Innovation Business Strategie

Ideen sind kein Zufall

Analyse Einfach mal kreativ drauflos denken und brainstormen – ganz so einfach ist das mit Innovationen nicht. Es gilt vielmehr, systematisch und iterativ an echten Kundenproblemen zu arbeiten, meinen Lucas Sauberschwarz und Lysander Weiß. Methoden und Prozesse statt Free Flow.

Kelly Sikkema auf Unsplash
Kelly Sikkema auf Unsplash

Systematische Innovationsentwicklung

„Innovation ist 1 Prozent Inspiration und 99 Prozent Schweiß.“ Das Zitat vom Serienerfinder Thomas Edison (über 10.000 Patente!) zeigt: Im Gegensatz zum weit verbreiteten Mythos sind gute Ideen nicht dem Geistesblitz unter der Dusche oder einem Zufall geschuldet, sondern vor allem Produkt harter Arbeit. Und das ist auch nötig, denn Unternehmen können sich für Ihre Zukunft nicht allein auf Geistesblitze und Zufälle verlassen – selbst wenn es auch diese natürlich mal geben kann. Stattdessen müssen sie systematisch relevante Probleme identifizieren, passende Lösungen entwickeln und erfolgreich auf den Markt bringen.

Artikelserie Innovation 

Um sich kontinuierlich an die heute unsichere und dynamische Umwelt anzupassen, benötigen Unternehmen die organisatorischen Fähigkeiten für kontinuierliche und wirksame Innovation. Diese Fähigkeiten können durch ein ganzheitliches Innovationsmanagementsystem aufgebaut werden. Die einzelnen Stellhebel dieses Systems werden in dieser Artikelserie behandelt.

Alle Artikel der Serie

Im vergangenen Jahrhundert wurden dafür insbesondere klassische Forschungs- und Entwicklungseinheiten (F&E) aufgesetzt, welche wie Edison mit harter Arbeit Patente am Fließband produzieren konnten. So hat beispielsweise Bosch allein im Jahr 2022 fast 4.000 Patente angemeldet.

Mit dem Ziel, nicht nur technische Innovationen auf den Markt zu werfen, sondern kundenzentriert, gezielt und iterativ neue Lösungen zu entwickeln, sind heute viele weitere Methoden für die systematische Innovationsentwicklung dazu gekommen. Dabei wird insbesondere konvergentes und divergentes Denken kombiniert, um so schrittweise zu den besten Innovationen zu kommen.

Divergentes Denken fokussiert sich hierbei auf die Verbreiterung der Möglichkeiten, zum Beispiel, indem möglichst viele Probleme, Lösungsideen oder Umsetzungsvarianten generiert werden. Konvergentes Denken spezialisiert sich dann darauf, die beste(n) Möglichkeiten zu identifizieren und auszuwählen. 

Die sinnvolle Kombination der verschiedenen Methoden unter der Berücksichtigung von divergentem und konvergentem Denken in einem systematischen Prozess erhöht dann die Chance auf erfolgreiche Innovationen mit einem relevanten strategischen Wertbeitrag für das Unternehmen. Doch wie genau kann ein solcher Prozess aussehen?

Systematischer Innovationsprozess

Die Antwort auf diese Frage ist gar nicht so einfach. Denn Innovation ist nicht nur unsicher, sondern auch komplex. Die benötigte Kombination von Analyse und Kreativität lässt sich daher nicht einfach in einem Prozess abbilden. Dennoch kann es hilfreich sein, einen grundlegenden Entwicklungsprozess zu verfolgen, um die benötigte harte Arbeit in möglichst effiziente Bahnen zu lenken. Auch wenn die Innovationsentwicklung selten linear im Sinne eines Prozesses verläuft, haben sich bestimmte Schritte bewährt, welche entsprechend als iterativ anzusehen sind – d.h. es kann auch mal nötig sein, einen Schritt zurückzugehen oder mehrmals zu wiederholen. Dabei haben uns die folgenden, hier kurz zusammengefassten Schritte in über 100 Projekten in mehr als 40 Branchen stets eine gute Orientierung geboten.

Innovation ist nicht nur unsicher, sondern auch komplex.

