Selbstorganisation Organisationsentwicklung

Firmenübergabe: Von der GmbH zur Genossenschaft

Die Mitarbeiter der iteratec GmbH haben auf Initiative der Inhaber eine Genossenschaft gegründet, die in zwei Schritten die Firma übernehmen soll. Ein Weg mit Vorbildcharakter?

Das Unternehmensmaskottchen von iteratec ist ein pinker Plüschtiger namens „Digitus“. Fotos Sebastian Arlt
Das Unternehmensmaskottchen von iteratec ist ein pinker Plüschtiger namens „Digitus“. Fotos Sebastian Arlt

Klaus Eberhardt, der 1996 die iteratec GmbH zusammen mit Mark Goerke gründete, kann sich nicht erinnern, in der Firmengeschichte jemals Standing Ovations bekommen zu haben – bis auf einen Abend im März 2018, als alle Mitarbeiter zum alljährlichen Mitarbeiterworkshop zusammenkamen. Die Inhaber hatten verkündet, dass sie eine Genossenschaft für die Mitarbeiter gründen möchten, die die Firma perspektivisch übernehmen soll. „Es war ein wahnsinnig emotionaler Moment. Die Leute waren begeistert“, erzählt Klaus Eberhardt in einem der loungigen Besprechungszimmer am Standort München. Hier arbeiten normalerweise rund 150 der insgesamt mehr als 350 Mitarbeiter, darunter die beiden Inhaber. Das Gebäude hat die Firma erst vor wenigen Jahren bezogen, alles ist frisch renoviert und entspricht modernster Arbeitsplatzgestaltung. Die Geschäftsführer haben kein festes Büro, es gibt viele Sitzecken und eine Spielkonsole zum Abschalten zwischendurch. Die Umgebung ist bunt, die Wände zieren hier eine Blümchen- und da eine Waldtapete. Das Unternehmensmaskottchen ist ein pinker Plüschtiger namens „Digitus“. Es herrscht Wohlfühlatmosphäre. Sie ist Ausdruck einer partizipativen Kultur mit hoher Selbstverantwortung, die Klaus Eberhardt erhalten möchte.

Wenn Große die Kleinen schlucken

iteratec entwickelt individuelle Softwaresysteme und berät nebenher auch die Kunden, die bisher überwiegend aus der Automobilindustrie kommen. Die Frage, wie es mit der Firma einmal weiter geht, beschäftigt Klaus Eberhardt schon lange. 2019 feierte er seinen 60. Geburtstag. Die Kinder der Gründer haben andere Interessen und auch weitere Alternativen der Firmenübergabe schienen ihm wenig geeignet. Eine Stiftung gründen? Die Kontrolle über die Firmenleitung ginge dann an einen Stiftungsrat über, der möglicherweise wenig Ahnung vom Geschäft hat. Ein Partnermodell mit Management-Buy-out einführen? Das verlagert meist das Thema Firmenübergang einfach in die nächste Generation und beinhaltet das Risiko, dass sich die Partner zerstreiten. Eine Aktiengesellschaft gründen? Dann ließe sich die Wertermittlung über einen Wirtschaftsprüfer regeln, doch die Käufer schauen dabei vor allem auf die Rendite.

„Mach es so, als wäre es deine Firma“, rät Klaus Eberhardt, Gründer, Inhaber und Geschäftsführer von Iteratec, seinen Mitarbeitern.
„Mach es so, als wäre es deine Firma“, rät Klaus Eberhardt, Gründer, Inhaber und Geschäftsführer von Iteratec, seinen Mitarbeitern.

