Selbstorganisation

Die befreiende Macht der eigenen Worte

Es war nie leichter, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Aber wir sind heute nicht nur in der Lage, uns selbst voranzubringen, wir sind auch in der Pflicht. Eine gute Rednerin zu sein galt lange Zeit als Pluspunkt. Heute ist es eine Notwendigkeit, schreibt Viv Groskop in ihrem Bestseller How to own the Room, der diesen Monat auf Deutsch erscheint.

Foto: Foto von Paula Schmidt/ pexels
Foto: Foto von Paula Schmidt/ pexels

Pflicht, sich Gehör zu verschaffen

Es gab noch nie einen besseren Zeitpunkt, um zu lernen, wie Sie sich der Welt präsentieren können. Noch vor einem Jahrzehnt musste man vielleicht warten, bis man irgendwo als Rednerin ausgewählt wurde. Heute können Sie mit ein paar Mausklicks Ihren eigenen Fernsehsender einrichten. Sie können einen Podcast starten oder einen TEDx-Vortrag einreichen. Aber mit diesen Möglichkeiten geht auch Verantwortung einher. Denn wir haben nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Verpflichtung, uns Gehör zu verschaffen.

How To Own The Room
„Schon lange, bevor klar war, dass es eine deutschsprachige Ausgabe von How to Own the Room geben soll, habe ich dieses Buch empfohlen. Denn es gibt kaum ein Buch, das auf eine so erfrischende Art und Weise einem ganz neuen Selbstverständnis auf der Spur ist, wenn es darum geht, öffentlich zu sprechen, sich zu positionieren und in Erscheinung zu treten. Besonders für Frauen ist es enorm wichtig, zu erkennen, was es bedeutet, Macht über die Sprache und über die eigene Kommunikation zu haben. Nur wenn man klar sagen kann, was man möchte, kommt man weiter im Leben. Und manchmal auch, wenn man sagen kann, was man nicht will. Viele unterschätzen die befreiende Macht der eigenen Worte. Macht heißt in diesem Fall, die Kontrolle über das eigene Narrativ zu haben. Denn wer die eigene Kommunikation nicht selbst in der Hand hat, überlässt es anderen, zu bestimmen, wie man wahrgenommen wird und welche Informationen verbreitet werden.“

Tijen Onaran im Vorwort zu How to own the Room.

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Perfektion ist fehl am Platz

Wenn wir über öffentliche Reden sprechen, geht es allzu oft um den Inhalt. Was genau hat die Rednerin gesagt, das diese Rede so unvergesslich gemacht hat? Welches großartige Zitat hat sie verwendet? Wie hat sie ihre Gedanken so prägnant und klug auf den Punkt gebracht? Das ist alles schön und gut.

Aber wenn ich während eines Präsentationsworkshops mit Leuten spreche, stelle ich fest, dass sie sich nicht um den Inhalt ihrer Rede sorgen. Der öffentliche Auftritt macht ihnen Sorgen. Wie sollen sie stehen? Wohin sollen sie schauen? Was ist, wenn sie nervös sind? Was ist, wenn sie die Rede im letzten Moment vergeigen? Diese Ängste sind völlig berechtigt, wenn man weiß, was es bedeutet, in der Öffentlichkeit zu sprechen.

Die Form zählt mehr als der Inhalt

Ob es uns gefällt oder nicht, wir Menschen sind visuelle Wesen und wir lieben es, andere zu »lesen« (was Spaß macht und uns leicht fällt), anstatt uns darauf zu konzentrieren, was sie sagen (was langweilig und anstrengend ist). Wir alle wissen, dass wir die brillanteste Rede aller Zeiten halten könnten, von Jane Austen geschrieben, ergänzt mit Beiträgen von Charles Dickens und von der TED Foundation herausgegeben. Aber wenn wir nicht durch unsere Gesten, unsere Haltung und unser Auftreten entsprechend wirken, wird niemand ein einziges Wort davon hören. Je besser wir beherrschen, wie wir rüberkommen, desto eher konzentrieren sich die Leute auch auf unsere Botschaft.

Je besser wir beherrschen, wie wir rüberkommen, desto eher konzentrieren sich die Leute auch auf unsere Botschaft.

Psychologen gehen heute davon aus, dass etwa 60 bis 90 Prozent unserer Kommunikation nonverbal erfolgen. Das ergibt Sinn. Wenn man sich einen Film ohne Ton ansieht, hat man trotzdem eine ziemlich gute Vorstellung von seiner Bedeutung. Sie können einen Politiker auf einem Bildschirm sehen und wissen, noch bevor er zu sprechen begonnen hat, ob Sie ihm vertrauen oder nicht. Wir sind darauf trainiert, Emotionen, Mimik, Körpersprache und Tonfall zu lesen, lange bevor wir einzelne Worte verstehen.