Das Schwierigste bei der Innovationsentwicklung ist oft der Anfang. Braucht es eine gute Idee, die dann weiterentwickelt wird? Einen neuen Trend oder eine neue Technologie, auf die man aufsetzen kann? Oder ein interessantes Kundenproblem, welches es zu lösen gilt? Tatsächlich setzen diverse Innovationsprozesse auf solche Ausgangspunkte. Leider führen diese aber nicht zwingend zu einer Innovation mit einem relevanten strategischen Wertbeitrag. Zwar können neue Ideen, Technologien oder Trends als opportunistische Möglichkeiten genutzt werden, eine systematische Innovationsentwicklung gelingt aber so nicht. Dafür braucht es statt (oder ergänzend zu) der opportunistischen eine geplante Innovationslogik (siehe Abbildung).

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Von Opportunismus zum Plan im Innovationsmanagement. Grafik: venture.ideas

Vier Schritte zur Innovationsentwicklung

Die geplante Innovationslogik setzt bei den Zielen und der grundlegenden Strategie des Unternehmens an, um eventuelle Lücken in der Zielerreichung zu schließen und das Innovationsportfolio gezielt weiterzuentwickeln. Entsprechend sollte einem systematischen Entwicklungsprozess für strategische Innovation immer die Definition des strategischen Rahmens („Scoping“) und des Innovationsportfolios („Configuring“) vorausgehen, da nur somit gemeinsam mit den entscheidenden Stakeholdern frühzeitig sichergestellt werden kann, dass er in die richtige Richtung verläuft. Wenn diese Aspekte wie in den vorigen Artikeln beschrieben erfüllt sind und die Strategie für das Innovationsportfolio definiert ist, kann die Entwicklung spezifischer strategischer Innovationen anhand der folgenden vier Schritte erfolgen.

1. Von strategischen Opportunitäten zu Innovationspotenzialen

„Think outside the box“ heißt es oft im Zusammenhang mit Innovation, um die Kreativität anzukurbeln. Doch in der geplanten Innovationslogik ist dieses Mantra eher hinderlich. Schließlich sollen nicht irgendwelche Ideen gefunden, sondern möglichst die relevantesten Innovationen mit dem definierten Zielbeitrag entwickelt werden. Dazu ist eher „Thinking inside the box“ gefragt, um das Feld für eine gezielte Ideensuche abzustecken.

Dafür kann klassischerweise zunächst eine breitere, externe Analyse durchgeführt werden, um alle für das Unternehmen möglicherweise relevanten gesellschaftlichen, technologischen, politischen und wirtschaftlichen Trends und Veränderungen zu sammeln und – beispielsweise nach Zeithorizont und erwartetem Einfluss – zu bewerten.

Gefragt ist „Thinking inside the box“, um das Feld für eine gezielte Ideensuche abzustecken.

Doch damit ist noch kein Feld abgesteckt. Gleichzeitig muss auch eine interne Analyse durchgeführt werden, um die aktuellen Stärken und Schwächen des Unternehmens zum Beispiel anhand des Geschäftsmodells oder der Wertschöpfungskette zu identifizieren.

Erst aus der Kombination aus internen Stärken oder Schwächen und externen Trends ergeben sich dann mögliche Innovationspotenziale, welche jeweils ein Feld zur anschließenden Bearbeitung darstellen. Da es hier meist noch eine Vielzahl möglicher Innovationspotenziale gibt, sollten diese mit den entscheidenden Stakeholdern anhand der definierten Ziele abgeschätzt und im definierten Portfolio-Framework eingeordnet werden, um eine fokussierte Auswahl im Sinne des konvergenten Denkens zu ermöglichen (siehe dazu die vorigen Artikel der Reihe). So kann in einem einfachen Beispiel aus dem Trend zur Elektromobilität und einer aktuellen Stärke in der Motorenentwicklung die Notwendigkeit für einen Automobilzulieferer erwachsen, elektrische Antriebe als neues Innovationspotenzial anzugehen.

2. Von Kundenbedürfnissen zu innovativen Ideen

Selbst wenn jetzt mit einem ausgewählten Innovationspotenzial das Feld definiert wurde, in welchem „inside the box“ innoviert werden soll, gibt es noch schier unzählige Möglichkeiten an Ideen, die hier möglich wären. Tatsächlich sogar unendlich viele, denn zwischen 0 und 1 (also in einem definierten Bereich) gibt es aus mathematischer Sicht genauso unendlich viele Möglichkeiten wie zwischen 0 und unendlich!