Übernahmeangebote gab es zu Hauf. Die Inhaber lehnten sie immer ab. Klaus Eberhardt kennt zwei Typen von Investoren: Große Wettbewerber, die aggressiv wachsen und ihre Ziele auch auf gekaufte Unternehmen übertragen. Und Finanzinvestoren, die nur an Zahlen denken. „Mich interessieren Zahlen nicht, zumindest nicht als Steuerungsinstrument“, sagt Klaus Eberhardt. In vielen Unternehmen bestimmten Zahlen hingegen die Businesspläne. Sie geben laut dem iteratec-Geschäftsführer vor, wie viel Umsatz, Gewinn oder Anteile in einem bestimmten Zeitraum erreicht werden sollen – wie also die Unternehmensziele aussehen und die der Mitarbeiter. Beschäftigte versuchten oft die Vorgaben unhinterfragt zu erfüllen, da daran ihr Bonus abhänge. „Wer Zielvorgaben nach dem Prinzip ‚teile und herrsche‘ herunterrechnet, muss am Ende entweder in der Kultur große Abstriche machen oder in der Qualität oder in beidem“, ist der Inhaber überzeugt. Auch in der Softwareentwicklung funktioniere ein derartiges Vorgehen einfach nicht. „Beim Herunterbrechen der Ziele von einem großen, akribisch ausgearbeiteten Projektplan, machen wir immer irgendwo Fehler oder das Ziel macht keinen Sinn mehr, wenn man es einmal erreicht hat.“

Der Name von iteratec ist deshalb seit jeher Programm: Projekte entstehen iterativ, indem die Softwareentwickler mit einer Anforderung beginnen, die sie auf dem Weg kontinuierlich anpassen. Sie sind angehalten, Neues auszuprobieren und haben dafür die nötigen Entscheidungsspielräume. So gehörte das Unternehmen in den 90ern mit zu den ersten, die agil arbeiteten, Ideen von Kent Beck und seinem „Extreme Programming“ einsetzten oder mit Scrum experimentierten. Damit stieß die Firma bei Wettbewerbern und Kunden oft noch auf Unverständnis, heute gilt agile Softwareentwicklung als Nonplusultra.

„Dass ein Investor sagt, ihr habt das bisher ganz toll gemacht, weiter so – den Fall kenne ich nicht.“
iteratec-Inhaber Klaus Eberhardt

Wenn ein iteratec-Mitarbeiter Klaus Eberhardt nach einer Entscheidungshilfe fragt, antwortet er für gewöhnlich: „Mach es so, als wäre es Deine Firma.“ Wertschätzung soll nicht an Posten hängen, deshalb gilt das Prinzip der „dienenden Führung“: Führungskräfte – neben Geschäftsführern und Geschäftsstellenleitern überwiegend nicht-disziplinarische Teamleiter – haben den Auftrag, den Mitarbeitern Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Die Geschäftsstellenleiter der sieben Standorte in München, Hamburg, Frankfurt, Stuttgart, Düsseldorf, München, Breslau und Wien genießen dabei viele Freiheiten. Nur Rüstungsprojekte will Klaus Eberhardt in der Firma nicht haben. Alles andere bleibt den Standorten überlassen – sowohl die Art der Kundenprojekte als auch die Organisationsform. Während die Hamburger mit „Holakratie“ experimentieren und in Kreisen arbeiten, setzen die anderen Teams meist auf weniger formale Regeln.

Genossenschaftsidee: Einer für alle, alle für einen

„Dass ein Investor sagt, ihr habt das bisher ganz toll gemacht, weiter so – den Fall kenne ich nicht“, so Klaus Eberhardt. Die Gründung einer Genossenschaft schien ihm als Alternative für den Firmenübergang hingegen ebenso logisch wie die Entwicklung der Unternehmenskultur aus der agilen Softwareentwicklung. Die Idee der Genossenschaften eines Friedrich Wilhelm Raiffeisen oder Hermann Schulze-Delitzsch entstanden im 19. Jahrhundert und erleben in den letzten Jahren eine Renaissance. Der Grundgedanke: Was einer nicht alleine schafft, schaffen viele in einer Gemeinschaft. Bei der iteratec GmbH geht es darum, gemeinsam Inhaber der Firma zu werden.   

