Innovation Business Transformation

Gern gescheitert?

Analyse Heute gehört es zum guten Ton, mit Geschäftsideen zu scheitern. Dieses Kokettieren mit dem Worst Case unternehmerischen Handelns karikiert, um was es eigentlich gehen sollte: Fehler zu nutzen, um Scheitern zu verhindern.

Dass die Eier kaputt sind, ist noch kein Lernerfolg.
Dass die Eier kaputt sind, ist noch kein Lernerfolg.

Auch Künstler wollen etwas schaffen - nicht scheitern

Niemand scheitert gern. So beispielhaft ihr Umgang mit Fehlern ist, auch unter Künstlern gibt es niemanden, der das Scheitern seines Werkes herbeisehnt. Das bringt auch der Bildhauer Wolfgang Friedrich zum Ausdruck, als wir in seinem Atelier mit ihm sprechen: „Wenn man einfach nicht gut vorwärtskommt und sich jeden Fehler erlaubt, den man machen kann, dann ist das auf Dauer nicht tragbar. Bei allen Rückschlägen steht schließlich die Arbeit.” Und auch überall außerhalb der Kunst, ist das Scheitern etwas, das es zu verhindern gilt. Hermut Kormann, der einst dem inzwischen fast zweihundert Jahre alten Maschinenbauer Voith vorstand, befasste sich intensiv mit der Frage, was Unternehmen überlebensfähig macht und fasst seine Erkenntnisse so zusammen: „Es geht nicht um das Gewinnen, sondern um das Verhindern eines Scheiterns.”

Scheitern tut weh 

Umso erstaunlicher ist es, dass es in den Start-up-Metropolen dieser Welt fast schon zum guten Ton gehört, mit Geschäftsideen gescheitert zu sein oder zumindest mit seinem Scheitern zu kokettieren. So wie noch zur Jahrtausendwende das erfolgreiche Abschneiden beim Businessplan-Wettbewerb darf heute der Fuck-up in keiner Gründervita fehlen. Fuck-up Nights gibt es inzwischen weltweit. Der Ablauf ist im Großen und Ganzen überall gleich: Gründer erzählen einem größeren Publikum von ihren Fehlschlägen, inklusive Q&A-Session und Flaschenbier. Und was den Jungen gefällt, machen die Alten nach, um nicht ganz so alt zu erscheinen. Selbst große Konzerne sprechen inzwischen offen vom Scheitern. „Man muss auch den Mut haben, zu sagen, ich scheitere jetzt mal mit Themen“, sagt zum Beispiel Telekom-Chef Timotheus Höttges. Und Michael Otto, ehemaliger Chef der Otto Group, fordert sogar: „Wir brauchen eine Kultur des Scheiterns.“ Auch wenn klar ist, dass beide damit wohl eher die gute alte unternehmerische Risikobereitschaft meinen, die niemals das ganze Unternehmen aufs Spiel setzen sollte, wünscht man ihnen nicht, dass ihre Mitarbeiter sie hier allzu wörtlich verstehen.

Erstrebenswert ist keine Kultur des Scheiterns, sondern eine Unternehmerkultur, in der es erwünscht und wichtig ist, Neues auszuprobieren und auch Raum dafür einzuräumen, wenn es mal schiefgeht.
Andreas Kuckertz, Universität Hohenheim

Manche Äußerungen lassen den Eindruck entstehen, dass man sich die Angst davor, etwas Neues auszuprobieren, nehmen will, indem man den schlimmsten Ausgang seines Handelns, der eintreten kann, den Worst Case zur Normalität erklärt. „Im Moment gilt das Scheitern als enorm populär“, sagt Holger Patzelt, Professor am Lehrstuhl für Unternehmertum an der Technischen Universität München, der sich seit vielen Jahren mit dem Scheitern im Wirtschaftsleben beschäftigt. „Darüber vernachlässigt man aber, dass dahinter eine sehr schmerzhafte Erfahrung steht.“ Auch wenn die Gründung eines Unternehmens immer das Risiko des Scheiterns in sich trägt, darf Scheitern nicht zum Selbstzweck verkommen. Oder wie es Andreas Kuckertz, Professor an der Universität Hohenheim, erklärt: „Erstrebenswert ist keine Kultur des Scheiterns, sondern eine Unternehmerkultur, in der es erwünscht und wichtig ist, Neues auszuprobieren und auch Raum dafür einzuräumen, wenn es mal schiefgeht.“

