Organisationsentwicklung

Führung muss nach vorne gehen

Sieben Thesen zeigen, was zukunftsfähiges Management bedeutet. Sie stützen sich auf moderne Theorien, aber auch auf Erkenntnisse, die 5.000 Jahre alt sind. Auch wenn häufig von New Leadership die Rede ist, gibt es Führungskompetenzen, die sich bewährt haben.

7 Thesen zur guten Führung
7 Thesen zur guten Führung

Im Geschäft des Führens geht es im Kern um die Zukunft (einer Gruppe, einer Organisation, einer Gesellschaft). Führung ist eines der ältesten sozialen Phänomene der Menschheit, das kulturgeschichtlich überliefert ist (seit circa 5000 Jahren). Könige, Feldherren, Priester und Gelehrte aus allen Kulturregionen und geschichtlichen Epochen befassten sich mit der Frage, was Führung gut und zukunftsfähig macht. Und das, was die wissenschaftliche Führungsforschung, die vor circa 100 Jahren einsetzte, als Erkenntnisse mit solider empirischer Basis zutage gefördert hat, deckt sich in erstaunlich hohem Maße mit dem, was in den vergangenen 5000 Jahren weltweit überliefert wurde. In sieben Thesen stelle ich Ihnen einige „oldies but goldies“ und „new fewest“ der zukunftsfähigen Führung vor.

Führung ist eines der ältesten sozialen Phänomene der Menschheit.

These 1: Überhaupt führen! Gute Führung im Hier und Jetzt

Akzeptiert man die Feststellung, dass es beim Führungsgeschäft immer um die Zukunft geht, dann lässt sich die Frage, was Führung zukunftsfähig macht, zunächst auf die Frage eingrenzen, was Führung im Hier und Jetzt (gut) macht. Und (gute) Führung besteht zunächst darin, überhaupt zu führen, und nicht „nicht-zu-führen“ (frz. laissez faire). Das ist nicht trivial, denn viele empirische Studien zeigen, dass eine mehr oder weniger erfolgreich camouflagierte „Laissez faire“-Haltung bei der Wahrnehmung des Führungsauftrags das Schädlichste ist, was in Unternehmen passieren kann. „Laissez faire“-Führung steht in signifikant negativem Zusammenhang mit Produktivität in Organisationen und das wird auch in Zukunft so bleiben.

These 2: Führen bedeutet, anderen Richtung geben

Was bedeutet (gute) Führung? Der althochdeutschen und angelsächsischen Wortherkunft nach gehen die Begriffe „führen“, „Führer“ und „Führung“ auf das Verb „fuoren“ zurück, was „in Bewegung setzen, fahren machen, in eine Richtung geleiten“ bedeutet. Deren englische Entsprechungen basieren auf dem Verb „lae­dan“, das „vorwärtsbringen, leiten, lenken, auf eine Reise mitnehmen“ bedeutet. Kurzum, Führen bezeichnet das, was in Bewegung setzt und Richtung gibt (etwa Zielvorgaben, Feedback, Anerkennung, konstruktive Kritik und Ähnliches).

Die Konnotationen „auf eine Reise mitnehmen“ verdient eine nähere Betrachtung. Beim Führen gibt es auch Unbestimmtes zu organisieren. Dabei genügt es nicht, nach dem Motto „weiter so“ die Dinge richtig zu tun („doing things right“), sondern es gilt, das Richtige zu tun („doing the right thing“). Das ist mit Risiko verbunden, denn die präferierte Richtung kann auf Widerstände stoßen oder ohnehin falsch sein. Deshalb ist das Monitoring relevanter Entwicklungen sowie ein flexibles Nachsteuern notwendig – übrigens schon seit Langem und nicht erst seit Erfindung der „Agilität“. Je mehr agiles Organisieren in Zukunft notwendig sein wird, desto wichtiger ist es, ernsthaft das Richtige tun zu wollen, verbunden mit Überzeugungsarbeit und kritischer Reflexion des eigenen Führens, um Weggefährten und sich selbst nicht in die Irre zu führen beziehungsweise führen zu lassen.

