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Sparta wird das Management nicht retten

Analyse Modernes Management gleiche in vielem dem antiken Sparta. Doch diese effiziente Maschinerie stoße zunehmend an ihre Grenzen, meint Guido Schmidt.

Foto: Jaime Spaniol on Unsplash
Foto: Jaime Spaniol on Unsplash

Antike Vorbilder

Das Management ist eine Erfindung des frühen 20. Jahrhunderts. Heute ist die Verbreitung des Managements so dominant, dass wir das Gefühl haben: Das gab es schon immer. Und tatsächlich hatten schon die Spartaner mit ihrer Kriegsmaschinerie Elemente des klassischen Managements genutzt. Eine gute Möglichkeit, den Kern des Managements zu enthüllen und nach dessen Wirksamkeit zu fragen.

Eine Heldenreise in die Zukunft
Was hindert uns auf dem Weg zur Exzellenz? Was fesselt uns an Paradigmen der Industriegesellschaft, die in einer komplexen und dynamischen Wissensökonomie nicht mehr passen? Und was lehrt uns ein Blick auf antike mythologische Helden? Diesen Fragen geht Dr. Guido Schmidt an dieser Stelle in Form eines Fortsetzungsromans nach.
Teil 5 Manager sind moderne Helden

Das Kriegs-Management von Sparta

Die Nachricht ging wie ein Lauffeuer um. Bei dem Besuch einer trojanischen Delegation in Sparta hatte Paris, der Sohn des trojanischen König Priamos Helena, die Frau des Menelaos, entführt. Es war ein göttliches Schicksal, denn nicht nur Paris war der sagenhaften Schönheit der Helena erlegen, sondern mit der Hilfe von Aphrodite hatte sich auch die schöne Helena in Paris unsterblich verliebt.

Es gibt deutliche Parallelen der spartanischen Organisation zum Management von Großbetrieben.

Odysseus selber hatte ja um Helena geworben und kannte Menelaos zu genüge. Der war ein typischer Spartaner, der den Kampf mehr liebte als die Frauen und dessen höchstes Gut die militärische Pflichterfüllung war. Die mangelnde Empathie des Spartaners und das glücklose Leben der Helena in einer Welt, in der die Gemeinschaft höher eingeschätzt wurde als das Familienleben, hatten Paris leichtes Spiel beschert. Aber egal, ob es nun eine Entführung durch Paris oder eine Flucht der Helena im Namen der Liebe war, die Ehre des mächtigen Königs Menelaos war gekränkt worden. Es war klar, dass ein solches Ereignis nicht ohne Folgen bleiben würde. Und es war dumm, sich ausgerechnet mit Sparta anzulegen.

Der spartanische Zwei-Klassen-Staat

Wenn man von den Spartanern spricht, müsste man eigentlich genauer sein und von den Spartiaten sprechen, denn nur diese kleine Gruppe hatte die vollen Bürgerrechte. Sparta ist das klassische Modell einer Zweiklassengesellschaft.

Odysseus wusste um den Prozess der Ausbildung zum Vollbürger. Die Jungen wurden schon im Alter von acht Jahren von den Eltern getrennt. Sie wurden in Gruppen Gleichaltriger durch Kampfspiele zur Härte erzogen. Die Heranwachsenden mussten sogar mit knapper Ernährung klarkommen. Es gehörte zu den Ausbildungszielen, sich Nahrung selbst zu beschaffen.

Die Familie spielte in dieser Staatsorganisation praktisch keine Rolle, denn die Männer lebten bis zu ihrem 30. Lebensjahr in reinen Männergruppen. Auch die Mädchen durchliefen in Sparta eine vom Staat organisierte Ausbildung. Die Vollbürger wurden arbeitsteilig von den unterworfenen Heloten versorgt. Die Heloten wurden auch in die Kämpfe mit einbezogen und leitsteten tapfer, Seite an Seite mit den Spartiaten militärische Dienste. Eine angesehene gesellschaftliche Stellung war damit aber nicht verbunden.

Die durchorganisierte Maschinerie

Das gesamte Sparta war immer kriegsbereit. Alle Anstrengungen des Staates und die gesamten Bemühungen jedes einzelnen Bürgers waren auf die gemeinsame Aufgabe der Wehrhaftigkeit ausgerichtet. Damit verbunden war eine besonders klare Organisation und ein festes Regelwerk. Das Individuum wurde von klein auf mit besonderen Pflichten vertraut gemacht. Der in allen Aspekten eingeforderte Gehorsam stellte die reibungslose Funktionsfähigkeit der Kriegsmaschinerie sicher. Das gesamte gesellschaftliche Leben drehte sich allein um die Funktionsfähigkeit des Staatswesens.

