New Work Selbstorganisation

Der Abgesang auf New Work hat begonnen – zu recht?

Kommentar Ist New Work am Ende? Die Cargo-Kulte rund um Kickertisch und Happiness schon, meint Guido Zander. Aber nicht, wenn es um den Kern des Ganzen geht: Vertrauen, Freiraum, Selbstorganisation. Das sei wichtiger denn je.

Foto: Celpax on Unsplash
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Ist New Work durch die Krise tot?

In Zeiten der Krise – und erst recht in einer Krise wie gerade – sehnen sich viele nach der guten alten Zeit. Dies gilt im Privaten wie im Geschäftlichen. Im Geschäftlichen offensichtlich allerdings nicht nach der Zeit direkt vor der Krise. Denn die war ja geprägt von Fachkräftemangel, und da musste man sich doch tatsächlich darum bemühen, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein und Leute wie einen Chief Happiness Officer installieren, der dann Kicker und Bällebad angeschafft hat. Nein, da sehnen wir uns lieber nach der guten noch älteren Zeit, wo es Führungskräfte gab, die wussten, was für das Unternehmen und Mitarbeitenden gut ist, und hart per Hierarchie von oben nach unten durchregiert haben. Und genau die brauchen wir jetzt auch wieder in der Krise!

In Zeiten der Krise – und erst recht in einer Krise wie gerade – sehnen sich viele nach der guten alten Zeit. wo es Führungskräfte gab, die wussten, was für das Unternehmen und Mitarbeitenden gut ist, und hart per Hierarchie von oben nach unten durchregiert haben.

So schreibt Guido Schmidt in einem Kommentar auf New Management: „Man wollte mit einer neuen Arbeitswelt junge Talente gewinnen und die Zufriedenheit der Belegschaft erhöhen. Ein schöner Luxus, wenn es denn gut läuft. Mit der echten Wirtschaftskrise wird New Work als teures Hobby der Personaler deklariert. Das Coaching und Trainings werden ebenso dem Roststift zum Opfer fallen wie Diversity-Initiativen.“ Und weiter: „Der Kern von New Work ist die Frage „Was man wirklich wirklich will“. Besser kann man den ausgeprägten Individualismus als Kern der Bewegung wohl gar nicht ausdrücken. Auch wenn man Work-Life-Balance in Work-Life-Blendung umbenennt, so bleibt doch der Kern das individuelle Glück, das man nicht nur im Privaten, sondern auch in der Arbeit finden will. Die Gemeinschaft soll Rücksicht nehmen auf individuelle Lebenssituationen, den selbst definierten Sinn des Lebens und die eigene (diverse) Persönlichkeit.“

Selbstorganisation? Funktioniert bei der Stadtreinigung Berlin. Zumindest wenn es um die Arbeitsverteilung geht. Foto: BSR
Selbstorganisation? Funktioniert bei der Stadtreinigung Berlin. Zumindest wenn es um die Arbeitsverteilung geht. Foto: BSR

Hinter diesen Zeilen verbirgt sich implizit eine Definition von New Work, die im Kern nicht zutreffend ist. Es gibt einen riesigen Unterschied zwischen New Work, wie es gemeint ist, und vermeintlichem New Work, wie es viele interpretieren und auch mehr oder weniger geglückt umgesetzt haben.

Was New Work nicht ist

Als erstes ist New Work definitiv nicht die Verbesserung des Betriebsklimas durch Cargo-Kulte wie Kicker und Playstations und das Benennen eines Chief Happiness Officer oder wie auch immer man das nennen mag, der oder die sich überlegt, wie man die Belegschaft bespaßen kann.

Es gibt einen riesigen Unterschied zwischen New Work, wie es gemeint ist, und vermeintlichem New Work, wie es viele interpretieren und auch mehr oder weniger geglückt umgesetzt haben.

New Work ist es außerdem nicht, Beschäftigte in Watte zu packen beziehungsweise keine Leistung abzufordern und jedem individuellen und bisweilen sogar egoistischen Wunsch nachzukommen, damit jeder maximal glücklich sei. Das hatte Fritjhof Bergmann mit der Frage „Was man wirklich wirklich will“ definitiv nicht gemeint. Und New Work ist übrigens auch nicht, wenn Beschäftigte unter Zwang von 9 bis 17 Uhr am Arbeitsplatz im Homeoffice sitzen müssen.

