Business Transformation Innovation

System statt Disruption

Analyse Innovation ist der Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit von Unternehmen. Damit sie dauerhaft und immer wieder gelingt, ist ein systematischer Ansatz nötig. Am Anfang steht eine genaue Bestandsaufnahme der Innovationsfähigkeit einer Organisation, schreiben Lysander Weiß und Lucas Sauberschwarz zum Auftakt einer neuen Serie zu Innovationsmanagement.

Foto: dhehaivan/ Unsplash.com
Foto: dhehaivan/ Unsplash.com

Innovation ist strategische Notwendigkeit

Auch wenn es kaum noch jemand hören kann: Spätestens in Zeiten multipler Krisen ist Innovation vom Buzzword zur strategischen Notwendigkeit geworden, um mit der wachsenden Unsicherheit umzugehen, in der klassische strategische Planung und operative Optimierung an ihre Grenzen stoßen. Und dass diese Unsicherheit nicht nur eine gefühlte Wahrheit ist, zeigt zum Beispiel der „World Uncertainty Index“ der Economist Intelligence Unit. Dieser wertet die Häufigkeit des Wertes „Uncertainty“ in allen OECD Länderreports aus und zeigt einen klar aufsteigenden Trend. 

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Die Unsicherheit wächst weltweit. Grafik: Economist Intelligence Unit

Wie können also etablierte Unternehmen darauf reagieren, die ja normalerweise von der optimalen Ausnutzung ihrer „nachhaltigen Wettbewerbsvorteile“ in einem stabilen Umfeld leben? Denn dieses Vorgehen ist in einem solchen Umfeld jetzt vorbei, wie die Managementvordenkerin Rita McGrath in ihrem Buch „The End of competitive advantage“ treffend beschreibt: „Nachhaltige Wettbewerbsvorteile sind jetzt die Ausnahme, nicht mehr die Regel“. Stattdessen müssen sich etablierte Unternehmen heute kontinuierlich neu erfinden, um sich im Kontext der immer schnelleren Trends zu Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Geopolitik und wechselnden Kundenbedürfnissen immer wieder neue Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Denn ohne die Fähigkeit, die eigene Wettbewerbspositionierung kontinuierlich anzupassen, geht die strategische Anpassung an das sich wandelnde Umfeld verloren – womit die systematische Kompetenz zur strategischen Erneuerung selbst zu einem entscheidenden, „dynamischen“ Wettbewerbsvorteil der Zukunft wird.

Ohne die Fähigkeit, die eigene Wettbewerbspositionierung kontinuierlich anzupassen, geht die strategische Anpassung an das sich wandelnde Umfeld verloren.

Wiederholbarer, systematischer Ansatz für Innovationen

Um eine solche kontinuierliche Innovation zu schaffen, reichen Einzelaktionen oder die Hoffnung auf zufällige Geistesblitze genauso wenig aus wie klassische F&E- oder Produktentwicklungsprozesse. Stattdessen braucht es einen wiederholbaren, systematischen Ansatz für strategische Innovation, um dauerhaft alle neuen Trends zu verarbeiten und erfolgreich neue Produkt/Marktkombinationen mit innovativen Geschäftsmodellen und Prozessen zu lancieren, welche im Sinne neuer Wettbewerbsvorteile das zukünftige (nachhaltige) Wachstum des Unternehmens sichern können.

Design Thinking und Lean Startup sind nicht geeignet, systematisch an Innovationen zu arbeiten.

Um dies zu verwirklichen, haben sich viele Unternehmen dafür in den letzten Jahren an Start-up Methoden wie Design Thinking und Lean Startup bedient. Doch diese greifen meist zu kurz: Sie zeigen zwar, wie einzelne Innovationsprojekte schneller, iterativer und kundenzentrierter entwickelt werden können. Aber nicht, wie Innovation in großen, komplexen Unternehmen systematisch verankert werden kann und strategische Wirkung entfaltet. Denn dazu müssen ganz andere Fragen beantwortet werden, welche in den klassischen Start-up Methoden keine Antworten finden:

  • Wie viel Innovation muss das Unternehmen betreiben, um die strategischen Ziele in Zukunft zu erreichen?
  • Was sind aktuelle Chancen und Risiken für mein Unternehmen und welche davon sollen adressiert werden?
  • Welche Innovationspotenziale verfolge ich, welche nicht?
  • Welchen strategischen Beitrag zu den Unternehmenszielen können einzelne Innovationsprojekte leisten?
  • Wie viel investiere ich in welche Innovationsprojekte?
  • Wie hoch ist mein Innovationsrisiko und mein möglicher Gewinn?
  • Wie skaliere ich neue Innovationen erfolgreich durch Ausnutzung bestehender Stärken?
  • Wie und wo findet Innovation im Unternehmen statt?
  • ...

