Selbstorganisation

Wie wir unseren Meeting-Wahnsinn selbst verschulden

Kommentar Meetings bestimmen unseren Arbeitsalltag. Und rauben unsere Zeit. Zu oft erleben wir reines Business-Theater und Machtspielchen. Höchste Zeit für eine Spielanalyse, meint Karin Lausch.

Foto: Eyestetix Studio on Unsplash
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Ohne Meetings geht es nicht, und mit ihnen wollen wir nicht sein

Sie sind wichtig für echte Kollaboration und guten Austausch. Wir nutzen sie als Abstimmungs- und Entscheidungsplattformen. Egal ob vor Ort, hybrid oder remote, nach ihnen sind wir schlauer, entschlossener, motiviert und synchronisiert. Sie sind eine echte Bereicherung, unsere Meetings.

Wenn wir bessere Meetings und weniger Business-Theater wollen, müssen wir verstehen, was wir da eigentlich tun.

So sollte es zumindest sein. Schließlich verbringen wir einen Großteil unserer Arbeitszeit immer noch mit ihnen. Diese kostbare und vor allem teure Zeit vergeuden wir allerdings damit, uns in Meetings oder über Meetings zu ärgern oder Follow-Ups zu vereinbaren, weil die Meetings nicht ausgereicht haben, um zu erreichen, was wir uns vorgenommen haben. Egal, wie activity based unser Workspace ist, und egal, wie flexibel und modern wir arbeiten – die meisten Meetings sorgen immer noch für maximales Frustrationspotenzial. Warum stehlen wir uns so viel Zeit?

Menschliche Interaktionen lassen sich nicht strukturieren

Auf der diesjährigen Konferenz New Work Future der Ministry Group gab es einen spannenden Impulsvortrag von Inga Höltmann zum Thema Meetings. Teil ihrer Botschaft waren Hacks, die uns helfen, unsere Besprechungen besser zu gestalten. Dazu gehören ihrer Ansicht nach, neben einer wirklichen Agenda, zum Beispiel eine gute und echte Moderationsrolle, aber auch Timeboxes. Auch ich glaube, dass es hier in vielen Unternehmen noch großes Verbesserungspotenzial gibt. Es braucht Struktur und gute Methoden. Aber würden wir uns dann einfach nur strukturierter ärgern?

Je mehr auf dem Spiel steht, desto intensiver wird in Meetings gespielt.

Das von Paul Watzlawick auf die Kommunikation übertragene Eisbergmodell beschreibt, dass 20 Prozent der menschlichen Interaktion auf der offensichtlichen Sachebene stattfinden. Das wären in Bezug auf Meetings z.B. die Struktur, die Agenda, Methoden oder der Inhalt. 80 Prozent des Eisbergs befinden sich allerdings unter Wasser. Dieser Bereich gilt als Beziehungsebene. Liegt in der Beziehung eine Störung oder Irritation vor, kann man in der Sache nicht weiterkommen. Struktur und Methoden allein können unser Meetingproblem also nicht lösen. Die Beziehungsebene spielt sich allerdings verdeckt und teilweise unbewusst ab. Die Interaktionen sind komplex bis chaotisch und irrational. Zumindest auf den ersten Blick. Schaut man genauer hin, laufen sie nach Mustern ab. Sie finden sich überall wieder. In jedem Unternehmen. In jedem Meeting. Und sie treiben uns in Frustration und Verzweiflung.

