New Work Organisationsentwicklung

Vier Fäuste für ein Halleluja

Die Welt des neuen Managements ist voller hochtrabender Begriffe und gut gemeinter Ratschläge. Was davon aber bewährt sich im harten Alltag eines Interim- und Turnaroundmanagers? Dr. Bodo Antonic gibt Antworten. Diesmal: „Whole Brain Leadership“.

Singt ein Hallelujah auf den gesunden Menschenverstand beim Thema Führung: Bodo Antonic
Singt ein Hallelujah auf den gesunden Menschenverstand beim Thema Führung: Bodo Antonic

Führung nur etwas für gottgleiche Superbrains?

Und wieder ein Konzept, bei dem ich mir die Augen reibe: „Whole Brain Leadership“. Erforscht und ausgerufen hat es die internationale Beratungsgesellschaft Accenture. „Holy Shit“ möchte ich ausrufen und die Broschüre zur Seite legen. Doch der Inhalt dieser Studie rührt an etwas, das mich schon lange umtreibt.

Erfolgreiche Führung braucht immer und überall vier Fähigkeiten. Und keine mehr.

Warum um alles in der Welt müssen wir Führung und die Führungsrolle so weit aufdehnen, dass nur noch gottgleiche Superbrains mit dem zwölftausendteiligen Werkzeugkasten des Supernerds und dem westerngleichen Auftreten des Superhelden den Ansprüchen gerecht werden?

Tip, Top, Toll: Die Führungskraft als Westernheld

Blicken wir also kurz auf die Erkenntnisse und Empfehlungen von Accenture, die sich um das „Whole Brain Leadership“ ranken. Die laufen im Grunde darauf hinaus, dass Top-Führungskräfte folgende Top-Fähigkeiten in sich vereinen sollten, um Top-Mitarbeiter und Top-Kunden zufriedenzustellen (sie machen jeweils 30 Prozent der Gesamtpopulation aus und heißen bei Accenture „Pathfinder“).

Folgendes sollten sie unter Zuhilfenahme beider Gehirnhälften – und mutmaßlich ganz locker auf nur einer Gesäßhälfte sitzend – im Alltag leisten: Andere beeinflussen und „empowern“, kreativ denken und experimentieren, verschiedene Sichtweisen zusammenbringen, ein inklusives Teamumfeld schaffen, die Außenwelt im Blick behalten, empathisch und selbst-reflektiert sein, den Wandel annehmen und anschieben, Intuition besitzen, andere führen (ja, so steht es da!), Daten analysieren und interpretieren, kritisch denken, zielorientiert handeln, neue Technologien verstehen und andere darin anleiten, eine klare Vision und Strategie aufweisen, harte Entscheidungen effektiv treffen …

… und Schluss. Schon? Das hätte für mich noch ewig so weitergehen können. Ist ja irgendwie nicht falsch (Die Studie können sich meine geschätzten Leserinnen und Leser hier herunterladen).

Meine Faustformel für Praktiker

Aber trifft dieser Anforderungskatalog den Kern erfolgreicher Führung? Und ist er für praktisch managende Zeitgenossen hilfreich? Aus Sicht des Interim- und Turnaroundmanagers, der in der Tat immer wieder auf komplexe Situationen in unbekannten Kontexten trifft, sage ich: Nein, er ist es nicht.

Damit ich als Führungskraft in meinen Einsätzen erfolgreich bin und mit den beteiligten Menschen im Unternehmen das Ergebnis erziele, für das mich meine Auftraggeber geholt haben, braucht es immer und überall diese vier Fähigkeiten. Und keine einzige mehr.

  • Menschen einbinden, anleiten und entwickeln können (der Kern von Menschenführung)
  • Entscheidungen herbeiführen und treffen können (der Kern von Unternehmensführung)
  • Langfristig und ergebnisorientiert denken und handeln können (der Kern von Strategie)
  • Systeme gestalten und am Laufen halten können (der Kern von Organisation)

Ein Halleluja auf den „Horse Sense“

Klingt zu einfach und trivial? Mag sein. Ist aber in der Praxis ziemlich anspruchsvoll und verlangt die richtige Balance aus Entschlossenheit, Reflektion und Whole Brain Activity. Außerdem taugt es als Faustformel, die einem im Alltag wirklich Orientierung bietet. Alles andere aus dem Katalog der Beratungskollegen darf und soll beimischen, wer dazu fähig ist und nicht bereits vom Allmächtigen und Allwissenden für höhere Aufgaben abgeworben wurde.

Liebe Berater, Forscher und Welterklärer: Hören wir doch bitte auf, uns immer wieder neue und tollere Konzepte für Führung und Management auszudenken.

Darum, liebe Berater, Forscher und Welterklärer: Hören wir doch bitte auf, uns immer wieder neue und tollere Konzepte auszudenken, die in der Praxis viel zu theoretisch und komplex sind. Lassen Sie uns alternativ mit Augenmaß und gesundem Menschenverstand arbeiten – das Wesentliche erkennend, auf das Relevante fokussierend. Gesunder Menschenverstand heißt im Englischen auch „horse sense“. Frei nach dem Cowboy-Motto: Wenn es schon die Gäule wissen, dürfen wir es auch beherzigen. Halleluja!