Selbstorganisation Agilität

Gemeinsam hummeldumm?

Kommentar Die Welt des neuen Managements ist voller hochtrabender Begriffe und gut gemeinter Ratschläge. Was davon aber bewährt sich im harten Alltag eines Interim- und Turnaroundmanagers? Dr. Bodo Antonic gibt Antworten. Diesmal: „Schwarmintelligenz“.

Basisbewegte Murmelgruppen

Da sind doch einige ins Schwärmen gekommen. Die Weisheit der Vielen, die so genannte Schwarmintelligenz, war in den letzten Jahren die Antwort auf so ziemlich jede Frage, die sich nicht ohne weiteres mit Ja oder Nein beantworten ließ. In der Wirtschaft feierte sie fröhliche Urständ‘ und sorgte für jede Menge basisbewegter Plauderrunden, Murmelgruppen und Austauschzirkel in unseren Unternehmen.

Schwarmintelligenz ist für mich großer Quatsch. Dennoch steckt natürlich eine relevante Fragestellung dahinter: Wie viel Beteiligung von Menschen ist wo angebracht?

Warum Querdenker gerne schwärmen

Was Wunder, dass die Schwarmintelligenz auch auf andere Bereiche ausgriff. Gerade Querdenker und ihr politischer Arm, die Partei „die Basis,“ rühmen sich dieser Eigenschaft und wollen sie fördern. Hätte es je einer Bestätigung all meiner Skepsis bedurft, hier wurde sie mir per Wahlwerbung geliefert.

Doch was stört mich an der Vorstellung dieser kollektiven Intelligenz?

  • Sie vertuscht, dass wir noch nicht einmal genau wissen, was Intelligenz an sich ist.
  • Sie kaschiert wenig Intelligenz mit viel Gruppendynamik: Denn wo kognitive Prozesse vorgetäuscht werden, geht es ihr meist um emotionale Beeinflussung.
  • Sie ist genau deshalb bevorzugtes Instrument von Verführern und Verneblern.
  • Sie zerstäubt Verantwortung: Daher fühlen sich in solchen Gruppenprozessen gerade die wohl, die gern eine Meinung äußern, aber nicht die Konsequenzen tragen wollen.
  • Sie misstraut der Expertise und Erfahrung: Daher findet sie unter ausgewiesenen Fachleuten wenig Anhänger, aber zieht das Halbwissen und den Gefühlsdusel an wie ein Magnet die Eisenspäne.

Kurzum: Schwarmintelligenz ist für mich großer Quatsch, im Schwarm agieren wir viel öfter hummeldumm. Dennoch steckt für Manager natürlich eine relevante Fragestellung dahinter. Wie viel Beteiligung von Menschen ist wo angebracht?

Wo kollektives Grübeln Sinn ergibt

Aus meiner Erfahrung als Krisen- und Turnaroundmanager in Einsätzen unter Druck und Ungewissheit kann ich sagen: Die Gebiete, wo sich Vorstellungen und Praktiken kollektiver Intelligenz nutzbringend anwenden lassen, sind begrenzt. Sie beschränken sich auf Handlungsfelder, die von unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungshintergründen profitieren. Und sie taugen für Prozesse, wo durch Beteiligung an Entscheidungen das Commitment der Betroffenen gefördert wird.

Meinung in der Gruppe bilden

So setze ich auf Austausch, wenn es darum geht, mir eine Meinung zu bilden, um mich zu orientieren. Ich nutze ihn aber auch, um die Meinung in aufkommenden Diskussionen zu beeinflussen. Und ich benutze ihn dort, wo ich wirklich andere beteiligen und involvieren will, weil sie über wichtiges Wissen verfügen und für die Umsetzung eines Plans oder einer Entscheidung benötigt werden.

Ich glaube in der Tat, dass Gruppen dann schlauer sind als der oder die einzelne, wenn es um Stimmungen und Einschätzungen von Stimmungen geht.

Ich hole zudem die Expertise möglichst unterschiedlicher Menschen ein, wenn ich selbst nicht weiß, was zu tun ist. Ich setze auf die Beteiligung einer großen Zahl von Menschen, wenn ein gemeinsamer Gedankenprozess angestoßen werden soll. Ich glaube in der Tat, dass Gruppen dann schlauer sind als der oder die einzelne, wenn es um Stimmungen und Einschätzungen von Stimmungen geht.

Als Führungskraft entscheiden und vorangehen

Ich unterlasse aber tunlichst jedes „Schwärmen“, wenn es um Führung in heiklen Situationen und Krisen geht. Das ist mein Job. Habe ich mir meine Meinung in und mit der Gruppe gebildet, dann entscheide ich. Und mehr noch: Ich setze mich sogar über die Meinungen und Empfehlungen anderer hinweg. Dann nämlich, wenn es keine Zeit gibt, um allem auf den Grund zu gehen und ich fest davon überzeugt bin, dass ich aufgrund meiner Erfahrung und Sachkenntnis richtig liege.

Wer sein Unternehmen für ein Bienenvolk oder einen Vogelschwarm hält, versteht weder etwas von Verhaltensbiologie noch etwas von Unternehmensführung.

In Zeiten der Krise, mit deren Besonderheiten sich andere kaum auskennen und in der sie keine Erfahrung haben, gehe ich voran und tue alles, dass andere folgen. In dieser Gemengelage führt die kollektive Intelligenz nämlich fast zwangsläufig in die falsche Richtung. Angst und Eigennutz der Betroffenen beeinflussen hier oft das Denken und Handeln. Und genau deshalb braucht es Führung, wenn die Hütte brennt und die Zeit rennt.

Manager führen Unternehmen und kein Bienenvolk

Lassen wir uns also nicht von verführerischen Begriffen belätschern und machen bitte weiter unseren Job als Führungskraft. Wer sein Unternehmen für ein Bienenvolk oder einen Vogelschwarm hält, versteht weder etwas von Verhaltensbiologie noch etwas von Unternehmensführung.