Business Transformation Organisationsentwicklung

Hybridarbeit – gekommen, um zu bleiben. Aber einfach wird es nicht

Analyse Die Arbeit der Zukunft wird hybrid – für sehr viele Menschen. Unternehmen müssen die Hybridarbeit jetzt planen, sie bedeutet für Organisationen und die Menschen eine große Umstellung, wie ein Blick in eine Studie von Microsoft zeigt.

Foto: Victor García on Unsplash
Foto: Victor García on Unsplash

Die Zukunft ist hybrid

Eine der ganz großen Fragen der kommenden Monate und Jahre ist die nach der Art, wie wir arbeiten werden. In den vergangenen zwölf Monaten haben Millionen Menschen Erfahrungen mit mobiler Arbeit oder Remote Work gesammelt. Und bei allen Schwierigkeiten, die Homeoffice, oft kombiniert mit Homeschooling und Kinderbetreuung, mit sich gebracht haben mögen: Wirklich verzichten will kaum jemand auf die flexible Gestaltung bei Arbeitsort und Arbeitszeit. Das zeigen zahlreiche Studien, nicht zuletzt der „2021 Work Trend Index“ von Microsoft. Über 30.000 Menschen in 31 Ländern wurden befragt, außerdem hat das Unternehmen Daten aus Teams-Nutzung und von Linkedin ausgewertet. Das wichtigste Ergebnis vorweg: Drei Viertel der Befragten (73 Prozent) wollen auch in Zukunft die Möglichkeit haben, mobil zu arbeiten. Gleichzeitig ist die Sehnsucht nach Rückkehr ins Büro und zu den Kolleg:innen groß – zwei Drittel (67 Prozent) vermissen das. Die Zukunft wird hybrid. Das scheint eine Tatsache zu sein. Und viele Unternehmen stellen sich darauf ein: 66 Prozent der Führungskräfte berichten, ihre Unternehmen bereiteten die Büros für hybride Arbeit vor.

Drei Viertel der Befragten wollen auch in Zukunft die Möglichkeit haben, mobil zu arbeiten. Gleichzeitig ist die Sehnsucht nach Rückkehr ins Büro und zu den Kolleg:innen groß – zwei Drittel vermissen das.

Remote Work hat auch Schattenseiten

Doch hier kommt das große Aber: Nicht alle machen gleich gute Erfahrungen, und die Spaltung zwischen denjenigen, die ihren Arbeitsort zumindest theoretisch frei wählen können und jeden, die keine Wahl haben, vertieft sich. Zum einen scheinen Führungskräfte das Ganze positiver zu sehen als Menschen ohne formale Verantwortung. 61 Prozent der Führungskräfte sagen, ihnen gehe es im Moment gut – das sind 23 Prozentpunkte mehr als bei Mitarbeiter:innen ohne Führungsverantwortung. Führungskräfte berichten zudem von engeren Beziehungen zu Kolleg:innen (11 Prozentpunkte mehr als Menschen ohne Führungsverantwortung) und zu ihren Vorgesetzten (19 Prozentpunkte).

Remote Work: vor allem männliche Wissensarbeiter aus der Generation X kommen mit der aktuellen Situation sehr gut zurecht.  Berufsanfänger:innen, Frauen und Menschen ohne Führungsverantwortung haben mehr oder weniger große Schwierigkeiten.

Der Graben zwischen Führungskräften und Mitarbeiter:innen ist groß

Die Analyse zeige zudem, so die Studienautor:innen, dass vor allem männliche Wissensarbeiter aus der Generation X (40 Jahre plus) mit der aktuellen Situation sehr gut zurechtkommen, während Berufsanfänger:innen, Frauen und Menschen ohne Führungsverantwortung mehr oder weniger große Schwierigkeiten hatten und haben. 37 Prozent der Befragten sagen, ihre Arbeitgeber verlangten zu viel von ihnen.

