Business Transformation Lotters New Management

Vollstörung

Kommentar Stört Sie etwas? Wahrscheinlich. Hier stört dauernd was. Für ein Land, das sich so lange für perfekt gehalten hat, ist das bemerkenswert. Schauen wir genauer hin, was da eigentlich stört, meint Wolf Lotter.

Wer stört denn da?

Angenommen, Sie versuchen gerade, mit Ihrem Auto von Ihrem Wohnort vor der Stadt in die City zu fahren, und zwar dann, wenn es alle tun. Und bleiben stehen – wir nennen das Stau. Das ist eine „Verkehrsstörung“, also ein Mobilitätsdefekt. Interessant ist dann, wer oder was die Störung verursacht. Wenn es sich um besorgte Jugendliche handelt, die sich, wie es die Aufmerksamkeitsökonomie unserer Zeit gebietet, an den Asphalt kleben, ist das eine Störung, die Sie sehr ärgert. Sie müssen wohin, haben es eilig, jemand hält sie auf. Mist.

Es geht offensichtlich immer um die Frage, WER stört, nicht WAS.

Andererseits: Wenn die Ursache für den Stau darin liegt, dass alle es so machen wie Sie, nämlich mit dem Auto vom Vorort in die Stadt gurken, dann nehmen Sie es – naja, nicht heiter und leicht – aber doch hin wie ein Naturgesetz. Ist halt Stau, da kann man nichts machen.

Der Pater Familias plaudert von Vielfalt. Ernst meint er das nicht

Gehen wir eins weiter: Dass Sie Ihre Strecke überhaupt fahren müssen und mit den Störungen leben sollen, ist ja auch irgendwie gestört. Denn Sie arbeiten wahrscheinlich „Zuhause“ – wie man den Ort, an dem Sie leben, nennt, damit Ihr Chef ihn nicht mit dem Büro verwechselt – dreimal so effizient wie im Büro, weil es weniger Meetings gibt, weniger Gruppen-Hokuspokus, weniger Beschäftigungstherapie und Wir-Sind-Alle-Eine-Familie-Gerede, das sich in Zeiten wie diesen schnell als das entpuppt, was es immer war: Geplauder. Der Pater Familias, der natürlich auch eine Mater sein kann, definiert Familie nämlich – bei aller Freundschaft – so, wie es ihm passt. Wer zahlt, schafft an, auch wenn alle beim Duzen dabei sein dürfen.

Ob jemand eine gute Überraschung bringt oder übergriffig ist, hat viel mit persönlichem Anstand zu tun. Wer andere nicht sein lässt, hat keinen. So einfach ist das.

Nein, es geht immer darum, WER stört. Und so falsch ist das ja nicht. Ob jemand eine gute Überraschung bringt oder übergriffig ist, hat viel mit persönlichem Anstand zu tun. Wer andere nicht sein lässt, hat keinen. So einfach ist das.

Diversity ist Arbeit

Auch wenn sich Diversity leicht sagt: Es ist und bleibt Arbeit, Unterschiede ernst zu nehmen. Und Unterschiede zu machen. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Wenn das stimmt, dann wird gerade überall ganz wenig getan, ganz wenig geführt und Stillstand und Heuchelei gemanaged. Das wird nicht reichen.
 
Stellen wir also die Frage: Wer ist verantwortlich für das, was in diesem Land seit langem schiefläuft? Ein paar Antworten: Ein altes Management, das heute wieder Oberwasser hat, weil zu viele Leute wie sie den Stau hinnehmen, den Chef, der sie ins Büro zurückbeordert, der die Transformation behindert, weil sie ihn seine Macht kostet.

Wo man Wissensarbeit und Innovation blockiert, gibt es halt weniger Wissen. Und weil Wissen Macht ist, hat man dann weltweit weniger zu sagen.

Es ist wie in diesem alten Witz von Woody Allen: Da fahren zwei ältere Damen seit vielen Jahren gemeinsam in den Urlaub, in die immer gleiche Frühstückspension. Morgens beschwert sich die eine: „Es ist schrecklich hier. Es regnet immer. Und das Essen ist so schlecht!“ – „Ja“, sagt die andere, „und immer so wenig!“ – Keine Ahnung, ob Allen an Deutschland dachte, als ihm diese Pointe einfiel. Es würde jedenfalls perfekt passen.
Das Essen ist miserabel, aber was auf dem Teller liegt, reicht uns nicht. Mehr muss man über den Zustand einer Gesellschaft, die sich selbst im Weg steht, nicht wissen.

Wir kommen nicht vom Fleck

Es spielt in den Organisationen schon lange keine Rolle mehr, wie gut jemand ist, was sie oder er kann und an Ideen einbringt. Wichtig ist: Mitmachen. Diese Mitläufer haben dann zunehmend Angst davor, dass Länder wie Indien oder China sie technologisch überholen. Wo man Wissensarbeit und Innovation blockiert, gibt es halt weniger Wissen. Und weil Wissen Macht ist, hat man dann weltweit weniger zu sagen.
 
Wir kommen nicht vom Fleck. Weil wir von klein auf gelernt haben, uns stören zu lassen von sinnlosen Routinen, die uns auf Autobahnen oder Bürostühlen zum Stillstand verdammen. Und wir lassen Dampf ab gegen ein paar junge Leute, die auf die Gefahren des Klimawandels hinweisen.
 
Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Aktionismus und Selbstgerechtigkeit finde ich nicht gut, und davon haben die Klimakrisenkinder reichlich. Aber noch weit schlimmer sind Leute, die nicht verstehen wollen, dass man nicht die Wirkung für die Ursache bestrafen kann. Wir müssen uns an die eigene Nase fassen. Das heißt Eigenverantwortung.

Wir kommen nicht vom Fleck. Weil wir von klein auf gelernt haben, uns stören zu lassen von sinnlosen Routinen, die uns auf Autobahnen oder Bürostühlen zum Stillstand verdammen.

Stört die Menschen, die die Transformation stören und sich als Lösung für die Probleme wichtig tun, die sie selbst verursacht haben. Wer stört, hat recht. Oder, um mit dem fantastischen David Foster Wallace zu sprechen: Dafür wünsche ich Ihnen viel mehr als Glück.

 

Dies ist die letzte Ausgabe von Lotters New Management bei Haufe New Management. Es geht an anderer Stelle weiter – mehr Infos dazu bei www.wolflotter.de und auf Twitter und Linkedin