Business Transformation Selbstorganisation

HR & Finance – Geschwister im Selbstzweifel oder ziemlich beste Freunde des Wandels?

Analyse HR und Finanzen stehen beide unter enormem Wandlungsdruck. Statt Geschwister im Selbstzweifel sollten beide beste Freundinnen des Wandels sein.

Foto: Pixabay
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Ein paradigmatischer Wandel

Die Welt ist im Wandel. Unter uns, das ist sie schon etwas länger. Der Wandel, den ich meine, ist der gegenwärtige paradigmatische Wandel von Ökonomie und Management, getrieben von neuen Technologien im weitesten Sinne, aber auch von neuen Werten und den daraus resultierenden Komplexitäten und Komplexitätsfähigkeiten, die einen kontinuierlichen Performance-Druck erzeugen. Hier müssen sich Denk- und Handlungsmuster wandeln. Ich nenne diese Zukunft aktuell gerne eine kokreative Ökosystem-Ökonomie.

Im Kontext von New Management und New Work diskutieren wir diesen Wandel und neue Muster schon lange funktionsübergreifend „vertikal“, z.B. entlang des 7S-Klassikers zu Management-Teilaspekten (siehe Bild): Die alte Effizienz-Gesellschaft entdeckt im Kontext ihrer neuen Werte und Ziele eine neue Priorisierung von Effektivität, Innovation und eine wirklich neue Kunden- und Mitarbeiterzentrierung („Human Experience“-Welle). Der kompetitive Stil wird kollaborativer / kokreativer, die Silos und Hierarchien werden Netzwerke und Ökosysteme und wo früher der Plan und Command & Control herrschten, setzt man nun auf Empowerment und Self Organization.

Es gilt, die neue vertikale Logik jetzt horizontal zu konkretisieren. Grafiken: Winfried Felser
Es gilt, die neue vertikale Logik jetzt horizontal zu konkretisieren. Grafik: Winfried Felser

Wandel in den Silos – Beispiel HR

So weit, so gut, auch wenn das Vorgesagte eine grobe Vereinfachung ist und im Pauschalen verschiedene Kontexte ignoriert werden, denn nicht immer ist das Ideal ideal. Aber was ist mit den noch existierenden funktionalen Silos und der neuen Logik? Natürlich werden solche paradigmatischen Diskussionen nicht nur allgemein „vertikal“, sondern auch „horizontal“ für die Silos geführt, die heute noch Ausdruck der „alten“ tayloristischen Arbeitsteilung sind.

Die HR-Paradigmen-Diskussion begleite ich schon länger, nicht erst seit der Auszeichnung als HR-Influencer und als Sprecher der Zukunftsinitiative Personal, auch wenn es am Ende die Betrachtung eines Außenseiters ist. Im Rahmen einer Art Handskizze für Huffington Post Deutschland verortete ich sehr plakativ unterschiedliche HR-Paradigmen in den beiden Dimensionen funktionales Verständnis von HR und organisatorische Verantwortung für HR-Aufgaben. Der Klassiker einer administrativen HR setzt als exklusiver „Verwalter humaner Ressourcen“ zum Beispiel bewahrend auf ein operatives Verständnis von HR. Das klassische Business Partner-Konzept nach Dave Ulrich ist hier schon in verschiedenen Rollen deutlich strategischer und transformativer und auch kooperativer bis hin zu „Kill HR“ als negativer Alternative oder, auf der anderen Seite, bis hin zu positiven Alternativen wie dem Steering-Ansatz von Leuchttürmen wie Gunther Olesch bei Phoenix Contact oder auch generell dem Paradigma einer transformativen HR.

Grafik: Winfried Felser
Grafik: Winfried Felser

Wandel in den Silos – Beispiel Finance

Diese Analyse hat HR-Ikone Walter Jochmann viel systematischer gemacht und kommt seit Jahren („Murmeltier“-Schleife) zu einem ähnlichen Ergebnis:  die Mehrheit der „Normal“-Unternehmen verharrt zu weit links und zu weit unten. Und manchmal hat man den Eindruck, die HR-Community sei zwischen den scharfen Analysen Walter Jochmanns und der selbstbewussten Selbstreflexion, etwa des Bundesverbandes der Personalmanager BPM („proud to be HR“) in einer Art manisch-depressiven Beharrung gefangen, wo sicherlich einige Leuchttürme (Konzerne, Hidden Champions) mit echter Innovation trotz der Cargo-Kulte eine Mehrheit gegenübersteht, die noch zu wenig in der Zukunft angekommen sind. Dabei ist der Wandel in Richtung „Kokreation“ zwischen HR und dem Rest des Unternehmens und in Richtung Transformation statt nur Verwaltung sicherlich für deutlich mehr Unternehmen relevant, als es aktuell gelebt wird.

