Business Transformation Innovation

Das Ziel ist der Weg

Analyse Unternehmen müssen Innovation systematisch und strategisch angehen. Dabei gilt es vor allem, das Innovation Gap zu definieren, erläutern Lysander Weiß und Lucas Sauberschwarz im zweiten Teil ihrer Serie.

Foto: Volodymyr Hryshchenko, Unsplash.com
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Innovation: vom „Nice to Have“ zum „Must Have“

Traditionell gilt bei Innovation die konfuzianische Weisheit „Der Weg ist das Ziel“. Weil Innovation per Definition mit hohen Unsicherheiten behaftet ist, werden keine genauen Ziele formuliert, sondern opportunistisch neue Möglichkeiten ergründet und entwickelt. Im schlimmsten Fall hat die Organisation dabei zumindest etwas gelernt, im besten Fall wurde vielleicht sogar ein neuer Durchbruch erzielt. Dieser Ansatz spielt somit seine Vorteile aus, wenn es darum geht, wie im klassischen „Innovation Funnel“ alle möglichen Ideen einzusammeln, um daraus vielleicht mögliche Innovationen herauszubekommen.

Serie strategische Innovation

Um sich kontinuierlich an die heute unsichere und dynamische Umwelt anzupassen, benötigen Unternehmen die organisatorischen Fähigkeiten für kontinuierliche und wirksame Innovation. Diese Fähigkeiten können durch ein ganzheitliches Innovationsmanagementsystem aufgebaut werden. Die einzelnen Stellhebel dieses Systems werden in dieser Artikelserie behandelt. Nach der grundlegenden Einführung behandelt dieser Artikel den Stellhebel „strategischer Rahmen“.

Teil1: "System statt Disruption"

Allerdings bleibt Innovation damit auch immer ein nicht planbarer Teil des Unternehmens oder der Strategie, und somit eher ein „Nice to have“: Wenn etwas dabei rauskommt, freuen sich alle – wenn nicht, ist es auch nicht so schlimm.

In den heutigen unsicheren und dynamischen Umfeldern können Unternehmen sich diese Einstellung aber leider kaum noch leisten. Denn mit der fortwährenden Veränderung verlieren Unternehmen schnell ihren „Strategic Fit“, wenn ihre Geschäftsfähigkeiten nicht mehr zur Umwelt passen. In dem Fall kann das Unternehmen mit den bestehenden Wettbewerbsvorteilen die zukünftigen Ziele nicht mehr erreichen. Dieser „Growth Gap“ muss entsprechend durch Innovation geschlossen werden, indem gezielt neue Wettbewerbsvorteile aufgebaut werden, welche den „Strategic Fit“ wieder herstellen. Innovation wird damit vom Nice to Have zum Must Have!

In diesem „Must Have“ Szenario gilt dann für Innovation: Das Ziel ist der Weg. Denn wenn das Unternehmen zum Überleben und für zukünftiges Wachstum auf Innovation angewiesen ist, muss diese spezifische strategische Ziele erfüllen können. Entsprechend muss Innovation planbarer statt opportunistischer werden, und beispielsweise mit einem Portfolioanasatz Unsicherheiten ausgleichen und Ressourcen zielorientiert zu verteilen, um so den geplanten strategischen Beitrag zu liefern.

Wenn das Unternehmen zum Überleben und für zukünftiges Wachstum auf Innovation angewiesen ist, muss diese spezifische strategische Ziele erfüllen können.

Entsprechend ist der strategische Rahmen ein entscheidender Stellhebel für ein ganzheitliches Innovationsmanagementsystem, da hier die Leitplanken gesetzt werden, um Richtung und Fokus für Innovation entsprechend der gewünschten Unternehmensentwicklung (bzw. den Lücken in dieser Entwicklung) vorzugeben. Ohne diesen Rahmen kann es bestenfalls gelingen, schnell zu laufen – aber nur dieser sorgt dafür, dass die Innovationsaktivitäten auch in die richtige Richtung laufen. Doch wie kann etwas geplant werden, was noch gar nicht da ist, oder eine Richtung vorgegeben werden für etwas, was erst noch erfunden werden soll?

Aufbau eines strategischen Rahmen für Innovation

Diese Fragen sind meist das Problem auf welche alle Innovationsverantwortlichen über kurz oder lang stoßen. Denn wenn klar wäre, was zu tun ist, würde ja keine Innovation benötigt. Insofren scheint strategische Planung für Innovation nicht nur kontraproduktiv, sondern gar unmöglich zu sein. Um dieses Problem zu umgehen und dennoch eine Richtung festzulegen liegt der Trick darin, sich zunächst rein auf Ziele zu fokussieren und noch keine „Wege“ vorzugeben.

