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Mittelstand im innovativen Aufschwungmodus – Medientenor leider nicht

Deutschland wird schlecht geschrieben, meint unser Kolumnist Gunnar Sohn. Das miese Bild entspreche aber nicht der Wirklichkeit. Das Problem sei das doppelte Meinungsklima.

Foto: Milad Fakurian auf Unsplash
Foto: Milad Fakurian auf Unsplash

Mittelstand ist von eigener Position überzeugt

Seit dem Sommer führt die Unternehmensberatung Mind Business in einer qualitativen Erhebung Tiefeninterviews zur vierten Studie „Digitale Vorreiter im Mittelstand“. Gesprächspartner waren Top-Entscheiderinnen und Entscheider aus Familienunternehmen, Hidden Champions und Mittelständlern aus allen relevanten Wirtschaftsbranchen von Handwerk, Handel und Industrie. Die Einstiegsfrage lautete: „Wie ist die wirtschaftliche Lage Ihres Unternehmens: Grün, Gelb oder Rot?“ Und die Ergebnisse waren mehr als überraschend: Bei sechs von zehn Befragten steht die Ampel auf Grün, sie arbeiten mit voller Kraft an ihrem wirtschaftlichen Erfolg.

Diese Ergebnisse stehen im krassen Widerspruch zur aktuellen Krisendiskussion rund um den vermeintlich kranken Mann in Europa – Deutschland. Studienautor Bernhard Steimel hat sich die Frage gestallt, ob der deutsche Mittelstand etwa in einem Paralleluniversum lebt. Eine mögliche Antwort fand der Analyst beim Autor dieser Kolumne. These: Die eigene wirtschaftliche Lage kann man mit belastbaren Daten bewerten. Die Beurteilung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage ist eher ein Abbild der Medienberichte. Und da dominieren in der Gefahren-Wahrnehmung Inflation, der Ukraine-Krieg, Terror und geopolitische Spannungen.

Gibt es überhaupt noch eine Chance für eine kritische Urteilskraft jenseits von reißerischen Überschriften, Pöbeleien, Beleidigungen, Zynismus und Verdrehungen?

Eine Forschungsfrage wäre in diesem Zusammenhang interessant: Was passiert, wenn Twitter/X und Co. vor allem den politischen Medientenor nur verstärken und es für die Bevölkerung fast unmöglich machen, Primärquellen wahrzunehmen und den Erregungsüberschuss im Netz mit Distanz, Nüchternheit und Skepsis wahrzunehmen? Gibt es überhaupt noch eine Chance für eine kritische Urteilskraft jenseits von reißerischen Überschriften, Pöbeleien, Beleidigungen, Zynismus und Verdrehungen? 

Journalismus im verzweifelten Kampf um Aufmerksamkeit

Im Wust der Postings überschlagen sich auch Journalistinnen und Journalisten im Kampf um die Deutungshoheit und in der Sucht nach Aufmerksamkeit.  Die Bildung öffentlicher Meinung wird so immer mehr zum Spielball von besonders sendungsbewussten und netzwerkmächtigen Akteuren, die mit ihren Agitationen besonders erfolgreich sind, wenn eine Überprüfung der Faktenlage schwierig, zweitaufwendig oder schlichtweg ermüdend ist – etwa beim Studium von Wirtschaftsstatistiken.

Da das Erfahrungswissen für die Bildung der individuellen Meinung und somit der Bevölkerungsmeinung jedoch ein wichtiger Faktor ist, scheinen komplexe und schwer überprüfbare Sachverhalte wie beispielsweise Wirtschafts- oder Sicherheitspolitik ein Schlachtfeld für Meinungskämpfe zu sein. Besonders eklatant ist das bei Themen, die man zumindest in Ansätzen mit seiner eigenen Lage abgleichen kann. Die eigene wirtschaftliche Lage wird seit dem Ende der Finanzkrise 2009 kontinuierlich als gut gewertet. Die Werte schwanken bei den Befragungen der Forschungsgruppe Wahlen zwischen 50 und 70 Prozent. Nur jeder zehnte Befragte sieht seine wirtschaftliche Lage zwischen 2009 und 2023 schlecht.

