Agilität Business Transformation

Business Agility statt Business as usual

Ein Blick in die Liste der wertvollsten Unternehmen von heute und vor zehn Jahren macht schnell klar: Größe ist kein Garant für langfristigen Erfolg. Wer heute erfolgreich bleiben möchte, muss bereit sein, das eigene Geschäft vollkommen neu zu denken und entsprechend zu handeln. Business Agility verspricht beides abzudecken.

Die Transformation zu Enterprise Agility ist keine Butterfahrt.
Die Transformation zu Enterprise Agility ist keine Butterfahrt.

Achtung Eisberg

Die Neuerfindung des eigenen Unternehmens ist keine einfache Angelegenheit. Es reicht nicht aus, neue Geschäftsmöglichkeiten zu erkennen. Man muss in der Lage sein, diese Chancen auch schneller als die Konkurrenz zu nutzen. Vor allem etablierte Unternehmen mit Bestandsgeschäft haben häufig Schwierigkeiten, sich flexibel und schnell auf neue und veränderte Marktbedingungen einzustellen. So manchem Unternehmenslenkern geht es dabei wie Edward John Smith, dem Kapitän der Titanic: Der Eisberg ist sichtbar, doch das Schiff zu träge, um die Katastrophe abzuwenden.

Schlüsselkompetenz Agilität

Agilität hat sich zu einer attraktiven Alternative für Unternehmen entwickelt, die ihre Leistung verbessern und sich flexibler ausrichten möchten. Doch was ist an dem Hype dran? Das Konzept revolutionierte in den letzten zwanzig Jahren die Softwareentwicklung und wird nun unter dem Stichwort „Enterprise Agility“ auf die Gesamtorganisation übertragen. Agile Budgetierung, agile Herstellung, agile Geschäftsmodelle, agile Kultur – kaum ein Bereich im Unternehmen bleibt unangetastet.

Im Zeitalter der Disruption wird Enterprise Agility zur Schlüsselkompetenz, vor allem in traditionellen Geschäftsfeldern.

Enterprise Agility bezeichnet die Fähigkeit, sich auf interne und externe Veränderungen schneller und flexibler als die Konkurrenz auszurichten. Diese Anpassungsfähigkeit war in der Vergangenheit vor allem in schnelllebigen Branchen notwendig. Doch die Zeiten haben sich geändert. Im Zeitalter der Disruption wird sie zur Schlüsselkompetenz, vor allem in traditionellen Geschäftsfeldern.

Agilität skaliert nicht von selbst

Agile Methoden verzeichnen vor allem in Start-Ups und kleineren Einheiten gute Erfolge. Kein Wunder, denn ursprünglich wurden sie für kleine und individuelle Teams entwickelt. Wenn sie in großem Maßstab eingeführt werden sollen, dann schafft dies besondere Herausforderungen. Insbesondere die Synchronisierung zwischen Teams und Schnittstellen zu anderen Organisationseinheiten werden in den klassischen agilen Ansätzen kaum behandelt.

Agile Frameworks wie LeSS, SAFe oder FLEAT schaffen mit einem übergeordneten Rahmen Abhilfe und unterstützen eine agile Transformation der Organisation. Auch wenn sie für sich stringent scheinen, so lassen sie sich jedoch nicht unübersetzt ausrollen. Der relevante Kontext und die Organisationskultur eines Unternehmens müssen berücksichtigt und das Framework dahingehend angepasst werden. Ansonsten entstehen Rituale, die keinerlei Bezug haben und daher keine Wirkung entfalten: Es bleibt beim Business as usual.

Von Corporate Strategy zu Enterprise Agility 

„Eine Organisation ist nur so agil wie die am wenigsten agile Einheit“ meint Evan Leybourn und überträgt die „Theory of Constraints“ auf dieses Konzept. Die Gesamtagilität einer Organisation bestimmt man am begrenzenden Faktor – dem agilen Engpass in der Organisation. Genau wie Verengungen in einem Flussbett für Stauungen sorgen, so führen klassisch organisierte Einheiten zu Einbußen im Wertstrom. Mitunter entstehen an diesen Stellen sogar Stromschnellen, an denen das Konzept zerschellt. Denn wenn die Nachbarabteilung streng nach Protokoll vorgeht oder das Management weiterhin auf Ablaufplänen beharrt, dann bleibt Agilität ein bloßes Lippenbekenntnis.

Genau wie Verengungen in einem Flussbett für Stauungen sorgen, so führen klassisch organisierte Einheiten zu Einbußen im Wertstrom.

