Selbstorganisation Digitalisierung

„Das Gefühl, produktiv zu sein, können viele Jobs nicht mehr geben“

Interview Werden wir bald alle nur noch so tun, als würden wir arbeiten? Ja, sagt Politikberater Mads Pankow im Interview.

Erledigen wir bald virtuelle Arbeit in einer virtuellen Arbeitswelt?
Erledigen wir bald virtuelle Arbeit in einer virtuellen Arbeitswelt?

Mads, du hast auf der Republica erklärt, warum wir in Zukunft Arbeit simulieren werden. Dein Vortrag war zum Teil sehr lustig, hast du alles, was du erzählt hast, ernst gemeint?

Mads Pankow: Ich habe das ernst gemeint. Ich gehe das Thema aber humoristisch an, weil die Vorstellung, in Zukunft in Simulation zu arbeiten, für viele Menschen recht absurd ist. Es würde mir schwerfallen, alles, was ich erzähle, empirisch herzuleiten - so wie das bei Zukunftsszenarien immer der Fall ist. Aber wenn man sich bestimmte Entwicklungen in der Gesellschaft, der Arbeitswelt, der Simulationswelt, der Spielewelt und in der Technologie anschaut, dann weist eben Vieles daraufhin, dass wir in Zukunft in der Simulation arbeiten werden.

Piloten werden bereits heute in Flugsimulatoren aus- und weitergebildet. Gibt es noch mehr Beispiele für simulierte Arbeit?

Die Armee funktioniert eigentlich nur nach diesem Prinzip. Die Soldaten müssen so tun, als würden sie Krieg führen. Wenn der Fall eintritt, hat die Armee ihre Aufgabe bereits nicht richtig erfüllt. Im Kalten Krieg zum Beispiel ging es immer um Abschreckung - dafür musste man möglichst gut simulieren können. In der Fertigung von Hochtechnologie, zum Beispiel in der Turbinenfertigung, sind bestimmte Arbeitsabläufe komplett automatisiert. Trotzdem können immer wieder Fehler entstehen. Deswegen müssen in der Fertigung höchst qualifizierte Ingenieurinnen und Ingenieure vor dem Monitor sitzen und überwachen, ob alles funktioniert. Dabei müssen sie relativ selten einschreiten. Sie sind in einer Zuschauerrolle, müssen aber für den Ernstfall immer auf dem aktuellen Stand bleiben.

"Wenn man sich bestimmte Entwicklungen in der Gesellschaft, der Arbeitswelt, der Simulationswelt, der Spielewelt und in der Technologie anschaut, dann weist eben Vieles daraufhin, dass wir in Zukunft in der Simulation arbeiten werden", sagt Mads Pankow. Foto: Steven Haberland

Arbeit wird also simuliert, damit Menschen im Ernstfall einschreiten können?

Damit sie kontinuierlich auf dem Stand der Technologie bleiben, ja. Es ist sozusagen eine Verdoppelung der Arbeit. Die Maschine macht sie, aber der Mensch muss sie immer noch machen. Die Simulation hat den Vorteil, dass sie Extremfälle kontinuierlich vorführt, wie eben ein Flugsimulator. Der Mensch ist der Trouble Shooter, der nur noch für die Ausnahmesituation verantwortlich ist.

Vielleicht auch deshalb, weil man Maschinen nicht für Fehler haftbar machen kann?

Im Mittelalter hat man in seltenen Fällen Schweine und Esel verurteilt, die Menschen Schaden zugefügt haben. Die Tiere wurden hingerichtet. Das finden wir heutzutage zurecht völlig lächerlich, denn wir haben eine andere Vorstellung vom Bewusstsein von Tieren und eben auch von Maschinen. Sie können keine Verantwortung für ihre Handlungen übernehmen. Trotzdem werden sie gebaut.

Es wird immer angenommen, eine Technologie wäre neutral. Das ist sie nie, niemals.

In den seltensten Fällen haben wir als Nutzer den Überblick darüber, was eine Technologie kann und was sie gerade tut. Deswegen ist es auch schwierig, dem Menschen, der in einem autonom fahrenden Auto sitzt, die Verantwortung für einen Unfall zuzuschreiben. Auf der anderen Seite fließt natürlich das Wissen und die Absicht von Generationen von Forschern und Ingenieurinnen und Ingenieuren in eine Technologie ein. Dahinter stecken Absichten. Es wird immer angenommen, eine Technologie wäre neutral. Das ist sie nie, niemals. Ein Pilot in einem Kampfflugzeug ist der kleinste Punkt am Ende einer langen Entscheidungskette. Die meisten Entscheidungen sind längst gefallen. Und zwar in der Technologie; so, wie sind angelegt ist, so, wie sie entwickelt wurde und so weiter.

Diese vielen verschiedenen Entscheidungsträger kann man am Ende auch nicht mehr haftbar machen.

Das sind große, komplexe, moralische Fragen, mit denen wir uns in den nächsten Jahren auseinandersetzen müssen. Ich finde es gut, dass wir damit beginnen. Leute, die diese Maschinen bauen, merken zunehmend, welche Verantwortung sie tragen.

Das Gefühl, produktiv zu sein, können viele Jobs anscheinend nicht mehr geben.

Welche Hinweise siehst du noch, die für einen Trend hin zur Simulation sprechen?