Das Phänomen des "doppelten Meinungsklimas" – die eigene Lage wird gut bewertet, die der deutschen Wirtschaft schlecht  – sollte Grundwissen von Journalisten sein. Stört aber bei der Zeichnung von Stimmungsbildern.

Mit der Inflation und einer leichten technischen Rezession, die wir seit Anfang des Jahres konstatieren, gibt es wieder mehr Nahrung für Medien und Social Web, um den Standort Deutschland schlecht zu reden. Das hinterlässt Spuren bei der Beurteilung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage: Seit vier Befragungswellen ist die Fernsicht auf den Status quo der Volkswirtschaft in Deutschland wieder pessimistisch. Das doppelte Meinungsklima schlägt also wieder zu wegen der Dominanz eines negativen Medientenors. „Die mediale Verzerrung der Wirklichkeit lässt sich in vielen Bereichen des Alltags ständig beobachten“, sagt Edgar Piel, der frühere Sprecher des Instituts für Demoskopie Allensbach: Etwa beim Vertrauen in die Politik oder bei der Einschätzung von Stress und Glücksgefühlen in der Politik. „In fast allen Bereichen gibt es das doppelte Meinungsklima: die eigene Situation wird mehrheitlich gut beurteilt, aber man fühlt die eigene Situation als Ausnahme, weil man das Allgemeine ja nur aus den Medien kennt – und glaubt“, erläutert Piel. Dieses Phänomen eines „doppelten Meinungsklimas” müsste zur Grundausbildung von Journalisten gehören, stört aber in der Praxis doch sehr bei der Zeichnung und Dramatisierung von Stimmungsbildern.

Wir haben die Talsohle schon durchschritten

Wir können das ja weiter mit harten Fakten überprüfen, denn nach den Daten zu Stellenangeboten als Frühindikator für die Konjunktur und nach Analysen von KfW-Research, haben wir wirtschaftlich die Talsohle bereits verlassen. Und selbst die technische Rezession dürfte bald der Vergangenheit angehören: „Das Geschäftsklima der Mittelständler hat sich zum Sommerausklang kaum noch verschlechtert, die Geschäftserwartungen allein klettern sogar erstmals wieder leicht nach oben. Gleichzeitig offenbart der Blick in die Segmente ein differenziertes Bild: Bei den Mittelständlern verbessert sich die Stimmung im verarbeitenden Gewerbe und dem Großhandel und bei den Großunternehmen sogar über alle Hauptwirtschaftsbereiche hinweg. Der konjunkturelle Talboden  könnte erreicht sein”, teilt KfW-Research mit.

Hände in den Schoß legen geht nicht. Staat und Unternehmen müssen massiv in die Technologien von morgen investieren.

Das heißt übrigens nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen können: „Wir sind in einer entscheidenden Phase, wo sich die Technologien der Zukunft ansiedeln“, sagte der Ökonom Jens Südekum beim Capital-Vermögensaufbaugipfel mit Blick auf die massiven Subventionen in den USA. Was solle sonst der Unique Selling Point Deutschlands sein? Dafür müssten Staat und Unternehmen „ordentlich Geld in die Hand nehmen“ und investieren. Nach aktuellen Schätzungen seien 100 Milliarden Euro pro Jahr zusätzliche Investitionen durch die öffentliche Hand bis 2030 nötig.

Vom digitalen Staat bis zur Forschung gibt es genügend Felder für sinnvolle und notwendige Staatsausgaben. Mein Appell an Kanzler und Finanzminister: Setzt endlich die Schuldenbremse aus und entfaltet grüne und moderne Wachstumskräfte.