New Management Talks Organisationsentwicklung

„Wer führen möchte, muss sich von Mikrofragen lösen“

Führung und die Aufgaben von Führungskräften ändern sich, weil die Welt sich ändert. So einfach ist das. Eigentlich. Wir müssen nur ins Tun kommen – und die Baupläne der Unternehmen neu zeichnen. Meint die Leadership-Expertin Sabine Kluge.

Die Baumkronen in Bewegung bringen

„In den vergangenen Jahren haben wir in Sachen Führung am Baumstamm gerüttelt. Aber die Baumkrone ist dabei nicht wirklich in Bewegung geraten. Ich fand es spannend, die Chance zu ergreifen, diese Baumkrone besser zu verstehen, indem ich mich in sie hineinsetze.“ So erklärt Sabine Kluge im New Management Talk ihren Schritt, die Position als Leiterin Führungskräftebetreuung und Führungskräfteentwicklung bei der Deutschen Bahn AG anzunehmen. Das sei kein Widerspruch zu ihrer jahrelangen Arbeit mit Working Out Loud. Natürlich sei WOL eher eine Graswurzelbewegung zum Selbst-Empowerment von Menschen, aber „ich sehe schon die Möglichkeit, auch den obersten Führungskräften dieses Format näherzubringen“.

Neue Formen der Führung führen zu einer neuen Lernkultur.

Überhaupt verstehe sie zunehmend die Bedeutung des Systems, in dem Führung geschieht, für die Weiterentwicklung von Führung. „Der Bauplan einer Organisation und das System selbst haben einen massiven Einfluss darauf, wie Menschen sich bewegen. Wir müssen Führung neu definieren, wir müssen aber auch Kommunikationssysteme neu definieren und uns auf viele verschiedene Systematiken einlassen.“

Führungskraft: Von der Lösungsbringerin zur Mediatorin

Wobei das mit der Neudefinition so eine Sache sei. „Von Max Weber können wir lernen, wie wichtig das System ist. Wir wissen das alles seit Jahrzehnten. Aber wir müssen immer wieder und eben auch heute ins Tun kommen.“ Jahrzehntelang galt die Führungskraft als Lösungsbringer. Das habe auch seinen Wert im operativen Umfeld, nur: Wenn die Informationsdichte und die Geschwindigkeit höher werden, wird es für die Führungskraft schwieriger, diese Lösungsbringerin zu sein. „Deshalb rücken im Moment andere Fähigkeiten in den Vordergrund. Die Führungskraft kann als Moderatorin, als Mediatorin dafür sorgen, dass ein großes Kollektiv die Lösung gemeinsam erarbeitet.“

Der Bauplan einer Organisation und das System selbst haben einen massiven Einfluss darauf, wie Menschen sich bewegen.
Sabine Kluge

Für sie ist ein Punkt besonders wichtig: „Der Funke kann überall gezündet werden, zum Beispiel wenn wir das Kommunikationssystem bewusst verändern. Das passiert meistens top down, denn nur das Management hat die Möglichkeit, einen Bauplan zu verändern.“ Das könne aber auch aus der Mitte kommen, wenn Menschen einen enormen Handlungsbedarf aufzeigten, der nicht wahrgenommen wurde. „Es braucht also beides – mutige Menschen, die sich trauen, den Finger in die Wunde zu legen, und weise, vorrausschauende Leaders, die sehen, dass man es in einem bestehenden Bauplan, zum Beispiel in einem hierarchischen System, schwer haben wird mitzuhalten. Wenn beides zusammenkommt, passiert Bewegung.

 

Führen und folgen

Aber was bedeutet Führung eigentlich? „Führen heißt für Gefolgschaft sorgen. Unsere Netzwerke ermöglichen es, dass Menschen Gefolgschaft erhalten. Eben nicht, weil sie eine Position innehaben, sondern weil sie andere Menschen für ein Thema gewinnen“, sagt Sabine Kluge. Und Führung habe immer einen zukunftsgerichteten Aspekt. „Das unterscheidet für mich Führung von Management. Management heißt, gegenwärtige Probleme zu lösen. Leading heißt, in die Zukunft zu assoziieren und zu extrapolieren. Wer führen möchte, muss sich von Mikrofragen lösen.“

Der Funke kann überall gezündet werden, zum Beispiel wenn wir das Kommunikationssystem bewusst verändern.
Sabine Kluge

Diese neu definierte Führung, in der ein Kollektiv nach Lösungen sucht und auf Wegen experimentiert, bedeutet, dass Verantwortung für Entscheidungen in Teams wandert. Das heiße aber nicht, dass auch die Haftung für die Folgen in die Teams wandert. „Unternehmen managen diese Accountability mit einer steigenden Dokumentationspflicht, das wird sich nicht aushebeln lassen. Das möchte ich trennen von der Frage, wer Entscheidungen treffen kann. Der Spruch, dass einer die Verantwortung tragen müsse, suggeriert, dass auch nur diese Person Entscheidungen treffen kann. Das aber ist Quatsch.“ Unternehmen sollten eher beobachten, wann Fehler passieren und wie die Menschen und die Organisation mit diesen Fehlern umgehen. „Neue Formen der Führung führen zu einer neuen Lernkultur.“