Neues kennt zunächst weder richtig noch falsch 

Auch der Organisationsexperte und ehemalige MIT-Professor Edgar Schein äußert sich uns gegenüber skeptisch, dass die in ihrer Vehemenz übertrieben wirkende neue Akzeptanz des Fehlermachens tatsächlich zu etwas Besserem führt: „Im Silicon Valley gibt es allerlei Ansätze unter dem Schirm agiler Softwareentwicklung, mit der Idee, je mehr Fehler man macht, desto schneller lerne man. Das Fehlermachen wurde hier zu etwas Positivem gemacht. Wenn Du keine Fehler machst, bemühst du dich nicht genug. Die haben das komplett auf den Kopf gestellt.“ Das Zelebrieren des Fehlermachens, das Stilisieren des Scheiterns lenkt davon ab, worum es eigentlich gehen sollte: Ausgehend von einer grundsätzlichen Fehlerhaftigkeit der Dinge und dem Versuch, diese Fehlerhaftigkeit zu verringern, sind Fehler, für den der sie macht, unvorhersehbar auftretende, unerwünschte Begleiterscheinungen, die ihm, indem er aus ihnen lernt, dabei helfen, sie loszuwerden. Wer einem konkreten Impuls folgend unbekanntes Terrain betritt, kann nicht ausschließen, dass er damit scheitert. Der Impuls jedoch sollte niemals sein, das Scheitern erfahren zu wollen, um daraus zu lernen.

Wer einem konkreten Impuls folgend unbekanntes Terrain betritt, kann nicht ausschließen, dass er damit scheitert. Der Impuls jedoch sollte niemals sein, das Scheitern erfahren zu wollen, um daraus zu lernen.

„Handlung wird Erfahrung und Erfahrung wird zum Material, aus dem zukünftige Entscheidungen entstehen“, sagen Austin und Devin. „Die Einbindung zurückliegender Handlungen in das Material, aus dem geschaffen wird, ist die Kraft, die Emergenz befördert.“ Wenn Unternehmer und Manager heute davon sprechen, die Möglichkeit des Scheiterns zu akzeptieren, dann gibt es unter ihnen manche, die bewusst oder unbewusst darin genau diese Kraft erkennen.

Was Unternehmen von Künstlern lernen können
Dirk Dobiéy und Thomas Köplin hinterfragen in einer Artikelserie gängige Klischees bezüglich Innovation und Kreativität.
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Deswegen und nur deswegen ist es ihnen wichtig, die Angst zu scheitern abzulegen. Sie erkennen, dass sie ihre Mitarbeiter ermutigen müssen, in größeren Zusammenhängen zu denken und zu handeln. Manchmal erkennen sie auch, dass der Versuch, zu planen, zu steuern und zu kontrollieren, da, wo Neues entstehen soll, pathologisch ist. Und umgekehrt, dass ihre Organisationen beweglicher, elastischer, letztendlich kreativer werden, wenn sich das Handeln der Menschen in ihnen nicht mehr nur an richtig oder falsch orientiert.

Übung macht den Meister - und Üben heißt Fehler machen

So schwer es fällt, sich von diesen Denkmustern zu lösen, so wenig neu ist die Forderung danach: „Man scheitert nach vorne, in Richtung Erfolg“, sagte der Erfinder und Ingenieur Charles Kettering vor beinahe einhundert Jahren. Er war überzeugt davon, dass Erfahrung, besonders mit anderen gemachte Erfahrung, nicht nur der beste, sondern der einzige Lehrer ist. „Wenn wir Musik so lehren würden, wie wir versuchen Ingenieurwesen zu lehren, im Rahmen eines zusammenhängenden Vierjahreskurses, wäre das Resultat nur Theorie und keine Musik. Wenn wir zu musizieren lernen, dann üben wir von Anfang an und wir üben die ganze Zeit, weil es keinen anderen Weg gibt, Musiker zu werden. Genauso wenig können wir Ingenieure werden, indem wir nur Bücher studieren, weil es praktischer Erfahrungen bedarf, die sogenannten Theorien mit der Praxis in Beziehung zu setzen.” Misserfolge verstand Kettering als Probeschüsse, als Ereignisse, die sich zwangsläufig in der Forschung und im Umgang mit Ungewissheit ergeben. Und dennoch war ihm wichtig, immer daran zu glauben und zu handeln, als ob es unmöglich wäre, zu scheitern. Denn wer so handelt, als sei ein Scheitern nicht möglich, der erachtet Fehler als Material, als Ressource, die genutzt wird, um ein Scheitern letztendlich zu verhindern.

Autoren 

Dirk Dobiéy und Thomas Köplin sind Mitgründer des Beratungs-, Ausbildungs- und Forschungsnetzwerks Age of Artists. Dirk Dobiéy war bis 2014 in unterschiedlichen Führungsfunktionen in der mittleren Leitungsebene bei SAP tätig. Davor arbeitete der Betriebswirt viele Jahre als Unternehmensberater bei Hewlett-Packard sowie als Beratungsleiter bei T-Systems. Thomas Köplin ist seit 2002 in der Digitaleinheit der Deutschen Telekom für Organisations- und Strategieentwicklung sowie interne Kommunikation zuständig.

Sie sind Autoren des Buches "Creative Company".