Thought Leaders Selbstorganisation

Heute führe ich, morgen folge ich

Kommentar Führen und Folgen: Wir reden zu viel über Führung – und zu wenig über Folgen. Dabei müssen wir alle die Kompetenz erarbeiten, richtig zu folgen. Wenn wir folgen können, funktioniert auch Führung.

Wir müssen lernen zu folgen, um führen zu können.
Wir müssen lernen zu folgen, um führen zu können.

Ist Führung unteilbar?

Wir teilen alles: Katzenvideos, Appartments, Autos … Das einzige, das unteilbar scheint, ist Führung. Wir sehen das auch im politischen Diskurs: Es sind immer Einzelpersonen, die für etwas verantwortlich sind: Trump, Merkel, Erdogan – als agierten sie ganz allein. Wir projizieren Verantwortung für Erfolge und Missstände auf heldenhaft überzeichnete Führungsfiguren.

Woran liegt das? Ein Grund ist in meinen Augen, dass Führungskräfte zu oft den Eindruck gewinnen, es seien sie allein, die schwierige Situationen überwinden, Blockaden im Team lösen, die Menschen zu (Höchst)Leistung antreiben. In Gesprächen mit Managern kommt immer der Punkt, an dem einer sagt: „Die Mitarbeiter sitzen herum, arbeiten, aber kommen nicht weiter, und dann muss ich hineinspringen, eine Entscheidung treffen, damit es weitergeht.“ Diese Situationen gibt es ja wirklich, und so entsteht bei den betroffenen Führungskräften zwangsläufig der Eindruck, sie seien die einzig Schlauen im Unternehmen.

 

Uns fehlt die Kompetenz im Folgen

Gleichzeitig lässt sich bei Gruppen ein Phänomen beobachten: Wann immer es zu Konflikten zwischen Gruppenmitgliedern kommt, delegieren sie die Konfliktlösung nach oben. Kinder zum Beispiel haben heute kaum noch die Möglichkeit, Konflikte unter sich auszumachen. In der Regel interveniert bei Streitigkeiten auf dem Spielplatz, im Kindergarten, in den Schulen sofort ein Erwachsener und sagt: „Das darfst Du nicht sagen“ oder „Das ist unfair“ oder „So darfst Du Dich nicht verhalten“. Oder, anders herum: Sobald ein Konflikt entsteht, gehen die Blicke der Kinder zu den Eltern, den Erzieherinnen, den Lehrerinnen mit der Aufforderung „Du musst den Streit jetzt schlichten“. Wir können gar keine Kompetenz im Konfliktmanagement mehr aufbauen, weil es uns aus den Händen genommen wird und wir schon ganz früh lernen, dass sich andere – die Führungskraft – um unser Problem kümmern wird.

Wir müssen erst wieder mühsam lernen, Verantwortung für uns und andere zu übernehmen. 

Das führt zu dem Paradox, dass wir einerseits den anderen Menschen nicht zutrauen, Verantwortung zu übernehmen, gleichzeitig aber im Konfliktfall selbst hilfesuchend nach oben zum nächsthöheren Mitarbeiter schauen. Das ist die Grundlage, auf der wir bei uns im Unternehmen, aber im Grunde überall in Organisationen und Gesellschaft, die (Arbeits)Welt von morgen erschaffen und gestalten wollen (oder sollen).

Verteilte Führung heißt verteiltes Folgen

Ich selbst bin mittlerweile überzeugt, dass „Führen und Folgen“ das Konzept ist, das uns aus diesem Paradox hinausführen kann. Wir konzentrieren uns in den Diskussionen immer auf das Führen und sprechen viel zu selten über das Folgen. Heute geht es um verteilte Führung, und das bedeutet automatisch verteiltes Folgen. Wenn wir „Folgen“ hören, denken wir automatisch an Schule – der Lehrer sagt etwas, und die Schüler machen das, was von ihnen gefordert wird. Aber man kann Folgen auch anders verstehen, nämlich so, wie man im Gebirge einem Bergführer folgt. Der kennt das Gelände und führt uns über die steilsten Pässe, und deshalb haben wir ihn als Führer ausgewählt oder bestimmt. Und während der Bergtour stellen wir seine Führung nicht in Frage. Leider fehlt uns in der Regel diese Kompetenz im Folgen. Doch ich bin sicher: Wenn wir alle kompetent werden zu folgen, funktioniert auch Führung.

Uns fehlt die Kompetenz im Folgen.

Folgen braucht Vertrauen

Wenn im Unternehmen jemand ernannt wird, der oder die durch eine bestimmte Aufgabe führen soll – egal, ob die Person von oben bestimmt, im Team definiert oder in Wahlen gewählt wird – dann entscheiden wir uns, diesem Menschen in dieser Aufgabe zu folgen. Und folgen heißt wirklich folgen. Also dem Menschen, der führt, vertrauen und ihn oder sie machen lassen. Nicht intervenieren, weil man selbst glaubt, es wäre anders besser. Nicht sagen „rechts ist es schöner“, wenn die Führende nach links abbiegen möchte.  Die Experten und vor allem die hierarchisch höher stehende Person intervenieren nur, wenn ein Desaster droht – wenn der Bergführer also direkt auf eine Gletscherspalte zusteuert, die alle sehen außer ihm. Den Weg bestimmt die auserwählte Führungskraft.

Wenn wir gelernt haben zu folgen, können wir auch führen.

Führung ist teilbar

Ich habe in dem mühevollen Prozess, die Kompetenz im Folgen zu erhalten, gelernt: Oft war ich sicher, dass der von anderen gewählte Weg ins Desaster führen werde. Tatsächlich aber war das Ergebnis meistens gar nicht schlecht. Vielleicht sogar besser, als wenn ich geführt hätte. Es führt in der Regel zu wertvollen Ergebnissen, wenn andere die Verantwortung haben. Und wenn es einmal nicht so gut wie gedacht ausfällt, wird die Person, die da als Führungskraft verantwortlich war, beim nächsten Mal wahrscheinlich zu mir kommen und mich um Rat fragen. Das aber ist etwas anderes als das delegieren von Entscheidungen an die Linienvorgesetzten. Denn die Entscheidung liegt am Ende bei der definierten Person. Und ich folge. Beim nächsten Fall dann führe ich wieder – und erwarte, dass die anderen mir genauso folgen.