Digitalisierung Agilität

„Wir haben schon agil gearbeitet, bevor das Wort überhaupt bekannt wurde“

Interview Der Laserspezialist Trumpf arbeitet seit den 90er Jahren erfolgreich mit Lean-Management-Methoden. Die haben schon viel vom agilen Arbeiten vorweggenommen, erklären die Trumpf-Experten Florian Guber und Reiner Köttgen.

Beim Lean Management geht es um Prozesse und Einheiten, die ineinandergreifen.
Beim Lean Management geht es um Prozesse und Einheiten, die ineinandergreifen.

Herr Guber, Sie haben fünf Jahre lang die Beratung SYNCHRO-Consulting von Trumpf geleitet und nun gemeinsam mit Trumpf-CDO Mathias Kammüller ein Buch über SYNCHRO geschrieben. Was hat es damit auf sich?

Guber: SYNCHRO ist die Trumpf-Übersetzung für Lean-Management-Systeme. In dem Buch beschreiben wir, was wir unter diesem System verstehen und welche tiefgreifenden Veränderungen wir mithilfe von SYNCHRO erreichen konnten.

Florian Guber
Florian Guber

Beim Thema Lean Management kommt vielen das Produktionssystem von Toyota in den Sinn.

Guber: Um die Jahrtausendwende haben sich einige große Industrieunternehmen mit dem Thema Lean Management befasst, viele Automobilisten haben versucht, das Toyota Produktionssystem zu kopieren. Auch wir haben uns daran angelehnt und hatten Experten aus Japan im Haus. Trumpf hat sich aber von Anfang an bewusst dafür entschieden, das System nicht Produktionssystem zu nennen, weil SYNCHRO eben nicht nur in der Produktion angewandt werden kann. Es geht um Prozesse und Einheiten, die ineinandergreifen und miteinander abgestimmt arbeiten.

Ist das für Sie die Definition von Lean Management?

Guber: Das ist sicherlich ein wichtiger Aspekt. Ein weiterer wichtiger Bestandteil von Lean Management und SYNCHRO ist das Just-in-time-Prinzip: Es geht darum, Prozesse in ihrem Fluss zu gestalten. Dazu gehört die Art und Weise, wie geführt wird und damit die entsprechende Kultur. Die Prozesse sollen transparent gehalten werden und Fehler erkannt werden. Das, was in allen an Toyota angelehnten Produktionssystemen zu finden ist, ist das Kaizen-Prinzip: das kontinuierliche Verbessern von Prozessen.

Lean und Agilität widersprechen sich nicht, sie ergänzen sich.
Reiner Köttgen

Herr Köttgen Sie beraten Trumpf als Agile Coach. Sehen Sie in dieser Definition schon Zusammenhänge zu den agilen Arbeitsmethoden?

Köttgen: Ja, zwingend. 2001 wurde das Agile Manifest veröffentlicht, die Autoren damals haben Vieles an den Lean-Methoden geschätzt. Im Projektgeschäft stößt Lean aber an seine Grenzen. Prozesse in der Produktion sind in der Regel wiederkehrende Ereignisse, Projekte hingegen wiederholen sich nicht, sondern sind immer wieder neu. Die Autoren des Manifestes haben also all das Gute in Lean übernommen, wie zum Beispiel, dass Verschwendung vermieden werden sollte oder dass Prozesse kurzzyklisch überprüft und schnell angepasst werden. Methodisch haben die Verfasser des Agile Manifests aber noch weitere Dinge miteingebracht: Der Kunde stand jetzt zum Beispiel noch stärker als es bei Lean schon der Fall war im Fokus. Lean und Agilität widersprechen sich also nicht, sie ergänzen sich.