Das agile Mindset muss von jedem Organisationsteilnehmer entwickelt und dadurch Teil der Organisationskultur werden. Ein skalierbares Framework gibt dabei jene Stabilität, in der dynamische Selbstorganisation stattfinden kann. Das befähigt Mitarbeiter, Entscheidungen unmittelbar und unangeleitet treffen zu können. Dies führt zu einem hohen Maß an Innovation, setzt aber ein ebenso hohes Maß an Reife von Einzelpersonen, aber auch von Gruppen voraus.

Innovation Strategy: Innovationskraft des Unternehmens heben

Die als Enterprise Agility bezeichnete unternehmensweite Agilität ist ein Gegenentwurf zur weit verbreiteten Bürokratie und organisatorischen Silos. Diese widersprechen häufig agilen Grundsätzen und verengen den Leistungsfluss im Unternehmen.

Die Zeit zwischen Idee und erstem Prototyp wird verringert.

Bei einer agilen Transformation wird deshalb zuerst nach Bereichen gesucht, in denen ein agiles Betriebsmodell Wert freisetzen kann. In der Praxis hat sich der Innovationsbereich als besonders fruchtbar erwiesen. In der Entwicklung von neuen Produkten kann ein agiles Vorgehen wertvolle Zeit sparen und Fehlplanungen verhindern. Die Zeit zwischen Idee und erstem Prototyp wird vermindert. Man scheitert zwar nicht weniger oft, dafür aber schneller und effizienter.

Agile Unternehmen fördern damit eine Organisationskultur, die Bottom-up Innovationen zulässt und diese durch Top-down Unterstützung zum Erfolg führt. Neben der Unterstützung durch das Management spielen die Auswahl und Anpassung eines agilen Modells, die Schulung und entsprechendes Coaching der Mitarbeiter sowie die Adaption eines agilen Mindsets eine kritische Rolle für das Gelingen von Enterprise Agility.

Empowering Agile

Wie das in der Praxis aussieht, erfuhren etwa 200 Besucher am 16. Mai 2019 auf der „Empowering Agile“ Konferenz in Wien. Diese befasste sich ausschließlich mit der agilen Transformation etablierter Unternehmen und lieferte Einblicke in aktuelle Transformationsprojekte im deutschsprachigen Raum. Ausgerichtet wurde die Konferenz von der Berliner Beratungsagentur LHBS und dem österreichischen Telekommunikationsunternehmen A1.

Alfred Mahringer, Director Corporate Portfolio- und Projectmanagement beim österreichischen Telekommunikationsunternehmen A1 Telekom Austria AG, brachte es in der Eröffnung auf den Punkt: Die Umstellung auf agil beschleunigt das gesamte Unternehmen. Produkte werden viel schneller am Markt getestet und mit dem Feedback kontinuierlich weiterentwickelt. Dabei muss man sich darauf einstellen, auch mal mit „unvollständigen“ Produkten an den Markt zu gehen.

Diese Umstellung fiel dem Ex-Monopolisten nicht leicht. Nicht nur für die Mitarbeiter, sondern auch für das Management war es essentiell, eine neue Haltung zu entwickeln. Der schnelle Start am Markt hatte aber auch ganz konkrete Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation: Der Einsatz agiler Methoden erhöhte die Taktzahl maßgeblich, was eine ständige Lieferbarkeit notwendig machte. Natascha Kantauer-Gansch, die im Unternehmen die Umstellung auf Squads und agile Methoden vorantrieb, beschrieb eindrucksvoll, wie A1 sich auf diese neue Taktung einstellte. Nicht nur Aufgaben und Teams wurden neu verteilt, sondern auch die Bürolandschaft komplett angepasst.

Ein ganzer Tag rund um Enterprise Agility: Die Empowering Agile in Wien. Foto: Michael Bursik
Ein ganzer Tag rund um Enterprise Agility: Die Empowering Agile in Wien. Foto: Michael Bursik

Organisationsrebellen für eine Veränderung von innen

Auf dem Podium wurde aber auch Skepsis gegenüber den neuen Methoden und vor allem den Buzzwords geäußert. So kritisierte Peter Bosek, Vorstandsmitglied der Erste Group, die Inhaltsleere mancher Begriffe und nannte Work-Life-Balance als typischen Vertreter dieser Kategorie. Dennoch bräuchte es neue Strukturen, die vor allem Top-Nachwuchskräfte anziehen sollen.