Aber was ist denn dann New Work?

Als erstes ist es einmal eine gesellschaftspolitische Utopie, bei der es nicht um Egoismen geht, sondern darum, wie man Arbeit menschengerecht und fair gestalten kann. Bergmann fordert eine Abschaffung der Lohnarbeit, also dass niemand gezwungen sein muss, für Geld eine Tätigkeit auszuüben, die er / sie nicht wirklich will. Und fordert, dass die eigentliche Motivation nicht extrinsisch durch Geld, sondern intrinsisch durch Sinn erfolgen solle. Wenn das gelinge, arbeite jeder gern – und Kontrolle könne durch Vertrauen ersetzt werden.

New Work, das heißt: Vertrauen statt Kontrolle. Selbstorganisation und Selbstbestimmtung im Rahmen betrieblicher Vorgaben. Und Mitarbeitende sehen einen Sinn in ihrer Tätigkeit und erkennen ihren Beitrag zum Großen und Ganzen.

Natürlich sind wir von dieser Utopie weit entfernt, und ich persönlich glaube auch, dass wir da so schnell nicht hinkommen werden, denn dafür müsste es einen gesellschaftspolitischen Wandel geben. Dennoch kann man daraus ableiten, was New Work für Unternehmen heißen kann. Verkürzt könnte man es wie folgt darstellen:

  • Führungsmodelle gehen eher von einem positiven Menschenbild aus und setzen eher auf Vertrauen statt auf Kontrolle
  • Mitarbeitende und Gruppen arbeiten selbstorgansiert und selbstbestimmt im Rahmen betrieblicher Vorgaben
  • Mitarbeitende sehen einen Sinn in ihrer Tätigkeit und erkennen ihren Beitrag zum Großen und Ganzen.

Und wie kann New Work in Unternehmen konkret aussehen?

Die Ausgestaltungsmöglichkeiten sind vielfältig und hängen vom Geschäftsmodell, den Prozessen und den Kundenanforderungen ab. Ein schönes Beispiel ist das Projekt „Neues Arbeitszeitsystem Reinigung“ unseres Kunden Berliner Stadtreinigung, das auch unter den Top 3 Projekten beim Deutschen Personalwirtschaftspreis war:

Die Aufgabe der Reinigungskräfte ist es, ein bestimmtes Gebiet in Berlin nach bestimmten Vorgaben zu reinigen bzw. sauber zu halten. Früher wurde genau vorgegeben, wann welche Straße zu reinigen ist, wie zu arbeiten ist und die Dienste wurden vorgegeben. Zudem gab es eine sehr restriktive Urlaubsplanung und der Schichtbeginn 5:42 Uhr war für viele (Allein-)Erziehende fast nicht zu organisieren.

Jetzt funktioniert dies wie folgt: Eine Gruppe ist für die Reinigung eines Gebietes verantwortlich. Was wann in welcher Reihenfolge wie gereinigt wird, entscheidet die Gruppe. Die Urlaubs- und Dienstplanung wird in der Gruppe vorgenommen, so hat jeder maximal viel Einfluss auf die Arbeitszeit und die Lage der Urlaube. Ebenso kann die Gruppe entscheiden, ob man durchreinigt (also sechs Stunden reinigt und dann Pause im Betriebshof macht) oder vier Stunden reinigt, dann im Betriebshof Pause macht und danach noch einmal ins Gebiet rausfährt und weiterreinigt. Die erste Variante ist deutlich anstrengender, hat aber den Vorteil, dass man an heißen Tagen vor 12 Uhr im Betriebshof ist und nicht in der großen Hitze arbeiten muss. Wie gearbeitet wird, kann jede Gruppe frei entscheiden, gegebenenfalls auch von Tag zu Tag. Zusätzlich gibt es nun ein Angebot an Schichten mit Tätigkeiten, die auch später erledigt werden können, so dass Erziehende oder Langschläfer erst um 8 Uhr morgens anfangen müssen.

Falsch verstandenes New Work, das auf oberflächliche Bedürfnisbefriedigung baut, wird sicherlich in der Krise unter Druck kommen. Und das völlig zu recht.