Das Leben jeden einzelnen Heranwachsenden und Bürgers war durchgeplant. Das Individuum galt nichts in der spartanischen Gesellschaft. Die Familie wurde durch die Gemeinschaft ersetzt. Alles war genau geplant und vorgeschrieben. Eine persönliche oder individuelle Entwicklung wurde zugunsten der Funktionsfähigkeit des Systems nicht gefördert und eigentlich auch nicht geduldet.

Die Spartaner hatten eine sehr erfolgreiche Kriegsmaschinerie entwickelt. Die klare Organisation und die Planung der Tätigkeiten ermöglicht es ihnen, dass das Staatswesen und die Versorgung auch funktionierten, wenn sie in den Kampf zogen. Die Planung der Oberschicht gepaart mit der Leistungsfähigkeit der Arbeiter sicherte den Wohlstand auch in Krisenzeiten.

Das vorausplanende Management

Es gibt deutliche Parallelen der spartanischen Organisation zum Management von Großbetrieben. Zu Beginn des modernen Managements gab es immer größere Betriebe, die tausende von ungebildeten Arbeitern beschäftigten, um die Versorgung der Bevölkerung mit Industriegütern sicherzustellen. Es ist klar, dass man solche Menschenmassen nicht wie einen Handwerksbetrieb führen kann, wo jeder seiner eigenen Tätigkeit nachgeht. Die Kernidee des Managements ist es daher, die Planung von der Ausführung zu trennen. Der Blick richtet sich auf das komplexe System und die Funktionsfähigkeit der neuen Großbetriebe.

Der wahre Kern des Managements ist die Trennung von Planung und Ausführung.

Die Aufgabe des Managements besteht seit jeher in der Vorausplanung der Tätigkeiten für die verschiedenen Schritte in einem Herstellungsprozess. Der wahre Kern des Managements ist die Trennung von Planung und Ausführung. Es ist gleichsam die DNA von Management zwischen planerischen und ausführenden Tätigkeiten zu unterscheiden. Die Planung bringt die einzelnen Schritte in den Produktionsprozessen zusammen und sichert den Ertrag. In diesem System kann selbst der Ungebildete wenig falsch machen. Die Ausführung wird durch Vorausdenken, klare Regelungen und kleinteilige Arbeitsschritte immer sicherer.

Die Attraktivität des Managements

Mit der Trennung von Planung und Ausführung entsteht in den Betrieben de facto eine zwei Klassen Gesellschaft. Die Denker und die Macher, oder die Manager und die Arbeiter. Damit verstehen wir auch die bis heute anhaltende Attraktivität von Management. Wer es zum Manager bringt, der hat die gehobene Klasse erreicht. Er kann Aufgaben definieren und delegieren, ist aber selber nicht mehr in den Leistungsprozess eingebunden.

Das Management ist entstanden, um Großorganisationen sinnvoll zu führen. Wie in der spartanischen Kriegsmaschinerie wird dazu die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems über die individuellen Bedürfnisse der Organisationsmitglieder gestellt.

Die Voraussetzungen dafür, diesen Karriereschritt zu machen ist – wie bei den Spartanern – eine gute und langjährige Ausbildung. Die gute Ausbildung und eine gute Portion Anstrengung sind die „Enabler“, um in die Klasse der Manager aufzusteigen. Die Entbehrungen einer langen Schulzeit und eines Vollzeit-Studiums ohne eigenes Einkommen sind die üblichen Voraussetzungen für den Aufstieg in eine Management-Position. Wer eine gute Ausbildung mit Studium genossen hat, für den ist in der Regel klar, dass seine Zielposition im Management liegen muss. Das Management ist also das natürliche Arbeitsfeld von gut ausgebildeten Menschen. Der Weg in diesen Olymp der modernen Gesellschaft heißt Karriere.

Die Funktionsfähigkeit im Management

Das Management ist entstanden, um Großorganisationen sinnvoll zu führen. Wie in der spartanischen Kriegsmaschinerie wird dazu die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems über die individuellen Bedürfnisse der Organisationsmitglieder gestellt. Jeder wird auf das gemeinsame Ziel der Funktionsfähigkeit eingeschworen. Es geht um das Ganze und nicht um den Einzelnen. Jeder bekommt eine klare Aufgabe und muss die zugewiesene Position in jedem Fall vollends ausfüllen. Die Funktionsfähigkeit des Systems ist unabhängig von widrigen sachlichen und sozialen Umständen uneingeschränkt sicherzustellen. Das ist der unumstößliche Grundgedanke des Managements.