Zeig mir dein Spiel und ich sage dir, wovor du Angst hast

Wir Menschen haben für unser Verhalten fast immer gute Gründe. Niemand möchte Zeit verschwenden und niemand hat Lust, sich zu ärgern. Aber wir haben Bedürfnisse, Interessenskonflikte, Glaubenssätze und Gefühle, insbesondere Ängste. Jeder Mensch bringt ein eigenes Paket mit. Kommen wir zusammen, treffen all diese unsichtbaren Pakete aufeinander. Wir durchleben somit echte Krisen in Meetings und wir entwickeln Vermeidungsstrategien und Muster, um unsere Interessen zu wahren, unseren Glaubenssätzen zu folgen und uns vor allen Situationen zu schützen, vor denen wir Angst haben. Insbesondere Angst vor Macht- oder Kontrollverlust, Angst vor Veränderung und vor dem Entzug von Anerkennung oder Liebe. Diese immer gleichen Muster nenne ich Spiele, denn das ist es, was wir in Meetings tun. Wir spielen Spiele miteinander. Eric Berne hat diese Theorie schon vor langer Zeit in seinem Buch „Spiele der Erwachsenen“ entwickelt.

Je mehr auf dem Spiel steht, desto intensiver wird gespielt, weswegen im Management deutlich mehr Spiele praktiziert werden als in interdisziplinären Teams. Unsere Meetings sind die perfekte Plattform, um unsere Spiele miteinander auszutragen. Das Problem ist: Sobald jemand ein Spiel beginnt, sind alle anderen unweigerlich involviert. Man kann nicht nicht mitspielen. Die Spiele tangieren uns alle. Während wir glauben, dass andere uns das Meeting gerade zur Hölle machen, fangen wir bereits selbst an, ein Spiel zu spielen. Eine Person kann mehrere Rollen in sich tragen und somit in einem Meeting ein ganz anderes Spiel spielen als im nächsten. Welche Spiele wir spielen und welche Rollen wir einnehmen, richtet sich immer nach Veranlagung, Präferenzen und danach, worum was es geht. Richtig lustig wird es, wenn mehrere Spiele parallel in einem Meeting gespielt werden, wenn sie sich gegenseitig befeuern oder widersprechen.

Wenn wir bessere Meetings und weniger Business-Theater wollen, müssen wir verstehen, was wir da eigentlich tun.

Diese sechs Spiele kennen wir alle

Während der Konferenz wollte ich wissen, wie relevant und präsent das Thema für andere Anwesende ist. In einem Open Space haben wir gemeinsam überlegt, welche Spiele uns in Meetings begegnen. Klare Erkenntnis: erschreckend viele. Und tatsächlich sind sie uns allen sehr vertraut. Sicher lässt sich die Sammlung noch erweitern, aber die folgenden Spiele sind besonders verbreitet.

  1. Ich rede, also bin ich

Bei diesem Spiel begegnen wir einem Alphatier. Ziel des Spiels ist es, dass das Alphatier Platz einnimmt, sowohl räumlich als auch zeitlich. Mit bewusster Modulation und Tonalität der Stimme beansprucht das Alphatier Redezeit, ohne Inhalte anzubieten. Mögliche Motive sind Statussteigerung, Anerkennung und Machtdemonstration bzw. Angst vor Machtverlust. Je mehr Raum das Alphatier einnimmt, desto weniger Raum hat das möglicherweise bedrohliche Thema des Meetings.

  1. Hummel, Hummel

Die Hummel, die hier die Hauptrolle spielt, zeichnet sich durch Ungeduld aus. Sie spricht schnell und leidet auch unter körperlicher Unruhe, die sie mit Stiftklicken, Fingertrippeln oder Fußwackeln demonstriert. Augenrollen, der Blick auf die Uhr und das Hetzen durch die Themen sind weitere Erkennungsmerkmale. Das Gefühl voranzukommen ist ihr wichtiger, als andere mitzunehmen. Mögliche Motive sind tatsächlicher zeitlicher oder thematischer Druck, oder die Person versucht zu zeigen, wie irrelevant sie das Thema findet Vielleicht ist sie aber gerade auch nur genervt von einem anderen Spiel.