Diese Regelung hat zu einer deutlichen Verbesserung der Mitarbeiterzufriedenheit geführt. Bei einem anderen Kunden setzen wir gerade eine Regelung um, bei der die Mitarbeitenden unter Wahrung einer Servicezeit je Bereich (von wann bis wann muss ein Bereich erreichbar sein und erfordert dies Präsenz einer Mindestbesetzung im Unternehmen oder nicht) frei entscheiden können, ob sie im Homeoffice oder im Unternehmen arbeiten. Je nach geforderter Erreichbarkeit können die Beschäftigten tagsüber auch private Dinge zwischendurch erledigen, solange die Arbeit erledigt wird. Also klassisches Work-Life-Blending.

Beide Beispiele zeigen, dass den Beschäftigten vertraut wird, dass sie ihre Arbeit korrekt erledigen. Im Gegenzug erhalten diese mehr Einfluss auf die Gestaltung der Arbeit und Arbeitszeit und somit mehr Flexibilität, Berufliches und Privates auszutarieren.

Ist New Work in der Krise nun in der Krise?

Falsch verstandenes New Work, das auf oberflächliche Bedürfnisbefriedigung baut, wird sicherlich in der Krise unter Druck kommen. Und das völlig zu recht. Die Krise hat aber auch gezeigt, dass diejenigen Firmen besser durchgekommen sind, die bereits heute sehr flexibel sind. Und Firmen mit zufriedenen, selbstorganisierten und Verantwortung übernehmende Beschäftigten sind mit Sicherheit flexibler als hierarchisch organisierte Unternehmen, die bei allem eine Befehlskette von oben nach unten durchlaufen müssen.

Ein schönes Beispiel hierfür ist auch die Initiative zwischen Aldi und McDonalds während des ersten Lockdowns. Während Aldi Leute gebraucht hat, war der Bedarf bei McDonalds im Keller. Im mittleren Management ist dann selbständig die Initiative entstanden, dass McDonalds-Mitarbeitende bei Aldi aushelfen. Dies war keine Top-Management-Idee, und mir ist aktuell nicht bekannt, wie diese Unternehmen organisiert sind. Aber ich denke, es ist nicht verkehrt anzunehmen, dass es gewisse Hierarchien gibt.

Mitarbeiterzufriedenheit hat nur auf den ersten Blick etwas mit oberflächlicher Bedürfnisbefriedigung zu tun.

Das heißt die Initiative ist entstanden, obwohl es noch keine weitreichende Selbstorganisation gibt. Alexander und Sabine Kluge beschreiben in ihrem Buch „Graswurzelinitiativen“ eindrucksvoll derartige Initiativen. Stellt Euch jetzt mal vor, diese Initiativen entstehen nicht trotz der Organisation, sondern werden durch die Organisation gefördert! Welche Potenziale können da gehoben werden. Und wie schnell könnte man auf Veränderungen reagieren?

Richtig verstandenes New Work wird gerade jetzt gebraucht

Mitarbeiterzufriedenheit hat nur auf den ersten Blick etwas mit oberflächlicher Bedürfnisbefriedigung zu tun. Natürlich schadet es auch nicht, wenn man durch angenehme Räumlichkeiten, einen Obstkorb et cetera für ein angenehmes Betriebsklima sorgt (einen Chief Happiness Officer halte ich dennoch für einen Business Kasper …). Dennoch gehen diese Dinge im Kern an dem vorbei, was wirklich wirklich notwendig ist: mehr dezentrales, selbstorganisiertes Arbeiten, bei dem die Beschäftigten mehr Einfluss auf die eigene Arbeit und die Gestaltung der eigenen Arbeitszeit haben und damit Berufs- und Privatleben besser kombinieren können.

Ich habe noch nie gehört, dass ein Unternehmen wegen zufriedener und motivierter MitarbeiterInnen insolvent gegangen wäre.

Und das nicht als Egonummer, sondern sehr oft als Team im Rahmen einer Gruppenarbeit. Wird das sinnvoll umgesetzt, profitieren Unternehmen und Arbeitnehmer gleichermaßen. Und ich persönlich vertrete die – vermutlich total schräge – These, dass es eine echt coole Idee wäre, wenn wir die Beschäftigten nicht nur in Zeiten des Fachkräftemangels, sondern auch in einer Krise gut behandeln (das könnte im Aufschwung nach der Krise richtig helfen …). Denn ich habe noch nie gehört, dass ein Unternehmen wegen zufriedener und motivierter MitarbeiterInnen insolvent gegangen wäre.