Wird das Unternehmen mit dieser Form der Firmenübergabe erneut Pionierarbeit leisten? Bisher gibt es im Softwarebereich wenig Genossenschaften. Bekannt ist die datev eG, die jedoch daraus entstand, dass sich Steuerberater zusammentaten, weil sie sich allein die nötige Software nicht leisten konnten. Ein weiteres jüngeres Beispiel ist oose, ein Unternehmen aus Hamburg, das sich 2014 zur Genossenschaft umfirmierte. Der Weg von iteratec sieht anders aus: GmbH und Genossenschaft sollen zwei getrennte Organisationen sein. Die Genossenschaft besteht parallel zur GmbH und wird in zwei Schritten die Firma übernehmen. Zunächst erwirbt die eG 49 Prozent von iteratec, um mit dem entsprechenden Gewinnanteil den Kredit dafür zu bedienen. Nach sechs bis sieben Jahren sollen die restlichen 51 Prozent an die Genossenschaft übergehen. Die GmbH hat wie bisher ihre eigenen Geschäftsführer. Dies soll schnelle Entscheidungen und Konstanz für die Kunden gewährleisten. Den Unternehmenswert ermittelten die Inhaber auf Basis von branchenüblichen Kennzahlen, haben den Kaufpreis dann allerdings noch einmal halbiert, damit die eG den Kredit auch tatsächlich abzahlen kann. Ihr Verzicht zeigt, was ihnen die Kultur ihres Unternehmens wert ist.

Vor der Bekanntgabe der Pläne weihten die beiden Inhaber nur die Kollegen aus der Geschäftsleitung ein, um herauszufinden, ob sie damit auf Interessenskonflikte stießen. „Das war nicht der Fall: Alle fanden die Idee gut“, erinnert sich Klaus Eberhardt. Dennoch hat ihn sehr beschäftigt, wie die Geschichte bei den Mitarbeitern wohl ankommen wird. Denn der Lackmus-Test sollte erst noch kommen: Würden sich genügend Beschäftigte finden, die gemeinsam die Genossenschaft auf die Beine stellen? „Ich habe gesagt, wenn wir keinen signifikant zweistelligen Prozentsatz schaffen, blasen wir das Ganze ab.“

Wir wollen eine Genossenschaft gründen – und nun?

Schnell fanden sich jedoch rund 30 Kollegen, die sich aktiv an der Gründung und der Erarbeitung der Satzung beteiligen wollten. Einer der Pioniere ist Michael Gebhart, Projektbereichsleiter in Stuttgart, wo er viele Kunden in der Automobilbranche betreut. Seine Aufgabe sieht er an der Schnittstelle von Standortstrategie, Mitarbeiter- und Kundenakquise: Er schiebt neue Projekte an, ist sich aber auch nicht zu fein, mal wieder seinen Platz im Projektteam einzunehmen und dort operativ mitzuarbeiten. Außerdem kümmert er sich um den Nachwuchs, als Dozent an der Hochschule Esslingen und als Betreuer von Studierenden.

Michael Gebhart ist Vorstandsmitglied der eG und Projektbereichsleiter in Stuttgart, wo er Kunden aus der Automobilbranche betreut.
Michael Gebhart ist Vorstandsmitglied der eG und Projektbereichsleiter in Stuttgart, wo er Kunden aus der Automobilbranche betreut.

In normalen Zeiten reist er alle zwei Monate für die Vorstandssitzungen nach München, als einer von vier Vorständen der neuen eG. „Es gibt viel zu tun, wenn man eine Genossenschaft gründet. Das ist richtig Arbeit – nicht jeder kann das Genossenschaftsrecht rauf und runter beten“, sagt der Projektbereichsleiter, dem das Ehrenamt viel Freude macht, auch wenn sein Arbeitspensum dadurch „herausfordernd“ sei. Zunächst lernten die Gründungswilligen in einem Workshop mit einem Anwalt und einem Vertreter des genossenschaftlichen Prüfungsverbandes die wichtigsten Eckpfeiler einer Genossenschaft kennen: Die Generalversammlung ist das oberste Entscheidungsorgan der Genossenschaft. Alle Mitglieder können daran teilnehmen und haben jeweils eine Stimme bei demokratischen Mehrheitsentscheidungen. Die Generalversammlung wählt den Vorstand, der die Genossenschaft leitet, und den Aufsichtsrat, der über den Vorstand wacht.

