New Work Selbstorganisation

Modernes Arbeiten braucht keine starren Regeln

Kommentar Wenn viele Unternehmen ihre Mitarbeitenden nun wieder zurück ins Büro beordern, folgen sie einem Irrweg, meint unser Kolumnist Oliver Sowa. Sie behandeln ihre Mitarbeitenden nicht wie Erwachsene. Doch Achtung: Erwachsensein hat seinen Preis. Er heißt Verantwortung.

Foto: Giorgio Trovato, Unsplash.com
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Infantilisierte Erwachsene

Im Privatleben organisieren sie ihre Familie, planen die Zukunft, treffen wichtige Lebensentscheidungen und tragen dafür die Konsequenzen. Doch sobald sie durch die Pforte des Bürogebäudes treten, passiert es: Gerade noch erwachsene Menschen werden plötzlich wie kleine Kinder behandelt, die betreut werden müssen, auf Anweisungen zu warten haben und dazu getrieben werden, die Verantwortung komplett an höhere Instanzen abzugeben. Derart überspitzt dargestellt, erkennt sicherlich jeder die Übergriffigkeit. Und doch lässt sich dieses Szenario tagtäglich in unzähligen Unternehmen beobachten.

Gerade noch erwachsene Menschen werden plötzlich wie kleine Kinder behandelt, die betreut werden müssen, auf Anweisungen zu warten haben und dazu getrieben werden, die Verantwortung komplett an höhere Instanzen abzugeben.

Bestes Beispiel: Nachdem die Corona-Pandemie nun vorbei ist, nehmen einige Betriebe ihren Mitarbeitern die Möglichkeit zur Arbeit aus dem Homeoffice. Andere installieren feste Regeln wie „Zwei Tage Homeoffice, drei Tage Büro“ oder knüpfen die Erlaubnis zur Arbeit im Homeoffice an eine bestimmte Kilometer-Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort. Derartige Vorgaben dienen im Grunde der Kontrolle. Wer sie einführt, sät Misstrauen – und das ist Gift für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Zudem signalisieren Betriebe eindeutig ihre Meinung, dass die Beschäftigten nicht in der Lage sind, selbst zu entscheiden, wo sie ihre Arbeit am besten ausführen können. Auch die Tatsache, dass die Mitarbeiter höchst individuelle persönliche Lebensumstände und Vorlieben mitbringen, wird bei einheitlichen, von oben übergestülpten Vorgaben bewusst ignoriert. Im Kern ist dieses Vorgehen die Infantilisierung von erwachsenen Menschen.

Erwachsensein hat seinen Preis

Auch bei Beutlhauser wurden Mitarbeiter früher infantilisiert. Das hat sich zum Glück geändert. Grundlage unserer Kultur ist heute ein Menschenbild, das jeden einzelnen Mitarbeiter im Unternehmen als selbstverantwortlichen und erwachsenen Menschen ansieht und als solchen behandelt. Erwachsensein hat seinen Preis. Im Umkehrschluss erwarten wir von den Mitarbeitern, dass sie mit ihrem Erwachsensein umgehen können. Sie agieren im Unternehmen in einem hohen Maß eigenverantwortlich. Dafür werden kontinuierlich die nötigen institutionellen Rahmenbedingungen geschaffen. Unter anderem wurde die Entscheidungskompetenz zur Fachkompetenz verlagert. Die Mitarbeiter sind der erste Berührungspunkt, wenn Kunden auf ein Unternehmen treffen. In diesem Moment entscheidet sich zum einen, ob schnell und unkompliziert eine Lösung für den Kunden gefunden wird – und das ist nur möglich, wenn die Beschäftigten nicht in ihrer Leistungsmöglichkeit eingeschränkt sind. Zugleich entscheidet sich an dieser Stelle, ob ein Mitarbeiter seine Arbeit als sinnvoll betrachtet.

Es ist zwecklos, Beschäftigte in Bezug auf ihren Arbeitsort in ein enges Korsett zu schnüren. Ihrer Selbstbestimmung ausgerechnet bei diesem Punkt künstliche Grenzen zu setzen, die rein der Überwachung und Kontrolle dienen, wäre hochgradig kontraproduktiv. Gleiches gilt für das kontrovers diskutierte Thema Zeiterfassung. Ein Element, das vordergründig dem Schutz der Mitarbeiter dienen soll, aber unter dem Deckmantel reiner Kontrolle daherkommt und nicht nur bürokratische Hürden im Gepäck hat, sondern die Misstrauenskultur befeuert.

Maß und Mitte

Modernes Arbeiten braucht keine starren Regeln. Wo Mitarbeiter ihre Arbeit erledigen, gehört zu den Aspekten, die sie gemeinsam mit ihrem Team selbst entscheiden wollen und können. Sollte das im Alltag mal nicht funktionieren, dann braucht es keine Vorgaben, sondern Führungskräfte, die mit Maß und Mitte den Zielkonflikt entscheiden.