Das Tröstliche: Als Neuling in der Diskussion zum paradigmatischen Wandel im Bereich Finanzen und Controlling erlebte der Autor in dieser Community in den letzten zwei Jahren eine Art déja vu zur paradigmatischen HR-Diskussion. Stellvertretend seien hier die beiden Professoren Jürgen Weber und Utz Schäffer aus ihrem wegweisenden Editorial in der Zeitschrift "Controlling & Management Review" zitiert: „Finanzvorstände haben es nicht einfach. Auf der einen Seite sind die Anforderungen an ihre technische und finanzielle Expertise in Zeiten der Krise höher denn je. ... Gleichzeitig sollen sie aber auch die überlebenswichtige digitale Transformation weiter vorantreiben, agile Denkmuster in der Finanzorganisation verankern und natürlich als strategischer Ratgeber eng mit dem CEO zusammenarbeiten. ... Dem Postulat eines breit aufgestellten CFOs, der gleichermaßen management-, daten- und finanzorientiert ist, steht somit schnell das traditionelle Bild eines soliden Finanzers gegenüber, der die Zahlen im Griff hat und sich mit einer Rolle des Hüters der kaufmännischen Expertise zufriedengibt. ... Auf Sicht gefährdet dieses enge Rollenbild aber die Stellung des Finanzvorstands. Wenn etwa transaktionale Finanzprozesse in funktionsübergreifenden Shared Service Centers weiter zentralisiert und im Zuge des viel beschworenen nächsten Digitalisierungsschubs automatisiert werden: Warum sollten diese an den CFO und nicht an einen COO, CIO oder den Vorstandsvorsitzenden berichten? Wenn Enterprise Analytics ebenfalls funktionsübergreifend organisiert werden und kundenbezogenen Fragen (zu Recht!) Priorität eingeräumt wird, warum sollten Data Labs zukünftig an den Finanzvorstand berichten.“

Szenarien im Kontext zukünftiger Ökosystem-Ökonomien

Ob jetzt HR oder Finanzen – der funktionale Silo ist langfristig sicher keine sichere Bastion mehr, wenn Digitalisierung und neue Organisations- und Wertschöpfungsmodelle das eigene bisherige Fundament erodieren lassen. Zum Glück gibt es auch im Bereich Finanzen Leuchttürme wie Cilem Knauf, die auf den Board Days berichtete, wie sie für die Bauer Media Group in ihrem Bereich (Publishing Germany) geradezu idealtypisch die skizzierte Transformation vom vergangenheitsorientierten Zahlenlieferant zum Transformations-Partner realisiert hat.

Dabei wurde die Diskussion zur Digitalisierung zu lange von Dystopien wie der Studie von Osborn und Frey und ihrer deutschen „Übersetzung“ dominiert, wo Digitalisierung vor allem als Bedrohung positioniert wurde. Sie kann alternativ aber DIE Basis für eine strategische Neuausrichtung sein. Dass stereotype, administrative Aufgaben vor allem im neuen Zeitalter der RPA (Robotic Process Automation) wegfallen, bedeutet ja gerade, dass Freiheit für kreative und transformative Aufgaben entsteht. Und neue  Kollaborations-Plattformen sind dann die ideale Basis für neue kokreative Formen der Zusammenarbeit jenseits der alten tayloristischen Arbeitsteilung. So gelangen wir von links nach rechts im obigen Paradigmen-Bild und von unten in die Mitte der Kollaborationsformen. Warum aber erfolgt eigentlich nicht der Schritt nach ganz oben, wo HR und Finanzen ganz verschwinden bzw. als Aufgabe in die Fachbereiche diffundieren?

Grafik: Winfried Felser
Grafik: Winfried Felser

Meine Überzeugung lautet: Auch in Zukunft braucht man ab gewisser Komplexität zwar kein Silo mehr, aber ein themen-kompetentes, kokreatives Teil-Ökosystem in der kokreativen Ökosystem-Organisation. Wir nannten es früher (2000 bis 2003) die duale Kompetenz-Netzwerk-Organisation und Markt- und Kompetenz-Teams („Center“), aber dem Zeitgeist folgend ist kokreative Ökosystem-Organisation auch okay. Oder Squads, Tribes, Chapter, Guild – you name it. Vor allem, weil es auf englisch innovativer klingt.

Was auch immer als Bezeichnung populär wird: Die neuen Paradigmen, Positionierungen und damit verbundenen Verantwortungen sind spannender, als im Silo Menschen als Ressourcen zu verwalten oder Zahlen zu aggreggieren und in Bilder für den Vorstand zu wandeln. Das überlassen wir doch gerne den Robotern. Wir Menschen brauchen dafür allerdings ganz andere Fähigkeiten für die Kokreation in Ökosystemen oder Netzwerken. Wir nannten es früher „NetSkills“, man kann aber auch von Kollaborationsfähigkeiten sprechen. Dann gelingt die Zusammenarbeit „im Tandem“, wie es Cilem Knauf nannte.

Geteiltes Leid oder gemeinsamer Aufbruch

Die Nähe von HR und Finanzen/Controlling in vielen Unternehmen stellt eine große Chance dar. HR und Finanzen/Controlling sollten dabei nicht Geschwister im geteilten Leid sein, sondern, proaktiver, ziemlich beste Freundinnen der paradigmatischen Neuausrichtung im doppelten Sinne einer Neuausrichtung des eigenen Bereichs wie auch der Mitwirkung bei der Neuausrichtung des Gesamtunternehmens. In einem balanciert agierenden Unternehmen muss die humane wie auch die ökonomische Kompetenz komplementär zur Markt- und Kundenkompetenz sein. Bin ich diesbezüglich optimistisch? In Anlehnung an Gibson formuliert: Die Zukunft ist schon jetzt an vielen Stellen sichtbar, sie ist nur nicht gleich verteilt. Zum Glück gibt es Leuchttürme, die den Weg weisen.