Die Freiwilligen mussten zudem Antworten auf zentrale Fragen finden: Was heißt das, Inhaber zu sein? Was soll in der Satzung stehen? Wer besetzt welche Posten? Was ist der Zweck der Genossenschaft? Die Arbeit wurde aufgeteilt, einige Kollegen kümmerten sich um die Satzung und wiederum andere um die Kommunikation, um alle Mitarbeiter ständig auf den neusten Stand zu bringen. Der Zweck der Genossenschaft stand schnell fest: die Arbeitsplätze der Mitarbeiter sicherzustellen und die Mitglieder zu fordern und zu fördern. Es galt aber auch, Besonderheiten zu regeln, etwa dass statt drei Vorständen gleich vier gewählt wurden, da die jetzigen Inhaber der GmbH sich auch aufstellen ließen. Das war vor allem den Erwartungen der Banken geschuldet, die klar machten, dass das notwendige Vertrauen für die Kreditgewährung davon abhängt, dass die bisherigen Alleininhaber das Unternehmen zunächst weiterführen und auch in der eG eine entsprechende Rolle spielen. Daneben gab es für den Vorstand wie für den Aufsichtsrat eine offene Namensliste, in den jeder Vorschläge eintragen konnte. Dort tauchte für den Vorstand auch ein Kollege aus Hamburg auf, Uwe Beßle, der vierte im Bunde. „Bei einem Treffen hat sich zum Glück die thematische Aufteilung im Vorstand ganz harmonisch ergeben“, erzählt Michael Gebhart, der somit für seine Lieblingsthemen Mitglieder-Kommunikation und Außenwirkung zuständig ist, während sich Uwe Beßle um Finanzen und Controlling kümmert.

„Das ist keine Geldanlage, sondern eine Investition in die Zukunft. Die Mitgliedschaft ist eine Form der Mitbestimmung.“
Michael Gebhart, einer von vier Vorständen der neuen eG

Eine der wichtigsten Aufgaben des Vorstands wird es künftig sein, die Geschäftsführer der GmbH zu bestellen – erstmals, wenn nach der vollständigen Übernahme aller Unternehmensanteile die bisherigen Alleininhaber aus der Gesellschafterversammlung ausscheiden. Auch alle Mitglieder werden in der jährlichen Generalversammlung dazu gehört und haben somit einen erheblichen, wenn auch indirekten Einfluss auf die Führung des Unternehmens.

Um Mitglied in der Genossenschaft zu werden, muss man Mitarbeiter der iteratec GmbH sein. Mit Ausscheiden aus dem Unternehmen erlischt zum Jahresende auch die Mitgliedschaft in der eG. Jeder kann nur einen Anteil erwerben und bezahlt dafür 3.500 Euro. Doch wem es ums Geld geht, ist in der Genossenschaft falsch. Zwar kriegen die Mitglieder, wenn sie aussteigen, ihren Einstiegsbetrag zurück – mit beachtlichen zwei Prozent Mindestverzinsung. „Aber das ist keine Geldanlage, sondern eine Investition in die Zukunft. Die Mitgliedschaft ist eine Form der Mitbestimmung. Die Generalversammlung stellt unter anderem den Jahresabschluss fest, beschließt mögliche Änderungen der Satzung und der Geschäftsziele oder entscheidet über Anträge der Mitglieder“, so Michael Gebhart.

Teilweise entstanden durchaus harte Diskussionen um die Regeln, nach denen die Genossenschaft künftig funktionieren soll. „Wir haben länger über die Mitgliedereinlagen gesprochen. Da kam der Vorschlag, dass Mitarbeiter, die schon länger dabei sind, weniger zahlen müssen als neue Kollegen. Es ist ja aber nicht die Idee, dass nur weil jemand zufällig früher ins Unternehmen kam, er oder sie mehr profitiert“, so Klaus Eberhardt, der sich schließlich mit seiner Ansicht in dem inhaltlichen Ringen durchsetzen konnte. Bald standen das Finanzierungsmodell und die Satzung, aber es war noch nicht klar, wer wirklich zur Gründungsversammlung kommen und dort die Satzung auch unterschreiben und somit Gründungsmitglied werden würde. Die Erleichterung und Freude waren groß, als sich mit über 200 Mitarbeitern etwa zwei Drittel der Belegschaft für diesen Schritt entschieden. Auch die Wahl der Vorstände und Aufsichtsräte lief reibungslos – alle aufgestellten Personen wurden in einem demokratischen Verfahren bestätigt.