1. Strategische Ziele (KPIs) für Innovation bestimmen: Strategische Ziele für Innovation können bestenfalls direkt aus der Unternehmensstrategie abgeleitet werden – schließlich soll Innovation ja zu dieser beitragen. Finanzielle Ziele wie beispielsweise Umsatz, Profitabilität oder Kosten sind somit immer eine gute Wahl. Aber auch weichere Ziele wie Wettbewerbsfähigkeit, Kundenzufriedenheit oder Nachhaltigkeit können das Zielbild für Innovation gut ergänzen.  Das wichtige bei der Auswahl ist es vor allem, alle Stakeholder einzubinden, welche später auch über Umsetzung bzw. Ressourcen für Innovation entscheiden. So sollte klassischerweise der Vorstand die Ziele festlegen. Ein „Ranking“-Mechanismus hilft dabei zu verhindern, dass einfach alle möglichen Ziele der Innovation übergestülpt. Neben der finalen gemeinsamen Zielauswahl ist es dann wichtig, die Ziele auch als messbare Leistungskennzahlen (KPIs) zu definieren, sodass sie mit spezifischen Abstufungen zur Bewertung von Innovationsprojekten operationalisiert werden können. Anschließend können diese dann in geeignete Bewertungstools übernommen werden – von einfachen Exceltabellen und Powerpoints bis hin zu digitalen Projektmanagement – oder Portfoliomanagementtools.

2. „Growth Gap“ und „Strategic Fit“ bestimmen: Doch mit der Zielbestimmung allein ist es nicht getan. Damit können zwar Innovationsprojekte oder neue Opportunitäten schon im Hinblick auf den gewünschten strategischen Beitrag (vor-)bewertet werden – wie hoch dieser Beitrag sein soll, ist aber noch nicht festgelegt. Dafür muss zunächst das „Growth Gap“ bestimmt werden. Diese gibt die mögliche Lücke in der zukünftigen Zielerreichung des Unternehmens an, welche sich aus der Differenz der Ziele mit dem Zielbeitrag aus bereits laufenden bzw. geplanten Geschäftstätigkeiten und strategischen Initiativen bemisst. Wenn hier eine Differenz besteht, ist dies die Lücke, welche durch Innovation geschlossen werden sollte, und somit den notwendigen strategischen Beitrag für Innovation definiert.

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Da dieser Growth Gap jedoch nur die bestehenden Geschäftstätigkeiten betrachtet, sollte auch der zukünftige „Strategic Fit“ überprüft werden. Dieser beschreibt, wie gut die aktuellen bzw. geplanten Geschäftsfähigkeiten zu zukünftigen Marktpotenzialen passen. Ein hundertprozentiger Strategic Fit ermöglicht somit die optimale Ausnutzung der bestehenden Wettbewerbsvorteile, während eine geringer Fit die Notwendigkeit erzeugt, neue Wettbewerbsvorteile zu entwickeln.

Für diese Überprüfung ist ein Vergleich der internen Stärken und Schwächen im bestehenden Geschäftsmodell mit den zukünftigen Potenzialen aus externen Trends notwendig, welcher mittels entsprechender interner (Geschäftsmodell-)analyse und externer (Trend-)analyse erfolgen kann.

Auf diese Weise lassen sich dann Chancen und Risiken identifizieren, welche für den zukünftigen Strategic Fit aufzulösen sind. Chancen beschreiben dabei die Möglichkeit, dass in einem Bereich das Potenzial im Markt die Geschäftsfähigkeiten übersteigt, sodass Zusatzgeschäft möglich wäre. Risiken beschreiben hingegen die umgekehrte Möglichkeit, dass in einem Bereich die Geschäftsfähigkeiten das Potenzial im Markt überschreiten, sodass hier mit abnehmendem Geschäft zu rechnen ist. So könnte für einen traditionellen Automobilhersteller beispielsweise der E-Automarkt neue Chancen bieten, welche aber aktuell nicht durch Geschäftsfähigkeiten gedeckt werden, während der Markt für Verbrennerautos ein Risiko darstellt, in welchem viele Geschäftsfähigkeiten bestehen, aber das Marktpotenzial sinkt.