Das bedeutet nicht, dass der Text einer Rede unbedeutend ist. Viele großartige Reden haben die Jahre überdauert und klingen nach, auch ohne die Wirkung der nonverbalen Kommunikation. Ich will nicht sagen, dass diese Reden überflüssig sind. Ich will damit sagen, dass es mir nicht darum geht, wie man eine großartige Rede schreibt. Es geht darum, wie man eine starke Rede halten kann. Das ist nicht dasselbe.

Was das Ganze mit Frauen zu tun hat

Ja, ich richte mich damit an Frauen. Warum? Raten Sie mal. Fast alle Bücher, die jemals über Vortragskunst und Rhetorik geschrieben wurden, handeln von Männern, wurden von Männern geschrieben und sprechen Männer an. Was für eine Überraschung.

Wir alle kennen die Ungleichbehandlung, mit der Frauen konfrontiert sind, und wir alle wissen, dass Frauen jahrhundertelang kein Gehör fanden. Wir alle wissen, dass kulturelle Normen und soziale Konditionierung dazu führen, dass manche Frauen sich selbst einschränken und übermäßig selbstkritisch sind. Kein vernünftiger Mensch würde dies bestreiten. Auch ich habe diesen Druck schon gespürt und es gibt nur wenige Frauen, denen es nicht so geht.

Wir alle kennen die Ungleichbehandlung, mit der Frauen konfrontiert sind, und wir alle wissen, dass Frauen jahrhundertelang kein Gehör fanden.

Es gibt immer mehr Forschungsarbeiten, die diese sozialen Mechanismen analysieren. Das ist großartig. Es gibt Studien über Mansplaining und darüber, wie Männer Frauen unterbrechen. (Während der Präsidentschaftsdebatte 2016 unterbrach Donald Trump Hillary Clinton einundfünfzig Mal. Sie unterbrach ihn siebzehn Mal.) Es gibt endlose Debatten und Diskussionen darüber, wie viel von diesem Verhalten „natürlich“ und wie viel „anerzogen“ ist. Das ist auch gut so, denn je mehr wir über diese Dinge wissen, desto besser.

Eines der wichtigsten Dinge beim öffentlichen Sprechen ist die Feinarbeit. Deshalb entschuldige ich mich nicht dafür, dass ich mich hier nur auf Sie als Rednerin konzentriert habe und nicht auf die Kultur, die Sie umgibt. Immer, wenn ich in Unternehmen Reden und Präsentationen für reine Frauengruppen unterrichte, sage ich als Erstes: „Wir sind nicht hier, um darüber zu jammern, wie sich andere verhalten. Wir sind hier, um uns darauf zu konzentrieren, wie Sie sich verhalten.“ (Ich unterrichte übrigens auch gemischte Gruppen und kann Ihnen sagen: Frauen haben nicht das Monopol auf Unsicherheit.)

Ich behaupte nicht, dass das eine einfache Sache wäre. Es ist unbestreitbar, dass Frauen traditionell weniger Möglichkeiten haben, sich zu Wort zu melden. In ihrer Rede „Wir sollten alle Feministinnen sein“ zitiert Chimamanda Ngozi Adichie die Umweltschützerin und kenianische Nobelpreisträgerin Wangari Maathai: „Je höher man kommt, desto weniger Frauen gibt es.“ Das ist weder falsch noch umstritten: Es beschreibt die Realität der meisten Branchen und Machtstrukturen überall auf der Welt.

Wir sind nicht hier, um darüber zu jammern, wie sich andere verhalten. Wir sind hier, um uns darauf zu konzentrieren, wie Sie sich verhalten.

Und natürlich gibt es eine Zeit und einen Ort, um strukturelle Ungleichheiten zu untersuchen und Gesetzesänderungen zu fordern, aber meine Aufgabe hier besteht nicht darin, das Problem zu diagnostizieren. Vielmehr möchte ich Frauen ermutigen, ihre Anstrengungen zu bündeln, ihre eigenen Möglichkeiten zu erweitern und sich ihrer Kommunikationsfähigkeit bewusst zu sein. Dabei lasse ich etwas liebevolle Strenge walten. Aber wie Oprah Winfrey sagt: „Es gibt keine Diskriminierung von Spitzenleistungen.“

 

Dies ist ein redaktionell bearbeiteter und gekürzter Vorabdruck aus dem Buch "How to own the room" von Viv Grokop, der in den kommenden Tagen auf deutsch bei Haufe erscheinen wird.