These 3: Führen ist soziale Einflussnahme – ob Sie es wollen oder nicht

Für Führung in Organisationen gibt es unzählige wissenschaftliche Definitionen. Nahezu allen ist das „zielbezogene, soziale Einflussnehmen auf andere“ gemeinsam. Das kann mittelbar wie unmittelbar geschehen. Mittelbar wird durch soziale Strukturen wie Normen-, Rollen-, Anreiz-, HR- und Rechtssysteme geführt, unmittelbar durch Personen, die mit anderen interagieren, kommunizieren und soziale Beziehungen eingehen (etwa zwischen Führenden und Geführten). Wie oben erwähnt, ist es möglich, durch „laissez faire“ nicht zu führen, aber es ist nicht möglich, wie Paul Watzlawik formulierte, nicht zu kommunizieren. Denn auch unterlassene Kommunikation und fehlende Beziehungsregulation übermitteln eine Botschaft, zum Beispiel „Mach, was du willst“ oder „Du bist mir egal“.

These 4: Charakter und Intelligenz wirken – zum Teil

Seit Beginn der Führungsforschung sucht man für die Personalauswahl nach stabilen Personenmerkmalen besonders produktiver Führungskräfte (beispielsweise emotionale Stabilität, Intelligenz, Leistungsmotivation). Durch Meta­analysen wissen wir heute, dass Zusammenhänge zwischen stabilen Personenmerkmalen und der Produktivität von Führungskräften bestehen. Vier der fünf Big-Five-Persönlichkeitsdimensionen (OCEAN-Modell: Offenheit für Neues, Gewissenhaftigkeit, Extraversion und emotionale Reife) korrelieren signifikant positiv mit harten Indikatoren der Produktivität. Ähnliche Zusammenhänge zeigen sich für Intelligenz. Anhand der empirisch festgestellten Korrelationsstärken lässt sich berechnen, welcher Prozentanteil der Produktivität von Führungskräften sich durch Unterschiede ihrer Persönlichkeit und Intelligenz vorhersagen lässt. Dabei kommt man auf circa 15 Prozent für die Kombination der Big-Five-Persönlichkeitsdimensionen und auf weitere circa fünf Prozent für Intelligenz.

Zwanzig Prozent sind aber noch nicht die ganze Torte. Charakter und Intelligenz mögen zwar zu großen Teilen angeboren sein, das Ausmaß und die Art und Weise, in der sie beim Führen verhaltens-prägend wirksam werden, wird jedoch durch Enkulturation und Sozialisation in der Familie, in Bildungsinstitutionen und in Organisationen beeinflusst. Hierbei spielen Lernprozesse und kulturelle Faktoren wie etwa Normen, Werte, Einstellungen und Grundüberzeugungen eine maßgebliche Rolle. Sie beeinflussen in hohem Maße die Zukunftsfähigkeit von Führungskräften.

These 5: Produktives Führungsverhalten ist erlernbar

Zahlreiche Studien über das Führungsverhalten belegen, dass aufgaben- und mitarbeiterorientiertes Führungsverhalten die Produktivität in Unternehmen positiv beeinflussen. Das sind Verhaltensweisen, die sich direkt auf die Bewältigung der Arbeitsaufgaben beziehen (beispielsweise Zielvorgaben, Leistungsrückmeldung, konstruktives Feedback), und den Mitarbeitern Wertschätzung signalisieren (wie Anerkennung, soziale Unterstützung, Höflichkeit). Rechnet man die wiederum meta-analytisch festgestellten Korrelationsstärken in entsprechende Prozentanteile der Produktivität von Führungskräften um, so kommt man auf circa fünf Prozent für Aufgabenorientierung und circa fünf Prozent für Mitarbeiterorientierung.

Aufgaben- und mitarbeiterorientiertes Führungsverhalten beeinflussen die Produktivität in Unternehmen positiv.

These 6: Produktives Führen ist ziel­angemessene Beziehungsregulation

Neuere Führungstheorien erweiterten die bis dato in Forschung und Praxis dominierende „Great Man“-Theorie eines einseitigen, zielhierarchisch gelenkten sozialen Einflusses von Führenden auf Geführte um die sogenannte LMX-Annahme (Leader-Member-Exchange), die besagt, dass durch Führung prinzipiell bidirektionale Beziehungen zwischen Führenden und Geführten zu organisieren sind. Dabei gibt es zwei Arten der Beziehungs­regulation: transaktive Führung und transformative Führung.

Bei der transaktiven Führung wird auf einen angemessenen Austausch von Ressourcen (und Risiken) geachtet: die Geführten bekommen etwas, das sie interessiert (wie Belohnung, Anerkennung, attraktive Aufgaben) und sie geben etwas, das die Führenden interessiert (beispielsweise Zielerreichung, Anerkennung im Unternehmen). Transaktive Führung sorgt dafür, dass die Geführten den zielhierarchischen Richtungsvorgaben ihrer Organisation entsprechend in Bewegung gesetzt werden („doing things right“).