Diese Zahlen bringen die Studienautor:innen zu einem Schluss: Die Produktivität der Menschen sei trotz Remote Work nicht gesunken, aber der Preis dafür sei hoch: eine erschöpfte Belegschaft. 20 Prozent der Befragten seien, ihr Arbeitgeber kümmere sich nicht um ihre Work-Life-Balance, und über die Hälfte (54 Prozent) fühlt sich überarbeitet. Vor allem die digitale Erschöpfung sei enorm. Videokonferenzen, Chats, E-Mails – in allen Bereichen sind die Nutzungszahlen im vergangenen Jahr geradezu explodiert.

Silos aufgebaut

Und Remote Work bringt noch ein Problem mit sich: Der fehlende persönliche Austausch bedroht die Vernetzung der Mitarbeiter:innen – und damit die Innovationskraft der Unternehmen. Das zeige die Auswertung von Milliarden E-Mails und Teams-Chats. „At the onset of the pandemic, our analysis shows interactions with our close networks at work increased while interactions with our distant network diminished”, schreiben die Studienautor:innen. „Simply put, companies became more siloed than they were pre-pandemic.”

In den Monaten des Homeoffice wurden in vielen Unternehmen Silos (wieder) hochgezogen, die Netzwerke wurden kleiner. 

Die Netzwerke werden kleiner und insgesamt weniger engmaschig. Das sei eine Gefahr für Produktivität und Innovation. Vor allem aber bedrohe das den Zusammenhalt der Menschen untereinander und die emotionale Bindung ans Unternehmen, betonen die Studienautor:innen. „People who said they felt the most productive in our survey also reported strong workplace relationships and feelings of inclusion at work. And, on the contrary, respondents who reported weaker workplace relationships were less likely to report thriving at activities that lead to innovation.“

Doch es gibt auch Positives. Die Menschen sind zusammengewachsen, sie haben auch persönliche Seiten voneinander kennengelernt, die sie vorher nicht kannten: Hunde im Bild während der Videokonferenz, Kinder, ein Blick in private Wohnungen … Die Menschen haben zusammen gelitten und sich gegenseitig gestützt. Verglichen mit der Zeit vor Corona, sagen 39 Prozent, sie seien heute mehr sie selbst während der Arbeit als davor, und 31 Prozent geben an, es sei ihnen weniger peinlich als vor der Pandemie, wenn Häusliches oder Familiäres während der Arbeit auftauche. Und diejenigen, die Einblick ins private Leben ihrer Kolleg:innen bekommen haben, sagen, dass nicht nur die beruflichen Beziehungen gestärkt wurden (12 Prozentpunkte über denen, die keine engen Beziehungen geknüpft haben), sondern sie waren auch produktiver (23 Prozentpunkte mehr) und fühlten sich insgesamt besser (9 Prozentpunkte mehr).

Recruiting und Talent Relationship Management werden sich verändern. Wenn der Arbeitsort an Bedeutung verliert, gilt prinzipiell „Talent is everywhere“.

Folgen für die hybride Arbeitswelt von morgen

Was heißt das Ganze nun für die Zukunft, für die neue Arbeitswelt, geprägt von mehr Flexibilität bei Arbeitsort (und Arbeitszeit)? Zunächst einmal bedeutet es, dass Recruiting und Talent Relationship Management sich verändern. Wenn der Arbeitsort an Bedeutung verliert, gilt prinzipiell „Talent is everywhere“, wie die Autor:innen schreiben. Wenn Job- und Unternehmenswechsel nicht mehr automatisch Umzug bedeuten, erweitert sich der Aktionsradius vieler Menschen enorm. Entsprechend zeigten Linkedin-Analysen, dass nahezu jede:r Zweite einen Stellenwechsel plant. „This fundamental shift expands economic opportunity for individuals and enables organizations to build high-performing, diverse teams from a near-limitless talent pool“, so die Studienautor:innen. „Diese Veränderung ist dauerhaft und sie ist gut für die Chancengleichheit“, kommentiert Karin Kimbrough, Chief Economist bei Linkedin. Unternehmen außerhalb von Ballungszentren eröffneten sich zum Beispiel völlig neue Möglichkeiten, Mitarbeiter:innen zu finden. Generell könnten Unternehmen in einer hybriden Arbeitswelt quasi weltweit nach den besten und passendsten Mitarbeiter:innen suchen, während sich für Menschen ganz neue Karrierechancen ergäben, jenseits von örtlichen Begrenzungen.

