Change Management Organisationsentwicklung

Mitbestimmung: „Es ist kein Wunder, dass die Leute Angst haben“

Die Diskussion um die digitale Transformation wird in Deutschland falsch geführt. Das sagen die Wissenschaftler Kira Marrs und Tobias Kämpf. Nur über Mitbestimmung könne ein Umbruch gelingen.

Die digitale Transformation fordert auch ein Neudenken von Mitbestimmung
Die digitale Transformation fordert auch ein Neudenken von Mitbestimmung

Die Transformation in den Unternehmen sei auch ein gesellschaftlicher Wandel, sagen die Wissenschaftler Kira Marrs und Tobias Kämpf. In dem fünfjährigen Forschungsprojekt „WING – Wissensarbeit im Unternehmen der Zukunft nachhaltig gestalten“ sind sie der Frage nachgegangen, wie Unternehmen diesen Wandel gestalten können – und zwar gemeinsam mit ganz unterschiedlichen Interessenvertretern. Auf der Abschlusskonferenz "Wir gestalten Zukunft" in Berlin haben sie ihre Ergebnisse vorgestellt. Warum Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft so wichtige Faktoren für die Transformation sein können, und warum Deutschland im Silicon Valley beneidet wird, erklären sie im Interview.

Herr Kämpf, Sie sagen, der Wandel, den wir in der Arbeitswelt erleben, ist viel mehr als ein technischer Wandel. Wo sehen Sie noch überall Veränderungen in den Unternehmen?

Kämpf: Das fängt bei den Geschäftsmodellen an. Selbst kleine Firmen müssen sich heute mit Themen wie Künstliche Intelligenz, Cloud, Internet of Things auseinandersetzen und sich fragen, welche Auswirkungen diese Technologien auf ihr Geschäftsmodell haben. Das gilt auch für reife Industrien wie die Autoindustrie. Die Märkte dort ändern sich gerade rasant. Arbeit wird mit der Digitalisierung neu gedacht. Das bürokratische Unternehmensmodell, das uns die letzten 150 Jahre geprägt hat, wird zunehmend zur Disposition gestellt. Zudem beschäftigt sich die Personalpolitik mit dem Wandel und wie dieser gemeinsam mit der Belegschaft gestaltet werden kann. Qualifizierung ist da ein wichtiges Stichwort, ebenso der Arbeitsplatz der Zukunft.  Was wir in unserer Forschung festgestellt haben, ist außerdem, dass Führung ein ganz brennendes Thema ist. Der digitale Wandel geht also bis in die Kultur des Unternehmens hinein.

Wir wollten die Menschen zu aktiven Gestaltern des Wandels machen.
Tobias Kämpf

Frau Marrs, was bedeutet das für die Unternehmen, die schon länger existieren?

Marrs: Diese Unternehmen können natürlich nicht wie ein Start-up ganz neu auf der grünen Wiese starten. Ein Unternehmen wie beispielsweise die Robert Bosch GmbH mit mehr als 120 Jahre Firmengeschichte hat gewachsene Organisationsbeziehungen, gewachsene Kundenbeziehungen und auch gewisse Vorstellungen, wie mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umzugehen ist. Es ist also eine riesige Herausforderung für diese gestandenen Unternehmen, in die digitale Zukunft aufzubrechen

Kira Marrs Foto:ISF München, Ingo Cordes
Kira Marrs bei der Abschlusskonferenz des WING-Projekts Foto: ISF München, Ingo Cordes

Wie haben Sie den Unternehmen, mit der Entwicklung und Erprobung des WING-Projekts, bei diesem Prozess geholfen?

Marrs: Wir haben ein ganz neues Instrument entwickelt, das so genannte Betriebliche Praxislaboratorium. Der Beginn des Projekts vor fünf Jahren fiel in eine Zeit, in der ganz viele Unternehmen auf Start-ups gesetzt haben und die Innovation am Rande der Organisation vorantreiben wollten. Das Wing-Projekt sollte aber zeigen, dass es auch im Herzen der Organisation von gestandenen Unternehmen mit den beteiligten Menschen, mit den Führungskräften und mit den Betriebsräten möglich ist, an Lösungen zu arbeiten. Wir wollten die Menschen nicht nur mitnehmen, sondern zu aktiven Gestaltern des Wandels machen.

An welchen Themen haben Sie mit den Unternehmen gearbeitet?

Marrs: Im Herzen des Praxislaboratoriums, im Lab-Team, wurde selbst über die Themen entschieden, die angegangen werden sollten.  Bei einem der beteiligten Unternehmen, der Fiducia & GAD IT AG, wurde zum Beispiel an einem Referenzsystem für die Führung der Zukunft gearbeitet. Dabei hat das Team unter anderem Interviews mit Führungskräften geführt, die schon Vorreiterrollen im Unternehmen innehatten. Die Themen wurden also von innen heraus und interdisziplinär erarbeitet. Zusätzlich wurde der Prozess von einem Lenkungskreis begleitet, der das Team unterstützend beraten hat und in dem Vertreter aus dem Betriebsrat und aus dem Management zusammengekommen sind. Das hat ganz neue Möglichkeiten des Austauschs zwischen diesen beiden Akteuren ermöglicht. Wir als Wissenschaftler haben zusätzlich beraten und waren die Schnittstelle zwischen dem Lab-Team und dem Lenkungskreis.

Können so viele verschiedene Interessenvertreter agil arbeiten?

Kämpf: Bei einem Umbruch muss man kurzzyklisch vorgehen. Die Teams haben in Sprints von vier bis acht Wochen gearbeitet, die Ergebnisse haben sie nach jedem Sprint dem Lenkungskreis vorgestellt. Agil bedeutete, nicht im Vornhinein jedes kleinste Detail abzustimmen. Die Kompromisse wurden im Vorwärtsgehen immer wieder neu ausgelotet. Natürlich mussten sich eine Menge Stakeholder an einen Tisch setzen, aber genau dieses agile Setting hat dazu geführt, dass es funktionierte.