Statt nach Ideen sollten Unternehmen zunächst einmal nach spezifischen unbefriedigten Kundenbedürfnissen (Pain Points) suchen.

Es gilt daher, innerhalb des Innovationspotenzials zu möglichst relevanten Problemstellungen zu kommen, welche dann gezielt mit innovativen Ideen gelöst werden können. So wurde das Mantra „Kein Problem ist auch keine Lösung“ durch die Methodik des Design Thinking geprägt, welche stark auf die Identifizierung neuer Kundenbedürfnisse setzt. Übersetzt in den systematischen Prozess bedeutet dies, statt nach Ideen zunächst einmal nach spezifischen unbefriedigten Kundenbedürfnissen (Pain Points) zu suchen. Dazu werden tendenziell qualitative Forschungsmethoden wie Beobachtungen, Ethnografie oder Interviews eingesetzt, während die möglichen Pain Points dann nochmal mit quantitativen Methoden wie Umfragen validiert und aus Sicht möglicher Zielgruppen priorisiert werden können. Zusätzlich sollte jedoch auch eine Bewertung danach erfolgen, welche Problemstellung für das Unternehmen zielführend und lösbar zu bearbeiten ist.

Wenn auf diese Weise eine relevante Problemstellung im definierten Innovationspotenzial ausgewählt wurde, gilt es, diese zu lösen. Dazu muss jedoch nicht immer das Rad neu erfunden werden. Stattdessen liegt der erste Schritt darin, schon bestehende Lösungsansätze zu scouten, welche möglicherweise auf die spezifische Problemstellung und das eigene Unternehmen übertragen werden können. Neben Best Practices aus dem Wettbewerbsumfeld, neuen Start-ups, bestehenden Patenten oder Konzeptstudien spielen dabei insbesondere Analogien oft eine Rolle. Hierbei werden einzelne Elemente aus bestehenden Lösungen in anderen Bereichen auf die definierte Problemstellung übertragen. So können beispielsweise der Boxenstopp in der Formel 1 zu einem Drive-in im Fastfood-Restaurant inspirieren, die klappbaren Rollen von Flugzeugen für Kinderwägen genutzt werden, oder die schwingungsvermeidende Bauweise von Stradivari-Geigen in Skiern Anwendung finden.

Wer Kundenbedürfnisse mit innovativen Angeboten befriedigen möchte, muss das Rad nicht immer neu erfinden. Es lohnt sich, zuerst einmal bestehende Lösungsansätze zu scouten.

Ausgerüstet mit solchen Lösungsansätzen und Inspirationen, kann anschließend der kreativste Teil des Entwicklungsprozesses erfolgen: die Ideation. Hier werden auf Basis der Inspirationen und mittels verschiedener Kreativtechniken im Sinne des divergenten Denkens möglichst viele neue Lösungsideen generiert. Nachdem die Ideen sortiert, geclustert und zu sinnvollen möglichen Lösungen weiterentwickelt wurden, können sie von potenziellen Kunden bewertet werden, um so eine erste Priorisierung aus Marktsicht zu erhalten. Anschließend gilt es jedoch, auch in diesem Schritt wieder die relevantesten Lösungsideen anhand der definierten Ziele des Unternehmens abzuschätzen und in das Portfolio-Framework einzuordnen, um eine Auswahl der weiter zu verfolgenden Idee(n) zu treffen, welche dann im nächsten Schritt zu konkreten Lösungen entwickelt werden.

Entscheidend ist die Umsetzung

3. Von innovativen Ideen zu validierten Lösungen

Wenn eine vielversprechende Lösungsidee ausgewählt wurde, hat sie noch einen weiten Weg bis zur umgesetzten Innovation im Markt vor sich. Denn im Normalfall ist sie noch nicht so ausgereift, dass sie direkt umgesetzt und vermarktet werden kann, sondern es müssen beispielsweise noch die genaue Funktionalität und das Geschäftsmodell konzipiert werden. Bei dieser Entwicklung ausgewählter Ideen zu konkreten Lösungen gilt: „Fail Fast, learn faster“. Denn wie es beispielsweise in der Lean Startup-Methodik beschrieben wird, können Ideen nicht einfach linear zu konkreten Lösungen weiterentwickelt werden, da sie noch zu vielen unsicheren Annahmen unterliegen. Diese müssen daher zunächst transparent gemacht werden, indem eine erste Konzeption erfolgt und Hypothesen zu Attraktivität im Markt, Umsetzbarkeit und Wirtschaftlichkeit aufgestellt werden. Diese können dann anhand ihrer Evidenz (sicher – unsicher) und Bedeutung für den Erfolg (wichtig – unwichtig) bewertet werden, um die kritischsten – unsicheren und wichtigen – Hypothesen zum Testen auszuwählen.