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3. Innovation Gap bestimmen: Ausgestattet mit dem definierten strategischen Beitrag als Ziel für die Innovationstätigkeiten kann dieser nun mit dem bereits bestehenden Innovationsportfolio verglichen werden um einen möglichen „Innovation Gap“ zu ermitteln. Zur Bestimmung des Gesamtpotenzials im bestehenden Innovationsportfolio müssen alle laufenden und geplanten Innovationsprojekte entsprechend der definierten strategischen KPIs bewertet werden. Die Bewertung spiegelt dabei immer die aktuellen Annahmen für die Projekte wieder und sollte somit – ebenso wie der Growth Gap – regelmäßig neu bestimmt werden. Das Innovation Gap beschreibt dann eine mögliche (negative) Differenz zwischen dem Gesamtpotenzial im bestehenden Innovationsportfolio und dem definierten Growth Gap. Wenn außerdem Risiken oder Chancen für den Strategic Fit ermittelt wurden, kann das Portfolio auch im Hinblick auf diese analysiert werden um zu bestimmen, inwieweit bestehende oder geplante Innovationsprojekte diese bereits adressieren. Abhängig vom Ergebnis muss das Innovation Gap entsprechend noch zur Erfüllung des Strategic Fit angepasst werden – zudem können hieraus bereits grundlegende spannende „Wege“ für die weitere Portfolioentwicklung entsprechend der Chancen und Risiken ausgewählt werden.

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4. Innovationsthese ableiten: Risikokapitelgeber, welche ja ebenso in Innovation investieren, folgen bestimmten Investitionsthesen, die nicht nur ihre Renditeziel festlegen, sondern auch grobe Hypothesen beinhalten, in welche Art von Unternehmen und Märkten sie investieren. In gleicher Weise können Unternehmen eine Innovationsthese definieren, welche festlegt, in was ein Unternehmen investieren wird und in was nicht. Sie enthält somit grundsätzliche Hypothesen zu Zielen und Schwerpunkten der weiteren Portfolioentwicklung. Diese Innovationsthese kann – wieder gemeinsam mit den entscheidenden Stakeholdern - mithilfe der Ergebnisse aus den vorigen Schritten kann jetzt formuliert werden, um den strategischen Rahmen final festzulegen.

Wenn von vornherein der strategische Beitrag der Innovation klar definiert wird und somit zur weiteren Entwicklung des Unternehmens passt, ist es deutlich einfacher, die Umsetzung und Skalierung einer dazu entwickelten Innovation erfolgreich anzugehen.

Die Innovationsthese ist daher bestenfalls mehr als nur ein Satz, sondern ein differenziertes Zielbild mit den finalen Aussagen zur aktuellen Positionierung des Unternehmens im Vergleich mit Einschätzungen wohin sich die Welt in Zukunft entwickelt (Growth Gap, Strategic Fit) und wie das Unternehmen mit Hilfe von Innovationen darauf reagieren wird (KPIs, Innovation Gap). Die Innovationsthese muss somit immer auf die allgemeine Unternehmensstrategie abgestimmt sein und die Sicht des Unternehmens auf die Zukunft und die strategischen Ziele der Innovation klar darlegen. Da die Zukunft nicht vorhergesagt werden kann, sollten Unternehmen sie aber immer als Hypothese betrachten, die sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Entsprechend sind alle vorigen Schritte zur Bestimmung der Innovationsthese in regelmäßigen Abständen zu überprüfen und bei Bedarf anzupassen.

Auswirkung auf dynamische Fähigkeiten

Als eine Stellschraube wirkt sich ein solcher strategischer Rahmen positiv auf die Etablierung und Anwendung der notwendigen „dynamischen Fähigkeiten“ für strategische Innovation aus. Zusammen ermöglichen diese es dem Unternehmen, interne und externe Ressourcen und Kompetenzen (kontinuierlich) zu integrieren, aufzubauen und neu zu konfigurieren, um neue Wettbewerbsvorteile zu entwickeln.

Insbesondere das sogenannte „Scoping“ wird dabei beeinflusst, welches die Fähigkeit beschreibt, klare Ziele und Kriterien für Innovation aus der Unternehmens-strategie abzuleiten, zu operationalisieren und zu kommunizieren. Gleichzeitig wirkt sich eine stark ausgeprägte Scoping-Fähigkeit auch auf alle weiteren dynamischen Fähigkeiten positiv aus, da sie dafür sorgt, dass diese gezielt angewendet werden, was dann am Ende auch insbesondere dem „Transforming“ nutzt: der Fähigkeit, ausgewählte Innovationen mit passenden Ressourcen und Prozessen umzusetzen und zu skalieren. Denn wenn von vornherein der strategische Beitrag der Innovation klar definiert wird, und somit zur weiteren Entwicklung des Unternehmens passt, ist es auch deutlich einfacher, die Umsetzung und Skalierung einer dazu entwickelten Innovation erfolgreich anzugehen.

Doch für die weitere Entwicklung der Innovationsfähigkeiten müssen auch noch die anderen Stellhebel betrachtet werden, welche sich in den weiteren Artikel dieser Serie finden (werden). Sie wollen wissen, wie weit ihr Unternehmen auf der Reise zur kontinuierlichen, strategischen Innovation noch ist? Der „Capability Check“ ermöglicht eine kostenfreie, schnelle Selbsteinschätzung zu allen dynamischen Fähigkeiten anhand eines wissenschaftlichen Fragebogens.