Tobias Kämpf Foto:ISF München, Ingo Cordes
Tobias Kämpf bei der Abschlusskonferenz des WING-Projekts Foto: ISF München, Ingo Cordes

Sie haben Menschen in den Unternehmen interviewt. Was haben Sie dabei erfahren?

Kämpf: Wir sind bei den Beschäftigten auf eine große Verunsicherung gestoßen. Die Menschen fühlen sich als Spielball der technischen Entwicklung. In Deutschland wird Digitalisierung oft auf Automatisierung reduziert. Die Diskussion dreht sich darum, ob Beschäftigte überhaupt das Glück haben, ihren Arbeitsplatz zu behalten. Da ist es kein Wunder, dass die Leute Angst haben. Dabei sind das doch die Menschen, die den Wandel aktiv vorantreiben müssten. Die Diskussion um die Digitalisierung sollte sich also vielmehr darum drehen, wie Arbeit dadurch besser und humaner gestaltet werden kann. 

Die Arbeitswelt ändert sich auch dahingehend, dass Tarifverträge, unbefristete Arbeitsplätze, Betriebsräte und Gewerkschaften an Bedeutung verlieren.

Kämpf: Deshalb darf es bei der jetzigen Diskussion über den Wandel nicht um eine New Economy reloaded gehen. Damals wurde die Digitalisierung gegen die Mitbestimmung instrumentalisiert. Es hieß, Selbstbestimmung statt Mitbestimmung. In den Betrieben, die wir in unserem Projekt begleitet haben, haben wir etwas anderes erlebt. Sozialpartnerschaft und Mitbestimmung sind ein Erfolgsfaktor, um diesen Umbruch bewältigen zu können. Es schafft Vertrauen und Sicherheit – und das brauchen die Menschen, um sich auf solche Veränderungsprozesse einzulassen.

Wir werden den Wandel nicht allein mit Digital Natives bestreiten können.
Kira Marrs

Dieser Meinung sind sicherlich nicht alle, die gerade am Wandel beteiligt sind.

Kämpf: Uns ist bei den Besuchen im Silicon Valley aufgefallen, dass die Strategen dort sehr aufgeschreckt waren vom Wahlsieg Trumps. Sie haben gemerkt, dass das auch etwas mit ihnen zu tun hat, mit den Gewinnern und den Verlierern der Digitalisierung. Die Klügeren von ihnen waren der Meinung, dass gerade Deutschland, mit den gewachsenen Strukturen, der Sozialpartnerschaft und auch mit solchen Traditionen wie der dualen Ausbildung, es schaffen müsste, den Wandel in der ganzen Gesellschaft voranzutreiben - ohne dass diese Gesellschaft dabei aus den Fugen gerät. Die Leute beneiden uns um diese Strukturen.

Marrs: Mitbestimmung ist gerade wegen der Ängste, die die Leute haben, ein ganz zentraler Punkt. Das sehen auch viele Führungskräfte so, und sie wünschen sich Betriebsräte und Gewerkschaften, die nach vorne schauen und Zukunftsthemen angehen. Das bedeutet im Umkehrschluss natürlich auch, dass die Gewerkschaften und Betriebsräte sich mit der Transformation auseinandersetzen müssen. Bei den Betrieblichen Praxislaboratorien haben wir innovative Beispiele für dieses Engagement erlebt.

Das Projekt WING

„WING – Wissensarbeit im Unternehmen der Zukunft nachhaltig gestalten“ ist ein Verbundprojekt unter Leitung des Instituts für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. – ISF München in Kooperation mit der IG Metall und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Es wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) gefördert.

WING-Projekt

Trotzdem stehen sich bei diesen Prozessen unterschiedliche Interessensvertreter gegenüber. IG-Metall Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban hat auf der Abschlusskonferenz des Wing-Projekts gesagt, dass die Gewerkschaften eventuell dazu gezwungen wären, Prozesse zu blockieren, wenn es keine Diskussionen um neue Formen von Schutz und Sicherheit gäbe.

Marrs: Die Gewerkschaften haben sicherlich recht, wenn sie sagen, dass man sich auch die Digitalisierungsverlierer anschauen muss. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Wir werden den Wandel nicht allein mit Digital Natives bestreiten können. Das treibt doch die Strategen in den Unternehmen genauso um. Zumindest diejenigen, die nicht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen setzen. Dafür brauchen wir insgesamt Lösungen. Eine Schönfärberei nützt niemanden etwas. Genau deshalb müssen wir es versuchen, diesen Umbruch gemeinsam hinzubekommen.

Zur Person

Dr. Kira Marrs ist Wissenschaftlerin am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) München e.V. Ihr Forschungsschwerpunkt ist der digitale Umbruch von Wirtschaft und Arbeit. Ein wichtiger Fokus von ihr liegt auf der Förderung der Entwicklungschancen von Frauen, die sie mit einer fundierten Analyse der Folgen der digitalen Transformation in Unternehmen verknüpft. Sie bringt somit zwei Forschungsthemen zusammen, die in der Wissenschaft und der Praxis meist getrennt behandelt werden.

Dr. Tobias Kämpf ist Wissenschaftler am ISF München. Er forscht zur Digitalisierung von Arbeit und die Zukunft der Gesellschaft. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Digitale Geschäftsmodelle und der Umbruch in Unternehmen, neue Arbeitsformen und die agile Organisation sowie die Folgen für Beschäftigte und ihre Arbeitsbedingungen.