ist die Kundenzentrierung weg“, so Morys.

Es braucht einen Wandel vom negativen Ideenwettbewerb – „Da werden mit Gewalt die eigenen Ideen gegen eine andere Idee durchgeboxt, selbst wenn die andere Idee besser ist“, so Bodemeier – hin zum positiven Ideenwettbewerb: „Ideen werden von verschiedenen Personen in verschiedenen Phasen bearbeitet, und Menschen überlegen dann, welche sie anzieht und hinter welcher Idee sie stehen“, erklärt Giede. „Zusammenwirken muss gewollt sein. Es ist eine Frage des Charakters“, ergänzt Johannes Ceh.

Denkmuster aufbrechen

Oftmals ist auch ein problembehafteter Fokus mit Begrenzungen, zu viel Wissen und Komplexität hinderlich, kundenzentriert zu sein. Hier braucht es ein Aufbrechen der Denkmuster. Es gehe darum, von außen, aus einem anderen Blickwinkel, auf eine Sache zu schauen. Sich ganz gezielt zu fragen: „Wie fühlt sich das für den Kunden an?“

So könne etwa ein Teil eines Workshops darin bestehen, bewusst die Kundensicht einzunehmen und zwei bis drei Markenauftritte der Konkurrenz anzuschauen und festzuhalten, was einem auffällt. Und dann mit dieser Brille den eigenen Unternehmensauftritt zu analysieren. Sodass die Mitarbeitenden das fühlen und erleben, was die Kunden fühlen und erleben, bewusst vom Schreibtisch weg, um den Wahrnehmungsverzerrungen entgegenzuwirken. Arbeitshypothesen müssen kundenorientiert und mit dem Kunden verknüpft sein, beim Kunden andocken.

Das Vorleben und Einfordern von Kundenzentrierung ist keine Plattitüde, es muss seitens des Managements umgesetzt und gefördert, nicht nur gefordert werden. Es gilt, Räume und Perspektiven zu schaffen, wo Mitarbeiter sich in die Kundenperspektive versetzen können. Angepasst an die entsprechende Unternehmenskultur und -struktur braucht es das richtige Maß an Freiheiten und Vorgaben. Einfachheit und die Verständlichkeit sind sehr wichtig, speziell dann, wenn es über viele Ebenen geht.

Rahmenbedingungen für Kundenzentrierung

Struktur und Kultur: Es müssen die richtigen, an die Organisation angepassten Strukturen und Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Kundenzentrierung ermöglichen. Dazu gehört, eine Fehlerkultur zu etablieren und auch einmal zuzugeben, dass man etwas nicht weiß, aber lernen möchte. Es braucht Räume und Perspektiven, die zu dieser kundenzentrierten Sichtweise führen. So könnte zum Beispiel jede:r Mitarbeitende eine Woche im Jahr im Verkauf arbeiten. Und es gilt, die richtigen Leute zu rekrutieren, welche die Philosophie der Kundenzentrierung zu hundert Prozent mittragen und ihr eigenes Ego unterordnen können.

Kommunikation ist das A und O. Daher braucht es braucht eine klare, einfache, für alle verständliche gemeinsame Sprache. Manch ein Unternehmen täte gut daran, die ganzen Anglizismen sauber in die eigene Sprache zu überführen.

Vorbildfunktion: Kundenorientierung muss vorgelebt werden. Nicht nur vom Top-Management, sondern von jede:m in der Organisation, mit Rückendeckung des Managements: Wichtig sind auch klare, messbare Ziele, individuell und im Team.

Ein Entscheidungs-Framework, das Verantwortlichkeiten und Entscheidungsbefugnisse sehr klar definiert, macht klare, nachvollziehbare Vorgaben, wie Entscheidungen getroffen werden, damit dies schneller und für alle verständlich passieren kann.

Kundenzentrierung ist ein Organisationsthema, kein Tech-Thema. Es ist von der Größe des Unternehmens abhängig und muss sehr konkret in der Begleitung und Umsetzung sein. „Dieses Verständnis ist leider in deutschen Unternehmen oft noch nicht angekommen“, erklärt Johannes Ceh. „In den USA und in Asien ist es selbstverständlich, Kund:in und Mitarbeiter:in jeweils mit einem Vorstandsposten zu priorisieren und das Zusammenwirken als zentralen Hebel zu verstehen. Deutsche Marketing- und Vertriebsentscheider investieren vergleichsweise ungern in tiefgreifende Veränderung.“