Ideen können nicht einfach linear zu konkreten Lösungen weiterentwickelt werden, da sie noch zu vielen unsicheren Annahmen unterliegen.

Ausgestattet mit den kritischen Hypothesen erfolgen dann multiple sogenannten „Build – Measure – Learn“-Zyklen, in welchen einzelne Aspekte der Idee in möglichst einfachen Experimenten umgesetzt und getestet werden, um daraus zu lernen und das Konzept weiter zu iterieren, bis die erfolgskritischen Hypothesen validiert sind (oder das Konzept verworfen wird). Am Ende steht damit bestenfalls eine validierte Lösung bereit, welche funktioniert, von zahlenden Kunden nachgefragt wird und wirtschaftlich rentabel realisiert werden kann. Auf dieser Basis kann die vorige Bewertung und Einordnung auf der Portfoliomatrix aktualisiert werden, um abhängig von den Ergebnissen eine finale Umsetzungsentscheidung zu treffen und die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung zu stellen

4. Von validierten Lösungen zur umgesetzten Innovation

Die Umsetzung der validierten Lösung zur Innovation im Markt erfolgt meist an anderer Stelle als die Entwicklung und ist deswegen gemeinhin nicht mehr Teil des Entwicklungsprozesses. Entsprechend wichtig ist hier die erfolgreiche Übertragung der validierten Lösung an die Umsetzungsverantwortlichen. Dabei heißt es dann „Alle Mann an Bord“, denn nur wenn die Entwickler und Umsetzer sich zusammenfinden und gemeinsam die Umsetzungsplanung machen, gelingt der Transfer. Bestenfalls wurden die relevanten Stakeholder daher auch bereits vorher in den Entwicklungsprozess bzw. in die Portfolio-Bewertung und Auswahl mit einbezogen.

Nur wenn die Entwickler und Umsetzer sich zusammenfinden und gemeinsam die Umsetzungsplanung machen, gelingt der Transfer.

Unter dieser Prämisse kann dann die Lösung implementiert und vermarktet werden. In den meisten Fällen bietet sich dabei ein agiles, schrittweises Vorgehen im Projekt an, um auch hier noch weiter iterieren zu können und die Lösung, wenn nötig weiter anzupassen. Doch früher oder später ist es so weit, und die Innovation muss sich am Markt beweisen. Erst wenn auch dieser Schritt gegangen ist, war auch der systematische Entwicklungsprozess ein Erfolg!

Auswirkung auf dynamische Fähigkeiten

Als eine wichtige Stellschraube wirken sich die Prozesse und Methoden für einen systematischen Entwicklungsprozess positiv auf die Etablierung und Anwendung der notwendigen „dynamischen Fähigkeiten“ für strategische Innovation aus. Zusammen ermöglichen diese es dem Unternehmen, interne und externe Ressourcen und Kompetenzen (kontinuierlich) zu integrieren, aufzubauen und neu zu konfigurieren, um neue Wettbewerbsvorteile zu entwickeln.

Insbesondere das sogenannte „Sensing“ und „Seizing“ werden dabei beeinflusst. Diese beschreiben die Fähigkeiten der Organisation, systematisch neue, zielgerichtete Ideen für relevante Kundenbedürfnisse zu entwickeln und durch passende Lösungen in die Umsetzung zu bringen. Die vorgestellten Schritte eines systematischen Innovationsprozesses erlauben es, genau diese Fähigkeiten aufzubauen und anzuwenden.

Doch für die weitere Entwicklung der Innovationsfähigkeiten müssen auch noch die anderen Stellhebel betrachtet werden, welche sich in den weiteren Artikel dieser Serie finden. Sie wollen wissen, wie weit ihr Unternehmen auf der Reise zur kontinuierlichen, strategischen Innovation ist? Der „Capability Check“ ermöglicht eine kostenfreie, schnelle Selbsteinschätzung zu allen dynamischen Fähigkeiten anhand eines wissenschaftlichen Fragebogens.