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Die Kraft des Unbestimmten

Kommentar Unternehmen und Menschen können frei entscheiden, ob sie ein striktes Management in der Tradition Spartas für richtig halten oder eine gute Führung im Stile des Odysseus. Das ist der Vorzug der Freiheit. Sparta führt zu Effizienz, Odysseus hat den Zug zum Großen.

Foto: Randy Tarampi on Unsplash
Foto: Randy Tarampi on Unsplash

Visionsloses Management

Das Management mit seinem rein sachlogischen Ansatz kann keine Begeisterung entfachen. Sein einziger Antrieb ist die Pflichterfüllung für die Funktionsfähigkeit des Systems. Was fehlt, ist eine starke Vision, die als Fixstern dient und die Mühen, die man auf sich nimmt, überhaupt erst lohnenswert erscheinen lässt.

Eine Heldenreise in die Zukunft
Was hindert uns auf dem Weg zur Exzellenz? Was fesselt uns an Paradigmen der Industriegesellschaft, die in einer komplexen und dynamischen Wissensökonomie nicht mehr passen? Und was lehrt uns ein Blick auf antike mythologische Helden? Diesen Fragen geht Dr. Guido Schmidt an dieser Stelle in Form eines Fortsetzungsromans nach.
Teil 7 Die gute Führung

Der Unwillen des Odysseus

Menelaos wollte endlich auf den Krieg gegen Troja zu sprechen kommen, Odysseus in diese Sache nicht hineingezogen werden. Seine Schutzpatronin Athene hatte ihm die Weisheit gegeben, die Situation richtig einzuschätzen: Es ging gar nicht um die Ehre des Menelaos, sondern um das Machtstreben des Agamemnon. Dieser hatte seit Jahren versucht, eine Führungsrolle unter den Griechen einzunehmen. Er wollte schon immer der Herrscher einer neuen Großmacht „Sparta“ werden. Und er wollte diese neue Macht, um gegen die herrschende Großmacht Troja anzutreten. An diesem Kampf um Macht und Einfluss hatte Odysseus kein Interesse. Warum Troja zerstören und als Ersatz ein neues Großreich um die Herrscher von Sparta und Mykene setzen?

Das Management hat die Vision durch strategische Ziele ersetzt. Dabei ist die Vision die schärfste Waffe der Führung.

Odysseus ahnte aber, dass er zum Opfer seiner eigenen List werden würde. Beim Werben um die Hand der Helena hatte er deren Vater aus einer schwierigen Situation geholfen. Helenas irdischer Vater befürchtete bei Bevorzugung eines Freiers die Feindschaft aller Abgewiesenen und ließ daher, dem Rat des Odysseus folgend, alle Bewerber um Helena schwören, dass sie die Wahl Helenas anerkennen und gegen jedermann verteidigen würden. Jetzt war es soweit, die Wahl des Menelaos musste gegen die Ansprüche von dessen Widersacher Paris verteidigt werden. Odysseus musste seinen Eid erfüllen. Er war zur Teilnahme am Feldzug gegen Troja verpflichtet – aber überzeugt war er nicht.

Die Vision einer freien Welt

Am Ende war es der weise Nestor, der Odysseus die Teilnahme mit den richtigen Worten schmackhaft machte: Troja sei ein übermächtiges Großreich, dass von einem einzelnen König beherrscht werde. Dieser Priamos dominiere die Wirtschaft rund ums Schwarze Meer und kontrolliere den gesamten Handel mit dem Osten. Scheinbar könne niemand den Machtanspruch von Troja brechen. Wenn aber nicht einmal mehr die Frauen der Griechen in den eigenen Landen vor Entführung sicher seien, müssten die Griechen den Kampf mit Troja aufnahmen.

Auf einer Metaebene argumentierte Nestor mit der grundsätzlich anders verfassten Ordnung der Griechen: Nicht Alleinherrschaft eines Einzelnen, sondern das friedliche Neben- und Miteinander von vielen kleinen und autarken Königreichen. Es gehe darum, dieses Modell der ganzen Welt zu schenken. „Das ist unsere Vision: Wir ziehen in den Kampf, um Freiheit und Sicherheit zurückzugewinnen“, sagte Nestor.

Ziele sind keine Vision

In der heutigen Welt der Wirtschaft geht es um Fakten und klare Ziele. Eine Vision ist aber etwas Unbestimmtes und mag so gar nicht in die Welt der Zahlen passen. Das Management hat daher die Vision durch strategische Ziele ersetzt. Anders als mehr oder wenige unklare Visionen sollen Ziele eindeutig, verständlich und nachvollziehbar sein. Und messbar. Das Management hat eine eindeutige Logik, die aus Zielen, Strategien und Maßnahmen besteht.

