Customer Experience Business Transformation

Kundenkrönung schwer gemacht

Kommentar Die Welt des neuen Managements ist voller hochtrabender Begriffe und gut gemeinter Ratschläge. Was davon aber bewährt sich im harten Alltag eines Interim- und Turnaroundmanagers? Bodo Antonic gibt Antworten. Diesmal: „Customer Centricity“.

It's Coronation Time! Gerade in der Pandemie zeigt sich, was as Bekenntnis zum Kunden wert ist.
It's Coronation Time! Gerade in der Pandemie zeigt sich, was as Bekenntnis zum Kunden wert ist.

Ist der Kunde wirklich König?

Der Kunde ist König, heißt es. Doch ist er das wirklich? Ich habe Zweifel. In je mehr Unternehmen ich hineinblicke, umso mehr. Und in Corona-Zeiten sowieso. Da starren alle schreckgebannt auf ein Virus. Und auf ihre Zahlen. Und genau da liegt das Problem.

Wir haben uns in unseren Unternehmen auf Zahlen fokussiert. Genauer noch: auf zwei! Umsatz und Gewinn. Und beide vernebeln unseren Blick auf das, worum es wirklich geht. Und das ist nicht Corona. Es ist auch nicht der Markt. Oder der Mitarbeiter. Es ist der Kunde.

Alles ist auf Kunde geeicht. Wirklich alles?

Jetzt werden Sie einwenden: Stimmt doch gar nicht, bei uns steht der Kunde im Mittelpunkt. Ihre Berater haben doch nicht umsonst Ihre Prozesse, Ihre Kultur, ja jeden Ihrer Mitarbeiter auf „customer centricity“ geeicht.

Wir haben uns in unseren Unternehmen auf Zahlen fokussiert. Genauer noch: auf zwei! Umsatz und Gewinn. Und beide vernebeln unseren Blick auf das, worum es wirklich geht. Und das ist der Kunde.

Ihre Berater haben Post-Its geklebt, wo der in Ihrem Alltag überall eine Rolle spielt und ihn fest in Ihren Prozessen verbaut. Sie haben die Wände mit Sinnsprüchen zur Bedeutung Ihres Kunden plakatiert und diesen packenden Imagefilm neulich auf YouTube gestellt. Sie selbst laden zu Hausmessen, provisionieren ein Heer an Vertriebsfachleuten, schreiben Service groß und versenden Weihnachtsbriefe und -geschenke an Ihre sehr geehrten Kunden.

Ihre Unternehmenssteuerung ignoriert den Kunden!

Und dennoch sage ich: Auch bei Ihnen ist der Kunde mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht König, sondern ein armes Würstchen. Denn im Zweifel sind Ihnen Ihr Jahresabschluss, Ihre Arbeitsorganisation, Ihre Standardprozesse wichtiger als dieses unheimliche Wesen, das Ihre Produkte kauft, Ihre Leistungen ordert und Ihre Rechnungen begleicht. Darin sind sich die Anhänger von New Management mit denen von Traditional Management übrigens ziemlich ähnlich.

Im Zweifel sind Ihnen Ihr Jahresabschluss, Ihre Arbeitsorganisation, Ihre Standardprozesse wichtiger als Ihr Kunde, dieses unheimliche Wesen, das Ihre Produkte kauft.

„Customer Centricity“ oder Kundenorientierung herrscht nur dort, wo die Kundenzufriedenheit (ob gemessen oder nur gefühlt) die Finanzkennzahl Gewinn (EBITDA) als Messlatte überragt. Sie herrscht dort, wo Geschäftsführer und Finanzchefs ihre Bücher solange zusammengeklappt lassen, bis auch der letzte unzufriedene Kunde zufriedengestellt wird. Und das kostet Geld und Mühe. Aber es zahlt sich aus.

Kundenorientierung kostet Geld und zahlt sich aus

Ein Beispiel dazu. Damals beim Medizintechnikhändler: Die Krankenkassen hatten soeben den Preis für Diabetes-Teststreifen gedeckelt. Wir hätten dann den Differenzbetrag als Zuzahlung eben an den Kunden weiterreichen und den schwarzen Peter an die Kassen weitergeben können. Das haben wir nicht getan, sondern unsere Preise aufs geforderte Maß reduziert. Das hat zuerst Marge gekostet, aber Kunden gebunden, Kunden begeistert und über Mund-zu-Mund-Propaganda neue Kunden gebracht. Am Ende stimmte auch der Jahresabschluss froh.

„Customer Centricity“ oder Kundenorientierung herrscht nur dort, wo die Kundenzufriedenheit (ob gemessen oder nur gefühlt) die Finanzkennzahl Gewinn (EBITDA) als Messlatte überragt.

Und noch ein Beispiel. Damals beim Labordienstleister: Der wickelte die Übermittlung von Aufträgen und Befunden ganz fortschrittlich digital ab. Doch die Konnektivitätsbox wurde zwar günstig produziert, aber funktionierte eher ungünstig, weil schlecht und selten. Also auch hier: Teil ersetzen, Teil hochwertiger und neu produzieren lassen und Teil wieder ausliefern lassen. Alles auf eigene Kosten, versteht sich. Die Effekte waren dieselben wie im Beispiel oben: Kunden beeindruckt, Mitarbeiter stolz, Produkterleben richtungsweisend und Bestelleingang voll.

Der Gewinn als Fetisch

Nur durch Kompromisslosigkeit, wenn es um die Erbringung der eigenen Leistung und die Zufriedenheit des Kunden geht, stellen sich dauerhaft Umsatz und Gewinn ein. Wer aber im Alltag ständig diese Zahlen wie einen Fetisch in jedes Meeting trägt, sollte sich des Wortes „customer centricity“ oder „Kundenorientierung“ nicht bedienen.

Wer im Alltag ständig diese Umsatz- und Gewinnzahlen wie einen Fetisch in jedes Meeting trägt, sollte sich des Wortes „customer centricity“ oder „Kundenorientierung“ nicht bedienen.

Und hier kommt nun Corona ins Spiel. Denn auch hier gucken alle wieder auf die Zahlen. Um wieviel bricht der Umsatz ein? Was macht der Cashflow? Wie steht es um den Gewinn? Dabei wäre es der Ritterschlag in Sachen „customer centricity“ zu fragen: Wie geht es unserem Kunden, was braucht unser Kunde gerade jetzt, wie können wir ihm helfen?

Corona ist die Chance, Ihren Kunden zu krönen

Das aber haben die Berater und Trainer weder auf ihren PowerPoints noch auf ihren Post-Its stehen. Wahrscheinlich, weil es zu offensichtlich ist. Und viele meiner Managerkollegen stecken oft zu tief in ihren Büchern, als dass sie diese Chance erkennen könnten. Kommt raus da und rollt Euren Kunden den roten Teppich aus, möchte ich rufen. It’s Coronation Time!