Employee Experience und Talent Empowerment

Gleichzeitig erhöht sich aber auch die Bereitschaft von Beschäftigten, ihren Arbeitgeber zu wechseln. Laut Studie überlegen weltweit 41 Prozent der Arbeitnehmer:innen, diesen Schritt zu gehen, bei den jungen Menschen der Generation Z sind es sogar 54 Prozent. Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie mehr denn je in die Bindung ihrer Mitarbeiter:innen investieren müssen. Employee Experience, Talent Empowerment, Arbeitszeitgestaltung, Flexibilität beim Arbeitsort: All das wird wesentlich darüber entscheiden, ob und wie Unternehmen erfolgreich bleiben und werden.

Employee Experience, Talent Empowerment, Arbeitszeitgestaltung, Flexibilität beim Arbeitsort: All das wird wesentlich darüber entscheiden, ob und wie Unternehmen erfolgreich bleiben und werden.

Hauptaufgabe der Führung ist es laut Studie, kritische Fragen zu beantworten: Wer kann mobil arbeiten, wer muss ins Büro kommen, wo soll Alleinarbeit geschehen, wie sieht die ideale Zusammenarbeit aus? Die Antworten auf diese Fragen seien die Grundlage, um die Menschen für extrem flexible Arbeit zu befähigen. Denn dass die Zukunft Menschen und Organisationen ein Maximum an Flexibilität abverlangen wird, daran besteht kein Zweifel.

Büros als Orte des Austauschs und der Zusammenarbeit

Das bedeutet aber auch: Unternehmen müssen in die Büroräume und in Technik investieren „to bridge the physical and digital worlds“. Auch in der hybriden Welt bleiben Büros wichtig – als Orte des Austauschs, der Zusammenarbeit, für die kreative Arbeit an Ideen oder einfach für zwangloses Plaudern und Netzwerken. Die Menschen erwarten in Zukunft sowohl Räumlichkeiten für Zusammenarbeit als auch Rückzugorte für konzentrierte Arbeit. Wenn Mitarbeiter:innen diese beiden Welten nicht im Büro vorfinden, „gibt es keinen Grund für sie, ins Büro zu kommen, dann arbeiten sie von zuhause“, zitiert die Studie Gale Moutrey, Vice President of Workplace Innovation von Steelcase.

Entscheidend für den Erfolg von Hybridarbeit ist die vermeidung von digitaler Übermüdung der Menschen. Das ist eine der Hauptaufgaben der Führung.

Die Autor:innen führen noch einen extrem wichtigen Punkt an: Die Unternehmensspitze muss aktiv gegen die digitale Erschöpfung der Mitarbeiter:innen vorgehen. Sie dürfe die Menschen mit diesem Problem nicht allein lassen. Der erste Schritt laute: Weniger machen. Das Management müsse die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter:innen aktiv reduzieren. Entweder, indem es zusätzliche Menschen einstellt oder indem es konsequent das Konzept „Stop doing“ verfolgt. Zweitens: Nicht für jedes Thema braucht es eine Videokonferenz. Oft reiche auch ein Teams Channel, die gemeinsame Arbeit an einem Dokument oder ganz klassisch eine E-Mail. Das Gleichgewicht zwischen synchroner und asynchroner Zusammenarbeit müssten viele erst noch finden. Drittens brauche es eine Kultur, in der Pausen und Auszeiten möglich und anerkannt seien.