Guber: Bei der agilen Arbeitsmethode Scrum gibt es kurze Planungszyklen, Sprints und Etappen. Das ist ähnlich wie das Takt-Prinzip in der Lean-Produktion: In dieser Zeit muss ein Arbeitszyklus abgeschlossen werden. Anstelle eines Backlogs gibt es in der Produktion Kanban, die Absicht dahinter ist aber dieselbe: Prozesse sichtbar machen. Hier kommen schon die Themen Dezentralität und flache Hierarchien ins Spiel. Die kennen wir im Lean Management im Zusammenhang mit der „Mini Company“, einem kleinen Verantwortungsbereich, der wie eine Fabrik in der Fabrik organisiert ist. Dort sind die Mitarbeiter dann nicht nur ein Rädchen im Getriebe, sondern übernehmen für ihren Bereich Verantwortung.

Eine flache Hierarchie in der Produktion?

Guber: Flache Hierarchie bedeutet ja nicht, dass ich keine Teams und Gruppen und Führungskräfte mehr habe. Für uns bedeutet flache Hierarchie, dass ich Teams in einer überschaubaren Größe habe, die selbstständig Entscheidungen treffen können. Das ist in einer agilen Organisation ähnlich. Trotzdem sind in der Produktion bestimmte Dinge vorgegeben. Wir haben es dort nun mal mit wiederkehrenden Prozessen zu tun. Da sind mehr Routine und Gleichmäßigkeit drin. Ich kann in der Produktion nicht sagen „Mir ist nur wichtig, dass der Laser am Ende funktioniert, du kannst dir selbst überlegen, wie du das zusammenbaust.“ Damit kann man keinen reproduzierbaren Prozess und auch keine Qualität garantieren. Es gibt also engere Leitplanken, und die sind umso enger, je kürzer der Produktionstakt ist.

In der Produktion ist von der überall beschworenen VUCA- Welt nichts zu spüren?

Guber: In unserem Werk in Schramberg haben wir durchaus eine hohe Fließzahl an Lasern und individuelle Kundenwünsche. Wir denken darüber nach, Teams zu schaffen, die Prototypen bauen, mit denen man sehr schnell auf den Markt gehen kann oder die an Sonderentwicklungen arbeiten, die einmalig sind und keinen Seriencharakter haben.

Reiner Köttgen
Reiner Köttgen

Vereinfacht kann man trotzdem sagen: Lean-Ansätze findet man in der Fabrik, agile Arbeitsmethoden bei Software-Entwicklern?

Köttgen: Ich mache eine andere Trennung: Wenn es um sich wiederholende Prozesse geht, sollte man sich am Lean-Ansatz orientieren. Wenn es um komplexe Projekte und die Entwicklung neuer Prozesse geht, wendet man agile Arbeitsmethoden an. Wo das dann stattfindet – in der Produktion, in der Verwaltung oder anderen Unternehmensbereichen – das ist nicht ausschlaggebend.

Das heißt, Sie als Experte für agile Arbeitsmethoden bei Trumpf können und werden von den verschiedensten Unternehmensbereichen um Hilfe gebeten?

Köttgen: Ja. Wir haben aktuell zum Beispiel ein großes Projekt im Vertrieb, in dem mit Scrum gearbeitet wird.

Ist schon einmal jemand aus dem Produktionsbereich auf Sie zugekommen?

Köttgen: Wenn wir bei Trumpf über agile Produktentwicklung reden, reden wir über weitaus mehr als nur unsere Software-Anteile. Wir entwickeln auch Maschinen mit dieser Arbeitsmethode.

Guber: Der kontinuierliche Verbesserungsprozess im Lean-Management ist schon immer sehr agil gewesen. Zunächst einmal soll der Prozess in der Produktion natürlich möglichst standardisiert sein. Schwankung wird im Lean-Kontext als eine höhere Form der Verschwendung angesehen. Mit Abweichungen und Störungen müssen wir uns aber trotzdem beschäftigen – und spätestens dann sind wir im unbekannten Gebiet. Ein Problem ergibt sich daraus, dass ein gewünschter Zielzustand nicht auf eine herkömmliche Weise erreicht werden kann. Um zur Lösung zu gelangen, arbeiten wir kurzzyklisch und iterativ, nähern uns also schrittweise dem Ziel. Es soll jeden Tag etwas verbessert werden. Da haben wir im Lean-Management schon agil gearbeitet, bevor der Begriff überhaupt bekannt wurde.