Es ist doch tatsächlich so, dass die hohen Weihen des Managements mit erheblichen persönlichen Einschränkungen einhergehen. Niemand wird bestreiten, dass im Management großer Einsatz für die Sache verlangt wird. Lange Arbeitstage und volle Terminkalender sind die äußeren Zeichen dieses Anspruchs an das Management. Es wird totale Hingabe an die Aufgabe und an das Unternehmen erwartet. Die Ansprüche der Arbeitswelt lassen die Familie und soziale Kontakte für die Karriere in den Hintergrund rücken. Aus der zwanghaften Kasernierung des militärischen Staatsgebildes von Sparta ist im Management eine freiwillige Dominanz des Arbeitslebens geworden. Alles für die gute Sache der man sich verschworen hat.

Die Sachlichkeit des Managements

In dem Zusatz „Scientific“ vor dem Management hat Taylor etwas ganz Besonderes versteckt. Die reine Sachlogik. Unser Bild der Wissenschaft ist frei von persönlichen Ansichten und emotionalen Einflüssen. Es gilt das klare Sachprinzip. Die reine Wissenschaft ist der reinen Logik unterworfen. Mit dem Ausdruck Scientific proklamiert Management genau diese reine Logik der Wissenschaften. Scientific Management erhebt den Anspruch, sich ausschließlich um objektive Wahrheiten zu bemühen. Auch wenn wir heute nur noch von Management und nicht mehr von Scientific Management sprechen, so ist der wissenschaftliche Ansatz und die Behauptung totaler Rationalität nicht untergegangen, sondern immer aufrechterhalten worden.[1]

Es ist eine spannende Frage, ob ein Unternehmen allein mit totaler Sachlichkeit geführt werden sollte.

Tatsächlich spricht in einer Großorganisation einiges dafür, das System nach objektiven Kriterien zu bewerten. Nur eine ebenso logische wie emotionslose Betrachtung der Situation führt zu gleichbleibenden Ergebnissen. Niemand mag sich vorstellen, dass der Output durch soziale oder emotionale Verwerfungen gefährdet wird.

Die Unternehmen sollen in allen Aspekten aus rein sachlicher Brille gesehen werden. Die „objektiven Gegebenheiten“ übernehmen die wichtige Aufgabe, Spannungen und uneinheitliches Vorgehen zu vermeiden. Die Sachlogik des Managements ist der Kitt der Großorganisation. Wer den Anspruch wissenschaftlicher Emotionslosigkeit und Logik aufgibt, der verrät den Anspruch des „Scientific Management“.

Das reine Management ist zu wenig

Es ist eine spannende Frage, ob ein Unternehmen allein mit totaler Sachlichkeit geführt werden sollte. Erstens ist die viel beschworene Objektivität eine Fiktion und kann in den meisten Fällen gar nicht erreicht werden.[2] Zweitens ist es eine nicht zu rechtfertigende Annahme, dass eine Unternehmung, die aus Menschen und Maschinen besteht, ausschließlich objektiv zu betrachten ist. Das Management sonnt sich zu Unrecht in dem Anspruch reiner Sachlichkeit. Es ist zwar gut, objektive Fakten zusammen zu tragen, die Bewertung der Fakten ist aber immer subjektiv. An dieser Stelle kommt das sachlogische Management an seine Grenzen.

Was den betriebswirtschaftlichen Zahlen gut tut, ist noch lange nicht gut für die Mitarbeiter.

Das Management schafft es zunehmend seltener, die Leute von dem Streben nach Effizienz zu überzeugen. Was den betriebswirtschaftlichen Zahlen gut tut, ist noch lange nicht gut für die Mitarbeiter. Sie reiben sich in unendlichen Effizienzrunden auf, ohne dass mal was Exzellentes passiert. Der Blick auf die Zahlen kann allenfalls eine kurzfristige Befriedigung bieten. Die Leute müssen wieder emotional angesprochen werden und von einer Sache begeistert werden. Wo das fehlt, da fehlt auch die Zukunft.

 

[1]         Die gesamte Betriebswirtschaftslehre erhebt seit ihrer Entwicklung den unangefochtenen Anspruch der strengen Rationalität. Wäre da nicht der Fall, würde man den Status einer eigenständigen Wissenschaft gefährden. Siehe Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, Münster 1928.

[2]         Die sogenannten Sophisten haben im 5. Jahrhundert vor Christus den sogenannten Homo Mensura Satz geprägt, der besagt, dass es gar keine objektiven Wahrheiten gibt.