Arbeit und Spiel bewegen sich aktuell aufeinander zu. Arbeit wird zum Teil gamifiziert. Mitarbeiter können für gewisse Handlungen Punkte sammeln oder sie treten in einen Wettbewerb mit ihren Kolleginnen und Kollegen oder mit anderen Firmen. Das soll sie zum Beispiel motivieren, monotone Tätigkeiten auszuüben. Auf der anderen Seite haben wir die Entwicklung eines Spielgenres, in dem Arbeit simuliert wird. Es gibt ein mobiles Spiel, in dem man Automechaniker spielen kann. Es gab einen regelrechten Hype um Agrarsimulatoren. Da unterbrechen Leute stundenlang heimlich ihre Arbeit, um den Browser zu öffnen und andere Arbeit zu spielen.

Woran liegt das?

Diese Arbeit scheint für die Menschen fassbarer zu sein. Selbst, wenn sie nur virtuelle Kühe melken oder virtuelle Fahrzeuge reparieren. Es gibt offensichtlich ein Bedürfnis danach, wieder etwas zum Anfassen zu produzieren. Handwerk und Kunsthandwerk werden momentan auch nachgefragt, ebenso gibt es einen Trend zum Do-it-yourself. Das Gefühl, produktiv zu sein, können viele Jobs anscheinend nicht mehr geben.

 

 

Wenn die Simulation mehr Freude bereitet als die Realität, braucht es in der Realität dann andere Anreize?

Andere Anreize oder eine andere Arbeit. Je größer eine Organisation wird, desto mehr Aufgaben entstehen, die weit weg sind vom produktiven Mehrwert für diese Organisation. Jeder von uns kann sich an Tätigkeiten im eigenen Berufsleben erinnern, von denen man der festen Überzeugung ist, dass man sie auch gut hätte lassen können. Das liegt zum einen an den Parkinson'schen Gesetzen: Arbeit dehnt sich immer in dem Maße aus, wie Zeit dafür vorhanden ist und Menschen wünschen sich viele Untergebene, rekrutieren also viele Menschen. Das bedeutet aber, dass diese Leute eigentlich dann zu fünft einen Job machen, den vorher einer gemacht hat und den Rest der Zeit mit Kommunikation untereinander verbringen. Das ist ein klassisches Problem von komplexen Hierarchien. So entstehen Tätigkeiten, die keinen produktiven Mehrwert mehr haben. Momentan findet aber gerade ein Umdenken statt: Menschen fragen sich, was ist der Mehrwert von dem, was ich hier mache.

Spricht das nicht gegen deine These, dass wir in Zukunft in Simulation arbeiten werden.

Nein, das ist ein Beleg dafür, dass Arbeit schon heute simuliert wird. Das sind diese Bullshit Jobs, die keinen tatsächlichen produktiven Mehrwert haben und Artefakte von Organisationen sind.

Wir müssen uns fragen: Wo hat die Simulation möglicherweise einen Mehrwert.

Wir müssen uns also fragen, wo simulieren wir denn heute schon Arbeit, wissen es aber gar nicht. Und: Wo hat möglicherweise die Simulation doch einen Mehrwert. So ähnlich wie es bei dem Militär der Fall ist. Es gibt zwar Jobs, die nicht unmittelbar einen produktiven Mehrwert haben, die aber, weil sie bestimmte Gedankenspiele durchexerzieren, wichtig sind. Nehmen wir zum Beispiel ein Planspiel, in dem Mitarbeiter spielen, Führungskräfte zu sein. Danach sind sie immer noch keine Führungskräfte, aber sie haben vielleicht einen Lernerfolg.

Kennst du Unternehmen, die bereits mit einem Simulations-Tool arbeiten?

Ich wüsste nicht, wo so ein Tool systematisch eingesetzt wird. Ich bin mir aber fast sicher, dass es das geben muss. Das ist aber auch ein Thema, dass nicht unbedingt nach außen getragen wird. Es käme doch komisch rüber, wenn Unternehmen sagen, dass Leute bei ihnen in Simulationen arbeiten oder in Simulationen trainieren.

Allerdings werden Lernen und lebenslanges Lernen von Unternehmen zunehmend als wichtig erachtet.

Das Thema lebenslangen Lernen tragen wir seit 30 Jahren vor uns her.  Ein Hype, der vor allem aus den Führungsetagen propagiert wird. Für viele Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, ist das eine Zumutung. Das geht mir auch so. Keiner möchte in die Pflicht genommen werden, sich ständig immer komplexen neuen Situationen aussetzen zu müssen oder sich in immer neue Zusammenhänge rein zu fuchsen. Ich glaube, dass die Simulation hier eine Schnittstelle sein kann. Sie kann Veränderung in einer Art und Weise für Menschen zugänglich zu machen, mit der sie motiviert und interessiert dabei bleiben. Lernen soll als Spiel, als Erfahrungsraum wahrgenommen werden, so wie das bei Kindern der Fall ist. Sie lernen im Spielen und so lernt man auch im besten Fall auch in Simulationen.

Glaubst du, dass es in Zukunft auch Arbeiten geben wird, die nicht in der Simulation stattfinden?

Das hängt immer davon ab, wie hoch der Automatisierungsanteil in den Berufen ist. In sozialen Berufen ist der menschliche Kontakt entscheidend. Das lässt sich nicht eins zu eins automatisieren und in die Simulation übertragen.

 

Zur Person

Mads Pankow arbeitet als Policy Advisor beim Innovationsbüro, der Beratungsagentur des Bundesfamilienministeriums. Er ist außerdem freiberuflicher Journalist und Politikberater zu Themen der Digitalen Gesellschaft und Künstlichen Intelligenz.