Ein Prozess vereinfacht sich nicht allein deshalb, weil ich ihn digitalisiere. Das Verschlanken muss vor der Digitalisierung kommen.
Florian Guber

Welche Rolle spielt das Lean-Management bei der Digitalisierung?

Guber: Lean-Management und Digitalisierung widersprechen sich nicht. Ein Prozess vereinfacht sich nicht allein deshalb, weil ich ihn digitalisiere. Das Verschlanken muss vor der Digitalisierung kommen. Wenn ich einen aufgeblähten Prozess digitalisiere, habe ich am Ende nur einen aufgeblähten digitalen und damit einen teureren Prozess. In der Lasertechnik haben wir zum Beispiel das Condition-based-Monitoring, mit dem sich die Maschinen überwachen lassen. So lässt sich am Monitor erkennen, dass ein Laser gewartet werden sollte, und wir können sofort darauf reagieren und einen Servicetechniker mit den richtigen Ersatzteilen losschicken, noch bevor die Maschine zum Stillstand kommt. Diese vorsorgende Maßnahme ist dann wiederum Lean.

Werden Mitarbeiter mithilfe der Digitalisierung befähigt, eigene Ideen, auch arbeitsorganisatorische, einzubringen, Stichwort Mikroinnovation?  

Guber: Das war und ist ein ganz elementarer Bestandteil von SYNCHRO. Das geht los mit den täglichen Shopfloor-Stehungen, bei denen die Teams mit ihrem Teamleiter zusammenstehen, Abweichungen und Probleme besprechen und Verbesserungsmaßnahmen definieren. Außerdem binden wir die Mitarbeiter in Verbesserungsprojekte mit ein und veranstalten einmal im Quartal Workshop-Tage, an denen wir mit den Mitarbeitern verschiedene Themen zur Verbesserung erarbeiten. Zudem haben wir noch das betriebliche Vorschlagswesen, in das jeder Mitarbeiter Verbesserungsvorschläge einbringen kann. Es gibt also verschiedene Wege, über die Mitarbeiter ihre Ideen einbringen können.   

Köttgen: Das ist auch nicht nur der eine Kreativkopf aus der Abteilung, der immer wieder mit verrückten Ideen um die Ecke biegt, das gilt für alle Mitarbeiter. Sie werden dafür geschätzt, dass sie ihre Ideen einbringen. Das ist selbstverständlich und das spürt man bei den Leuten.   

SYNCHRO. Das Buch
Mathias Kammüller und Florian Guber beschreiben Lean-Management-Methoden und wie diese in den vergangenen Jahrzehnten bei Trumpf umgesetzt wurden.
SYNCHRO. Das Buch. Der lange Weg zur Exzellenz bei TRUMPF

Haben Sie als agiler Experte es leichter, Methoden wie Scrum zu etablieren, weil es SYNCHRO gibt? 

Köttgen: Das ist ganz unterschiedlich – Wenn wir agile Methoden in der Entwicklung ausprobieren, treffen wir mitunter auf Menschen, die bereits seit Jahrzehnten erfolgreich arbeiten und die dann nicht verstehen können, warum sie daran etwas ändern sollten. Aber es gibt auch sehr viele Kollegen, die in diesen Methoden eine große Chance sehen.  

 

Zur Person:

Florian Guber leitete bei Trumpf von 2013 bis Ende 2017 die SYNCHRO Consulting. Seit Mitte 2018 ist er Werkleiter in Schramberg.

Reiner Köttgen ist Experte für Agile Transformation und Agile Coach bei TRUMPF.