Dem Vorstand auf die Finger schauen

Seither ist Astrid Stadler Aufsichtsratsvorsitzende. Auch sie meldete sich für die Gründungsgruppe der Genossenschaft. Noch immer bekommt sie eine Gänsehaut, wenn sie an den Moment im März 2018 denkt, als die Inhaber Klaus und Mark verkündeten, dass sie eine Genossenschaft gründen möchten. Die gelernte Hotelfachfrau ist eine der Teamleiterinnen im Service-Team. Vor zehn Jahren hat sie bei den Debitoren im Rechnungswesen angefangen, später im Projektcontrolling gearbeitet und leitet heute Finance & Controlling. In ihrem Team sind sie zu siebt. Ganz so agil wie in der Softwareentwicklung geht es hier nicht zu, aber eine verstaubte Buchhaltung sieht anders aus. „Wir sind ein total gemischter Haufen aus absoluten Individuen“, sagt die 55-Jährige.

Astrid Stadler ist Aufsichtsratsvorsitzende der neuen eG und Teamleiterin Finance & Controlling.
Astrid Stadler ist Aufsichtsratsvorsitzende der neuen eG und Teamleiterin Finance & Controlling.

Schnöde Sachkonten werden in ihrem Team visualisiert, bei komplexen Themen Kärtchen durch die Gegend geschubst oder Kreativworkshops dazu veranstaltet. Das Team organisiert sich mit Kanban, um aufkommende Ideen direkt auf den Weg zu bringen. Auch Elemente von Scrum kommen in dem Finanz-Team zum Einsatz. Wichtig findet Astrid, dass alle sofort mögliche Schwierigkeiten ansprechen. „Wenn es mal Knatsch gibt, ist das nicht schlimm, Hauptsache im Team ist Bewegung drin. Es soll kein Flaschenhals entstehen, zum Beispiel, weil die Mitarbeiter aus den Softwareteams immer nur zu ihren Lieblingskollegen kommen. Hier sind alle kompetent“, sagt die Teamleiterin.

Dass sie nicht auf den Mund gefallen ist, kam ihr persönlich schon oft zugute. Als sie nicht länger von Reports abhängig sein wollte, die andere für sie zusammenstellen und von denen sie nicht weiß, ob sie valide sind, sprach sie im Personalgespräch mit ihrem Chef an, dass sie Datenbanken mit SQL programmieren möchte – obwohl nicht einmal ihr eigener Mann angesichts ihres Alters eine derartige Lernmöglichkeit für realistisch hielt. Doch sie bekam entsprechende Schulungen, ohne Diskussion. Aufgrund dieser Erfahrung hakt sie immer bei anderen Kollegen nach, wenn sie sich über mangelnde Wertschätzung beklagen. „Oft stellt sich dann heraus, dass sie Dinge nicht verbalisieren und nicht mit den anderen über ihre Wünsche und Erwartungen reden.“

„Genossenschaften sind gerade hipp, der Solidargedanke spricht viele an. Aber sie beinhalten auch einen hohen Aufwand, mit vielen Gremien, Arbeitsgruppen und Abläufen, die zu beachten sind.“
Aufsichtsratsvorsitzende Astrid Stadler

Für Astrid war es keine Frage, Mitglied der Genossenschaft zu werden. Eine Genossenschaft sei für die Förderung der Mitglieder da. „Das passt gut zu unserer Kultur, die Qualitäts- statt Gewinnmaximierung und Qualifizierung der Mitarbeiter als oberstes Ziel hat“, so Astrid Stadler. „Wenn man die Möglichkeit hat, gemeinsam demokratisch die Zukunft zu gestalten, dann sollte man das annehmen.“ Als es darum ging, wer das Service-Team mit seinen rund 35 Mitarbeitern in der noch zu gründenden eG vertreten soll, wurde sie vorgeschlagen. Dass dann auch noch der Aufsichtsratsvorsitz dazu kam, hatte sie eigentlich nicht geplant. „Die anderen haben alle mich favorisiert. Ich kenne mich mit Zahlen aus und die Kollegen kennen mich, weil ich schon lange im Unternehmen bin.“ Der Aufsichtsrat soll Fragen oder Bedenken der Mitglieder aufnehmen und die Aktivitäten des Vorstands gegebenenfalls dahingehend prüfen. Damit der Informationsaustausch für alle funktioniert, stellen die fünf größten Standorte, die kleineren Standorte gemeinsam sowie Service-Team und Back-Office jeweils eines der insgesamt sieben Aufsichtsratsmitglieder.