  1. Stille Wasser

Das stille Wasser zeichnet sich durch Teilnahmslosigkeit und Desinteresse aus. Die Person leistet nur auf Nachfrage einen Beitrag, der meist inhaltlich belanglos ist. Stille Wasser sind bekanntlich tief. Das Spiel kann viele, tiefliegende Gründe haben. Oft geht es darum, das Thema zu torpedieren. Oder die Person hat resigniert. Auch ein schwaches Selbstbewusstsein und mangelnde psychologische Sicherheit in der Gruppe verhindern einen offenen Diskurs und eine rege Beteiligung.

  1. Das Haar in der Suppe

Dieses Spiel kann von zwei Rollen auf etwas unterschiedliche Weise gespielt werden. Zum einen gibt es die Nörgler:in. Sie betreibt haarspalterische Kritik an anderen Beiträgen oder den allgemeinen Umständen. Dann gibt es die Rolle, die wir das Fragezeichen nennen. Sie hinterfragt alles und jede. Egal welche der beiden Varianten gespielt wird: Eigene Beiträge gibt es kaum. Fragen stellen oder andere kritisieren, ist schlicht sicherer, als das Risiko einzugehen, selbst Ideen beizusteuern. Hier wird Angst vor Fehlern und Verantwortung deutlich. Mögliche weitere Motive sind die Ablehnung der Thematik oder echte Unwissenheit. Oder Angst vor Veränderung.

  1. Repeating/Hepeating

Das Spiel der Wiederholung hat schon viele Meetingteilnehmenden in die völlige Frustration gestürzt. Der oder die Repeater zeichnet sich dadurch aus, das Gesagte immer mit eigenen Worten zu wiederholen, aber keinen neuen Wertbeitrag zu leisten – ein Zeitraub epischer Ausmaße. Besondere Brisanz bekommt das Spiel, wenn Männer die Worte einer Frau wiederholen. Während man der Frau kaum Gehör schenkt, wird der Beitrag des Mannes von allen gefeiert. Dieses weit verbreitete Phänomen hat einen offiziellen Namen: Hepeating. Es geht dabei um Anerkennung. Hepeater wollen sie gewinnen, ausbauen oder demonstrieren – auf Kosten der ursprünglichen Rednerinnen.

  1. Schattenkommunikation

Dieses Spiel wird seit der Pandemie und mit Remote Work häufig gespielt. Es geht um verdeckte Kommunikation via Chat während einer Besprechung. Die Chattenden machen sich über das Thema, das Meeting oder die Personen im Meeting lustig oder lästern über sie. Häufig sind zwei bis drei Menschen beteiligt. Das Motiv ist echter Widerstand gegenüber Themen oder Personen, das Gefühl von Zeitverschwendung, Langeweile oder Austauschbedarf wegen eines parallelen Spiels im Meeting. Die Ursache ist allerdings die Angst davor, eine Störung in großer Runde zu kommunizieren. Dieses Spiel wirkt zunächst harmlos, ist aber ein echter Kulturkiller, weil es dazu führt, dass Themen nicht mehr offen mit allen geteilt werden.

Wenn wir alle sensibler mit dem Thema umgehen und uns mehr reflektieren, wird nicht nur weniger gespielt, sondern wir haben auch bessere Meetings.

Die Krux an der Sache

Wir alle kennen und erleben die Spiele, wir alle hassen sie. Und doch spricht niemand darüber. Wir können sie nicht abschaffen, und auch mehr Struktur oder Methoden werden sie nicht auslöschen. Sie gehören in einem gewissen Maße zu uns. Es gilt, die Muster mit viel Verständnis für die Motive der anderen besprechbar zu machen, um einen befreienden Erkenntniszuwachs für alle möglich zu machen und die Spiele damit etwas zu entmachten. Was hilft ist, sich des ganzen Spektakels bewusst zu sein und bei sich selbst anzufangen. Welches Spiel hast du heute schon gespielt? Wie kannst du das nächste Mal verhindern, in dieses Muster zu rutschen?

Wenn wir alle sensibler mit dem Thema umgehen und uns mehr reflektieren, wird nicht nur weniger gespielt, sondern auch besser „gemeetet“.