Bei der transformativen Führung geht es im Zusammenspiel zwischen den unmittelbar Führenden (zum Beispiel Vorgesetzten) und den durch strategische Vorgaben und HR-Instrumente mittelbar Führenden darum, die organisationalen Ziele aufseiten der Geführten mental und motivational möglichst übereinstimmend mit deren Bedürfnissen und Bestrebungen zu verankern. Dafür eignen sich vor allem jene organisationalen Ziele, die der Innovationskraft und der kulturellen Wandlungsfähigkeit des Unternehmens dienen. Hier ist „doing the right thing“ angesagt, sodass durch Wandel die zukünftige Prosperität des Unternehmens sichergestellt werden kann.

These 7: The only thing of importance is to create and manage culture

Von dem Organisationspsychologen Ed Schein stammt das Zitat „The only thing of importance that leaders do is to create and manage culture.“ Und auch eine Umfrage von Deloitte bestätigt: 82 Prozent von 7000 international befragten Führungskräften aus HR und Unternehmensleitungen sind der Auffassung, dass Kultur der Wettbewerbsvorteil schlechthin für Unternehmen der Zukunft sei. Kulturelle Unterschiede sagen verschiedenen Schätzungen zufolge einen Anteil von circa 25 Prozent der Varianz von Produktivität vorher.

Dabei ist Kultur nicht nur einfach als „The way things are done around here“ zu begreifen, sondern, wie Ed Schein es in seinem Bestseller „Organizational Culture and Leadership“ formuliert, „ein Muster gemeinsamer Grundprämissen, das die Gruppe (Organisation oder Gesellschaft) bei der Bewältigung ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewährt hat und somit als bindend gilt; und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit Problemen weitergegeben wird.“ Die Entwicklung der Organisationskultur ist ein ständiger Lernprozess, der durch Führung in engem Bezug zu den internen und externen Herausforderungen gehalten werden muss, damit Unternehmen nachhaltig (also auch in Zukunft) prosperieren können.

Sowohl Führende wie auch Geführte unterliegen dem Kulturentwicklungsprozess in Organisationen gleichermaßen. Führende sind jene, die diesen Prozess in Bewegung setzen und ihm Richtung verleihen – soweit möglich die „richtige“! Dazu müssen sie die Kultur(en), in die sie (international) eingebettet sind, bewusst wahrnehmen und verstehen lernen.

Ein gutes Verständnis von Kultur und Kulturentwicklung (Change) in Gruppen, Organisationen und Gesellschaften ist deshalb eine mehr als wünschenswerte Eigenschaft zukunftsfähiger Führungskräfte, deren primäre Aufgabe es ist, die Organisationskultur und deren Entwicklung anzuführen – statt von ihr geführt zu werden.

Blick nach vorn: Führen in der VUCA-Welt

Zum Abschluss noch einen Blick auf die aktuellen Herausforderungen für Führungskräfte in der VUCA-Welt (Volatile, Uncertain, Complex, Ambigue). Hier geht es darum, dass Führungskräfte bei den Geführten Klarheit darüber erzeugen können, was die Vision des Unternehmens in der täglichen Arbeit bedeutet, dass sie individuelle Autonomie in sinnvollen Grenzen gewähren (zum Beispiel in Teams), dass sie das Engagement und die Kooperation zwischen den Geführten und Teams fördern. Sie sollten Ambiguität aushalten und handhaben können, die Bedürfnisse der anderen kennen, gut zuhören und insgesamt ihre sozialen Beziehungen mit hohem Einfühlungsvermögen regulieren können. Weiterhin müssen sie in Zukunft auch offene Formen des Organisierens managen (beispielsweise vernetzte Teams in Multi-Team-Systemen), mit Unsicherheit sowie disruptiven Innovationen leben können und auch dann auf gleicher Höhe des Fortschritts stehen, wenn sie ihn selbst noch nicht ganz verstanden haben.

Dieser Beitrag ist erstmals erschienen im Personalmagazin 3/2017.

Key Facts

Prof. Dr. Felix C. Brodbeck hat sieben Thesen entwickelt, welche Faktoren eine gute Führung ausmachen. Dabei orientiert er sich unter anderem an kulturgeschichtlichen Überlieferungen.

Führung ist eines der ältesten sozialen Phänomene.

Jahrhundertelanger Diskurs zu Führung befördert Erkenntnis über Leadership.

Blick nach vorn als wesentliches Kriterium für moderne Führung.