„Genossenschaften sind gerade hipp, der Solidargedanke spricht viele an. Aber sie beinhalten auch einen hohen Aufwand, mit vielen Gremien, Arbeitsgruppen und Abläufen, die zu beachten sind“, so Astrid Stadler. Anfangs mussten sich die Aufsichtsrats- und Vorstandsmitglieder erst einmal eine Geschäftsordnung geben und die ganzen Formalitäten erlernen. „Wenn wir eine Sitzung führen, müssen wir schauen, sind alle Mitglieder da. Und wenn man mal einen Punkt vorzieht, muss man erst über die geänderte Agenda abstimmen“, erklärt die Aufsichtsratsvorsitzende, die ihren Job wie alle Genossenschaftsmitglieder ehrenamtlich macht. Dass ein Teil ihrer Freizeit dafür draufgeht, dass sie Verträge oder Gesetzestexte studiert, stört sie nicht. „Mich bereichert das Wissen und mit jedem neuen Thema kann ich neue Querverbindungen herstellen.“

Der Nachwuchs bleibt nicht außen vor

2019 sind schon rund 220 Mitarbeiter Mitglied in der eG geworden, aber es haben sich auch einige noch nicht dazu entschließen können. Die eG-Mitglieder versuchen jedoch, alle iteratec-Mitarbeiter, also auch Nicht-Mitglieder in die Kommunikation einzuschließen. „Die Genossenschaftsmitglieder sollten in der GmbH keine Vorzüge haben“, sagt Astrid Stadler, die darauf in Zukunft besonders achten möchte. Bisher müsse sich jedenfalls keiner für seine Entscheidung rechtfertigen, schließlich könnten auch finanzielle Gründe dahinterstecken. Nicht jeder hat in jeder Lebensphase gerade 3.500 Euro locker. Doch selbst Neulinge sind schon in der Genossenschaft dabei, wie etwa Softwareentwicklerin Tessa Pfattheicher, die erst seit knapp einem Jahr bei iteratec arbeitet. Die 27-Jährige hat Angewandte Informatik studiert und ist nach der ersten Berufserfahrung eineinhalb Jahre durch Amerika und Asien gereist. Inzwischen ist sie Teil eines kleinen iteratec-Entwicklerteams aus vier Leuten, das für einen Großkunden eine Webanwendung baut. Ihre Kollegen sind erfahrene Entwickler, aber sie kann hier auch schon alles machen, Backend, Frontend, Deployment. Sie bestimmt selbst über ihre Arbeit, nur wenn es um die ganz großen Dinge geht, entscheidet das Team gemeinsam.

Tessa Pfattheicher, Softwareentwicklerin, ist erst seit Kurzem im Unternehmen, aber schon voll dabei – im Team und der Genossenschaft.
Tessa Pfattheicher, Softwareentwicklerin, ist erst seit Kurzem im Unternehmen, aber schon voll dabei – im Team und der Genossenschaft.