Ganzheitliches Innovationssystem

Ein ganzheitliches Innovationssystem kann diese und viele weitere Fragen beantworten. Im Sinne des systemischen Denkens müssen dabei alle Stellschrauben bedacht und miteinander in Bezug gesetzt werden, welche für kontinuierliche Innovation in etablierten Unternehmen notwendig sind. Diese beinhalten insbesondere:

  • Strukturen und Schnittstellen: Definieren, wo Innovation im Unternehmen verankert ist und wie die Zusammenarbeit mit internen und externen Stakeholdern verläuft
  • Strategischer Rahmen: Ziele und Kriterien als Leitplanken setzen, um Richtung und Fokus für Innovation entsprechend der gewünschten Unternehmensentwicklung vorzugeben
  • Portfolio-Steuerung: Alle Innovationspotenziale und -projekte in einem Gesamtportfolio erfassen und entsprechend strategischer Ziele und Kriterien bewerten, um Auswahl und Ressourcenverteilung anzupassen
  • Ressourcen & Infrastruktur: Zugriff auf notwendige finanzielle, physische und digitale Ressourcen schaffen, um möglichst unabhängig von der Gesamtorganisation agieren zu können
  • Prozesse & Methoden: Vorgehensweisen zur systematischen Identifizierung, Einschätzung, Spezifizierung und Entwicklung neuer Innovationspotenziale im Zusammenspiel neuer Möglichkeiten mit bestehenden Stärken des Unternehmens definieren
  • Skills & Kompetenzen: Qualifizierte Mitarbeitende für die Anwendung der Prozesse & Methoden ausbilden, rekrutieren bzw. von extern einsetzen
  • Kultur & Arbeitsweisen: Innovationsfördernde Arbeitsbedingungen sicherstellen, beispielsweise im Hinblick auf Führungskultur, Selbstorganisation, Kommunikation, Motivation etc.

 

Wenn diese Stellschrauben erfolgreich aufgebaut sind, ergeben sie zusammen das Innovationssystem, welches die Voraussetzung für die Innovationsfähigkeit des Unternehmens ist. Diese Innovationsfähigkeit lässt sich durch die sog. „dynamischen Fähigkeiten“ in der Organisation spezifizieren und messen:

  • Scoping: Fähigkeit, klare Ziele und Kriterien für Innovation aus der Unternehmens-strategie abzuleiten, zu operationalisieren und zu kommunizieren
  • Configuring: Fähigkeit, das Innovationsportfolio (neu) auszurichten und Ressourcen entsprechend zu verteilen
  • Sensing: Fähigkeit zur Identifizierung, Bewertung und (Weiter-)Entwicklung neuer Innovationsmöglichkeiten
  • Seizing: Fähigkeit, neue Innovationsmöglichkeiten schnell zu spezifizieren, zu erproben und am Markt zu validieren
  • Transforming: Fähigkeit, ausgewählte Innovationen mit passenden Ressourcen und Prozessen umzusetzen und zu skalieren

Unternehmen sollten den Wandel nicht fürchten, sondern zur strategischen Weiterentwicklung ihres Innovationssystems nutzen.

Diese dynamischen Fähigkeiten sind somit Sets spezifischer organisatorischer Skills, welche auf Basis des Innovationssystems etabliert und angewendet werden können. Sie ermöglichen es, interne und externe Ressourcen und Kompetenzen (kontinuierlich) zu integrieren, aufzubauen und neu zu konfigurieren, um neue Wettbewerbsvorteile zu entwickeln.

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Welche Fähigkeiten braucht eine Organisation, um dauerhaft innovationsfähig zu bleiben? Grafik: venture.idea

Unternehmen sollten den Wandel also nicht fürchten, sondern zur strategischen Weiterentwicklung ihres Innovationssystems nutzen. Mithilfe der dynamischen Fähigkeiten können sie ihre Innovationsfähigkeit steigern und sich das dynamische Umfeld zu eigen machen, indem sie kontinuierlich neue Chancen, die sich aus den Veränderungen im Umfeld ergeben, mit geeigneten Lösungen adressieren und so neue Wettbewerbsvorteile entwickeln.

Stärken und Schwächen identifizieren

Während die Ausgestaltung der Stellschrauben des Innovationssystems dazu immer unternehmensspezifisch erfolgen müssen, sind die erforderlichen dynamischen Fähigkeiten zur kontinuierlichen Innovation universell relevant. Entsprechend kann deren Stärke in der Organisation auch einfach gemessen werden, um den aktuellen Status quo der Innovationsfähigkeit des Unternehmens zu bestimmen, zum Beispiel mit unserem Fragebogen zum Capability-Check.