Marcus Raitner von der BMW Group berichtete über die agile Transformation seiner Einheit und der eigenen Rolle dabei. Das vom Management gesetzte Ziel „100% agil“ wurde zwar Top-Down ausgerufen, musste aber Bottom-Up implementiert werden. Mit unbequemen Fragen forderte Raitner das Management immer wieder heraus und erarbeitete sich so den Titel eines Organisationsrebells. Wie er mittlerweile in der Organisation gesehen wird, beschreibt er knapp mit den Worten: „Der nervt. Und das ist gut so.“

Organisatorisch musste sich die Einheit von Projekten auf Produkte umstellen. Methoden wie SCRUM seien für die Produktentwicklung und nicht für Projektmanagement entwickelt worden, so Raitner. Auch auf die Führungskultur hatte die Umstellung große Auswirkungen. Denn die höchste Kunst agiler Führung liege darin keine Entscheidungen zu treffen. Als Beispiel für diese Führungskunst nennt er den Kapitän eines Atom U-Boots, dessen Geschichte in seinem Blog nachzulesen ist.

Innovation kommt von innen

In einzelnen Streams konnten sich Teilnehmer dann Einzelthemen widmen. Zum Thema Innovation gab es Kurzvorträge von Martin Johann Fröhlich (Deutsche Bahn AG), Christian Polster (RadarServices), Andreas Mitter (BearingPoint), Marco Schneider (HypoVereinsbank) und Uwe Habicher (Haufe Group).

Das Unternehmen als agile Flotte: Das Framework FLEAT, präsentiert von Uwe Habicher, Haufe. Foto: Michael Bursik
Das Unternehmen als agile Flotte: Das Framework FLEAT, präsentiert von Uwe Habicher, Haufe. Foto: Michael Bursik

Die Metapher vom trägen Tanker und den innovativen Schnellbooten passt nicht ganz, meinte Uwe Habicher. Gerade zu Beginn eines Innovationszyklus fühle man sich eher wie auf einem Floß im Wildbach. Zahlreiche interne und externe Stromschnellen müssen überwunden werden, bevor eine Idee Fahrt aufnehmen könne. In dem von ihm vorgestellten Rahmenwerk für Enterprise Agility setzt das Management den Rahmen für Innovation und Mitarbeiter steuern ihre Ideen ein. Das Mitarbeiter eine besonders ergiebige Quelle an Ideen sind, berichtete Marco Schneider: „Keine Unternehmensberatung hat uns Ideen gebracht, wie unsere eigenen Mitarbeiter.“ Dennoch brauche es viel Überzeugungsarbeit um das richtige Mindset und innovationsfreundliche Strukturen zu schaffen. Darüber berichteten auch Christian Polster und Andreas Mitter. Sie gaben Einblicke in ihre Transformation zur auf Gilden und Squads basierenden Organisation.

Seriengründer Martin Fröhlich eröffnete mit einem musikalischen Ständchen (siehe Video) und brachte abseits aller Modelle und Strukturen den wichtigsten Bestandteil gelingender Transformation in den Mittelpunkt: Den Menschen. Nur wenn die Wertevorstellungen übereinstimmen, könne man produktiv zusammenarbeiten. In Großunternehmen wie der Deutschen Bahn müsse man dafür Räume und eine Koalition der Willigen schaffen. Das dies auch organisationsübergreifend funktioniert, bewies Fröhlich mit seinem „Rail meets Hyperloop“ Projekt.

Transformation ist Tagesgeschäft

In größeren Unternehmen beschäftigt die Skalierung von Agilität im Unternehmen auch die Personal- und Organisationsentwicklung. Im Panel „Wie Mitarbeiter und Manager Agilität lernen" teilten Anne Grobe (comdirekt) und Martin Geisenhainer (Swisscom) ihre Erfahrungen mit neuen Lernwelten. Schnell wurde klar: Klassische Lernformate gehen zurück, Neues Lernen integriert sich nahtlos in den Arbeitsalltag.

Den Abschluss der Konferenz gestaltete Joanna Bakas (LHBS) mit einer pointierten Zusammenfassung der Herausforderungen organisationaler Ambidextrie. Dieses aus den 1970er Jahren stammende Konzept erlebt gerade ein Revival, denn es vereint Innovations- und Bestandsgeschäft. Sobald ein Unternehmen es schafft seine „exploitativen“ und „explorativen“ Einheiten beidhändig zu führen, kann sich das Geschäft von innen heraus selbst erneuern. In einem solchen Setup ist Transformation kein Projekt mit Start- und Endpunkt. Sie wird zum Kern eines zukunftssichernden Tagesgeschäfts.