„Für mich war schnell klar, dass ich bei der Genossenschaft mitmachen will“, so Tessa Pfattheicher. Schon im Onboarding hat ihr Geschäftsführer Klaus Eberhardt von der Genossenschaft erzählt und bei der Gründungsveranstaltung war sie dann sofort dabei. Auch sie begeistert die Idee der Genossenschaft und insbesondere die Haltung der Gründer, die Kultur im Unternehmen zu schützen, statt einen Investor ins Boot zu holen. „Alle teilen die Grundeinstellung, dass jeder für jeden einsteht“, so die Softwareentwicklerin, die von ihrem Arbeitsplatz auf einen Darth-Vader-Aufsteller blickt und für gelegentliche Kreativpausen mit Kollegen eine Nerf-gun griffbereit hat. „Wir haben hier viel Spaß und wenn es mal hart auf hart kommt, halten wir als Team zusammen.“ Dass nicht jeder in die Genossenschaft eintritt, findet sie völlig in Ordnung. Auch beim sogenannten „Innovation Frei-Day“ müsse ja niemand mitmachen. Dabei hat jeder iteratec-Mitarbeiter fünf Tage im Jahr zur freien Verfügung, um sich mit einem selbstgewählten Thema zu beschäftigen oder sich mit Kollegen zu kleinen Projekten zusammen zu schließen. Tessa hat beispielsweise mit anderen „iterateclern“ ein Jump ’n’ Run-Spiel auf einem LED-Streifen programmiert. „Da habe ich super viel gelernt, das war etwas ganz anderes als die Webanwendungen, die ich sonst mache.“  

Nicht nur die ganze Arbeitsatmosphäre ist es der Softwareentwicklerin wert, bei der Genossenschaft mitzumachen. Sie reizt auch der Gedanke, dass die Firma perspektivisch mögliche Überschüsse in soziale Projekte wie etwa für Bildung im Zuge der Digitalisierung investieren oder Start-ups fördern könnte. Ideen dazu sind viele im Raum.

Die Genossenschaft muss Radfahren lernen

Doch nicht nur die Mitarbeiter sind „geflasht“ von den neuen Möglichkeiten. Einmal applaudierte spontan eine Kunde in einer Besprechung und Unternehmer fragen an, was es mit dieser Genossenschaft auf sich hat. Klaus Eberhardt glaubt allerdings nicht, dass es viele Nachahmer geben wird. „Die meisten bringen die finanziellen Voraussetzungen nicht mit, etwa weil sie Gewinne immer ausgeschüttet haben. In Gesprächen zeigt sich oft schnell, dass sie den nötigen Atem dafür nicht haben.“

Auch iteratec wird einen langen Atem brauchen. „Die Euphorie hat das nötige Maß an Seriosität“, findet Michael Gebhart. Natürlich gebe es immer ein unternehmerisches Risiko bei einem Geschäftsführerwechsel, vor allem wenn es vorher gut läuft. Laut Klaus Eberhardt müssen nun alle Beteiligten in ihre neue Rolle hineinwachsen. Das erinnert ihn daran, wie er seinen Kindern das Fahrradfahren beigebrachte. Damals waren Stützräder noch weit verbreitet. Lässt man sie weg, wackelt es gewaltig, weil dem Kind noch das Vertrauen fehlt und es zu langsam fährt. „Ich habe meine Kinder in einen dicken Anorak gepackt und bin nebenhergelaufen. Wenn man erst einmal richtig fährt, merkt man gar nicht, dass die Stützräder weg sind. Und falls das Kind doch fällt, kann man es schnell an der Kapuze packen.“ So sei es auch bei der Genossenschaft: Die 51 Prozent, die er noch mit seinem Mit-Inhaber hält, sind für ihn der Kapuzenanorak. Die Genossenschaft bekommt die Freiheit zu lernen, was Inhaberschaft bedeutet, während der Gründer schaut, dass sie nicht zu weit an den Rand kommt oder umfällt.

Natürlich wisse niemand, wie sich das Geschäft entwickelt. Vielleicht müsse die Firma irgendwann Technologien entwickeln, die das eigene Kerngeschäft kannibalisieren. „Die Genossenschaft macht es auch möglich, eine neue Unternehmung zu gründen, wenn sich das iteratec-Geschäft nicht mehr tragen sollte. Mir geht es darum, die Firma für die Ewigkeit vorzubereiteten“, sagt Klaus Eberhardt, wohl wissend, dass das ziemlich pathetisch klingt. Er denkt dabei auch an sein unternehmerisches Erbe: „Wenn die Leute in 100 Jahren in den Annalen der Firma herumblättern, sagen sie vielleicht: ‚Schaut mal her: Da haben ein paar Leute richtig gute Ideen gehabt und eine mutige Entscheidung getroffen.‘“

 

Der Artikel ist Ende 2019 erstmals im Personalmagazin erschienen.