New Work Selbstorganisation

Ein Hoch auf Hierarchien!

Kommentar Die Welt des neuen Managements ist voller hochtrabender Begriffe und gut gemeinter Ratschläge. Was davon aber bewährt sich im harten Alltag eines Interim- und Turnaroundmanagers? Dr. Bodo Antonic gibt Antworten. Diesmal: „Augenhöhe“.

Ohne Hierarchien geht es nicht, meint Bodo Antonic.
Ohne Hierarchien geht es nicht, meint Bodo Antonic.

Alles agil, fluid, postbürokratisch?

„Augenhöhe“ – wo immer das Auge hinblickt. Alle postulieren sie, alle berauschen sich daran, Mitarbeiter wie Vorgesetzte gleichermaßen. Es gibt kein oben und kein unten mehr, kein Machtgefälle und kein Herrschaftswissen. Und Hierarchie? Gibt’s auch nicht mehr, hat ausgedient! Status-Symbole und Einzelbüros? Sind von gestern! Wir arbeiten in Großraumbüros und der Chef-Parkplatz hat für die neue Sitzecke im Hof Platz gemacht. Organisation und Struktur? Höchst verdächtig! Agil, fluid und postbürokratisch ist das Unternehmen mit echtem Sex-Appeal!

Hierarchie sorgt für Struktur und Ordnung. Und die braucht es, wenn Menschen erfolgreich zusammenarbeiten wollen.

Wer meine Veröffentlichungen hier verfolgt, weiß: Von so was krieg ich Pickel. Nicht weil ich alles, was hier im Zustand der Verzückung an Ideen und Idealen aufgerufen wird, prinzipiell ablehne. Nein. Es stößt mir auf, weil hier mal wieder vor lauter Überschwang ein paar Realitäten meines Manageralltags sowie ein paar Gesetzmäßigkeiten der Welt, in der wir leben und arbeiten, sträflich vernachlässigt werden.

Augenhöhe ist ein Gebot der Menschenwürde

Darum noch mal zurück auf Los. Wie steht es um die Augenhöhe in unserem Arbeitsalltag? Für mich ist klar: Augenhöhe ist zwischenmenschlich geboten, sie ist schon alleine eine Frage des Respekts und gründet im Prinzip der Menschenwürde. Aber im sozialen Kontext ist sie im Grunde eine Illusion. Überall bilden sich Hierarchien: auf dem Schulhof, im selbstorganisierten Team, im Tierreich und so weiter. Und das ist gut so.

Denn Hierarchie sorgt für Struktur und Ordnung. Und die braucht es, wenn Menschen erfolgreich zusammenarbeiten wollen, wenn Prozesse reibungslos funktionieren sollen, wenn Entscheidungen und Verantwortung transparent getroffen und verteilt werden sollen. Die Natur macht es vor und sorgt für Ordnung, wo es geboten ist. Ein Beispiel, das mich als leidenschaftlicher Taucher besonders beeindruckt: Sprungschichten im Wasser.

Aber Hierarchie hat durchaus Sinn und Zweck

Eigentlich sollte man annehmen, dass Wasser von oben nach unten gleichmäßig kälter wird, wenn man zum Beispiel in einem See oder im Meer von oben nach unten abtaucht. Das Wasser verhält sich jedoch anders. Es gibt so genannte Sprungschichten, an denen die Wassertemperatur schlagartig absinkt.

Überall bilden sich Hierarchien: auf dem Schulhof, im selbstorganisierten Team, im Tierreich und so weiter. Und das ist gut so.


Überall bilden sich Hierarchien: auf dem Schulhof, im selbstorganisierten Team, im Tierreich und so weiter. Und das ist gut so.Das Phänomen lässt sich thermodynamisch erklären. Verkürzt gesagt, ist es energetisch für das Wasser sinnvoller, sich in zwei oder mehr Wasserschichten mit sprungartig unterscheidender Temperatur zu ordnen als gleichmäßig mit zunehmender Tiefe kälter zu werden. Die Sprungschichten erfüllen einen Zweck, der dem System dient.

Zwei Lektionen für das Management

Was folgt daraus für mich als Manager, der oft in Krisen- und Turnaroundkonstellationen Ordnung schaffen, Orientierung geben, Organisationen umkrempeln und Menschen anweisen muss? Zwei Dinge kommen mir in den Sinn. Es geht durchaus darum,

  1. Rangunterschiede zu leben und zu nutzen, das aber nicht in abschätziger oder abgehobener Weise
  2. Struktur und Ordnung zu schaffen, das aber immer ausgerichtet auf und legitimiert durch einen klaren Zweck.

Blicken wir auf Punkt eins. Ich muss vorangehen, mich auch mal über andere hinwegsetzen, weiß oft mehr und kann und darf nicht alles teilen. Dennoch tue ich das mit Respekt und weiß, was ich nicht weiß und nicht kann. Ich ziehe bei Entscheidungen Leute hinzu und binde andere ein, wo es sinnvoll und hilfreich ist.

Nun zu Punkt zwei. Ich rüttle oft an überkommenen Strukturen, aber sorge auch für neue Ordnung. Ich setze Führungskräfte ab, aber auch wieder neue ein. Ich baue Abteilungen und Systeme um, nie aber ohne klar aufzuzeigen, zu welchem Zweck das passiert. Ich nutze explorative Phasen, um in Teams auf Augenhöhe nach unbekannten Lösungen zu suchen. Ich nutze aber auch „Command & Control“, um harte Krisenmaßnahmen schnell und konsequent umzusetzen. Respekt und Wertschätzung hat dennoch jeder verdient, von dem ich erwarte, dass er mitzieht.

Augenhöhe jenseits der Alltagsromantik

Fazit: Der Romantiker in mir fühlt mit allen, die von einer besseren Welt von Gleichen unter Gleichen im Garten Eden träumen. Der Humanist in mir liebt und lebt Augenhöhe im Umgang mit Menschen. Der Manager in mir aber lernt von der Natur und hält an Hierarchie, Struktur und Ordnung fest. Und damit fahre ich als Gesamtperson und Turnaroundmanager eigentlich ziemlich gut.