Das Hin und Her des Alltags erschüttert die Vision so wenig wie kleinere und größere Rückschläge im wirtschaftlichen Kontext. Deshalb dient die Vision in jeder Situation als Motivatorin.

Die Vision ist im Gegensatz zum Ziel unbestimmter. Und doch die schärfste Waffe in der Führung. Die Vision ist wie ein Horizont. Er steht als Ziel fest, doch erreichen kann man ihn nie. Trotzdem tun wir alles, um uns ihm zu nähern. Auch die Vision eines Unternehmens dient als Ziel, obwohl wir wissen, dass wir sie wahrscheinlich nie erreichen. Zudem stören immer wieder Widersacher den Weg, in immer neuen Gewändern. Wechselnde politische und wirtschaftliche Verhältnisse bieten neue Chancen, andererseits werden bestimmte Optionen obsolet werden.

Die Stärke der Vision sind ihr hoher Abstraktionsgrad und ihre Langfristigkeit. Das Hin und Her des Alltags erschüttert die Vision so wenig wie kleinere und größere Rückschläge im wirtschaftlichen Kontext. Deshalb dient die Vision in jeder Situation als Motivatorin.

Die Vision als starker Antrieb

Nestor hat damals im antiken Griechenland die motivatorische Wirkung der Vision erkannt – und genutzt. Die Appelle des Menelaos an die Pflicht konnten Odysseus nicht überzeugen. Erst als Nestor ihm klarmachte, dass er für Großes, für die Vision eines freien Griechenlands souveräner Königreiche ins Feld ziehen sollte, war er dabei. Es gibt keinen stärkeren Antrieb als eine große Idee.

Die gesamte Geschichte der Unternehmen wird in einen ewigen Kreislauf von Planung und Zielerreichung gegossen. Die Langeweile des ewigen Zyklus ist nicht Nebeneffekt, sondern gewollt.

Wirtschaft ist spannend, wird oft behauptet. Und dann geht es um Aktienkurse, Umsätze und Renditen. Abstrakte Zahlen sollen uns begeistern. Natürlich ist ein Aktionär daran interessiert, wie sich sein Vermögen entwickelt. Ganz sicher möchten Manager Ziele erreichen. Unbestritten wollen Mitarbeiter Erfolge erzielen. Doch echte Spannung will bei allen diesen kleinteiligen Berichten nicht aufkommen.

Die gesamte Geschichte der Unternehmen wird in einen ewigen Kreislauf von Planungen und Zielerreichungen gegossen. Jede negative Abweichung von der Planung wird abgestraft. Jede Übererfüllung des Plans führt zu einer Anpassung der Ziele für die nächste Runde. Die Langeweile des ewigen Zyklus ist nicht Nebeneffekt, sondern gewollt. Alle Verlautbarungen sollen beweisen, dass das Unternehmen sicher seinen gewohnten Weg geht.

Große Visionen und herausfordernde Missionen? Fehlanzeige. Überall manifestiert sich die Effizienzsucht des Managements. Steigende Umsätze, sinkende Kosten, höhere Renditen sind der Ausdruck einer immer wirtschaftlicheren Maschinerie. Begeisterung löst das alles nicht aus. Um es klar zu sagen: Effizienz macht keinen Spaß.

Etwas bewegen

Was uns tatsächlich interessiert, ist das Neue und Ambitionierte. Neuen Technologien, neue Herausforderer, die etablierte Branchen angreifen, Unternehmer, die Risiken eingehen: das sind spannende Geschichten. Uns faszinieren Visionäre, die eine schwierige Mission vor sich haben. Ansätze, die die Langeweile durchbrechen. Das begeistert uns.

Um es klar zu sagen: Effizienz macht keinen Spaß.

Zu oft opfert das Management Exzellenz der Effizienz. Und vergibt damit echte Chancen. Chancen auf eine gute und erfolgreiche Zukunft. Chancen, mit einer engagierten Mannschaft wirklich etwas zu erreichen.

Die Welt wartet sehnsüchtig auf neue Visionen, die Zukunft zu gestalten. Es gibt sie nämlich, die Menschen, die etwas bewegen wollen. Die sich gerne einer großen Sache verschreiben und gefährliche Missionen in Kauf nehmen.