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Manager sind moderne Helden

Kommentar Manager sind die Helden unserer Zeit, so scheint es. Doch das Fundament, auf dem sie stehen, wird zunehmend brüchig. Zeit für eine Neudefinition, meint unser Gastautor Dr. Guido Schmidt.

Die Luft wird dünn für das klassische Verständnis von Management. Foto: Uriel Marques von Pexels
Die Luft wird dünn für das klassische Verständnis von Management. Foto: Uriel Marques von Pexels

Das zeitlose Epos

Da unsere Gesellschaft in hohem Maße durch Wirtschaft und Management geprägt ist, müsste man doch dort die großen Helden finden. Wie sagte schon Bill Clinton: „Its the ecomomy, stupid“[1] Aus den heldenhaften Kriegern der Ilias sind in friedlichen Zeiten Kämpfer im globalen Wettbewerb geworden. Wirtschaftskriege und erbitterte Wettbewerbe haben das Zeug dazu echte Spannung zu erzeugen. Die Wirtschaftspresse berichtet täglich von herausfordernden Branchen, schwierigen politischen Konstellationen, von verlorenen Schlachten und großen Siegen, die heute Erfolge heißen. Alles wie im klassischen Vorbild des Heldenepos von Troja. Nur: Unsere Helden heute sind irgendwie anders als früher. Nicht die Krieger stehen in der ersten Reihe, sondern die Lenker der Wirtschaft.

Eine Heldenreise in die Zukunft
Was hindert uns auf dem Weg in die Wissensgesellschaft? Was fesselt uns an Paradigmen der Industriegesellschaft, die in einer komplexen und dynamischen Wissensökonomie nicht mehr passen? Und was lehrt uns ein Blick auf antike mythologische Helden? Diesen Fragen geht Dr. Guido Schmidt an dieser Stelle in Form eines Fortsetzungsromans nach.
Teil 4 Die neue Lust am Abenteuer

Das zeitlose Epos

Homer konnte sein Glück kaum fassen. Ein Händler aus Ägypten hatte tatsächlich Papyrus dabei. Homer hatte den neuen Stoff, auf dem man mit Pinsel und Farbe ganze Geschichten festhalten konnte, nur einmal in der Hand gehabt. Ein Seefahrer hatte vor einiger Zeit eine Schriftrolle mit einer Heldengeschichte eines ägyptischen Pharao an Bord. Natürlich war es eine fremde Schrift und von den Griechen konnte niemand die bildhaften Zeichen lesen. Aber dennoch war Homer sofort klar, dass dieses Papyrus etwas ganz Besonderes war. Ihn faszinierte nicht die niedergeschriebene Geschichte, sondern das neue Medium. Die Ägypter hatten eine Möglichkeit gefunden, Ereignisse auf einem neuen stoffähnlichen Untergrund aufzuschreiben. Die Geschichte am Nil und die Heldentaten des Pharao wurden für immer auf diesem Stück konserviert. Die Erinnerung an das Geschehene würde so niemals verblassen. Den Gelehrten aus dem fernen Land war es gelungen, Geschichte zu schreiben. Und das war tatsächlich wörtlich zu verstehen.

Die Helden von heute sind nicht mehr Krieger, sondern Manager.

Homer war klar, dass dieses besondere Material nur den Pharaonen und einigen wenigen Priestern vorbehalten war. Dieses Papyrus musste also unfassbar teuer sein. Mit klopfendem Herzen fragte er nach dem Preis. Als er die Antwort erhielt, zuckte er zusammen. Es begann der übliche Handel und Homer musste alles Geschick darauf verwenden, dass die Bedeutung der Ware für Ihn nicht zu offensichtlich wurde. Es ging hin und her! Ganz am Ende hielt er ganze 24 Rollen[2] in den Händen. Die Geschichtsschreibung konnte nun auch in Griechenland beginnen.

Die Zutaten der Heldenreise

Homer wusste, dass er das Tor zu einer neuen Epoche aufstoßen würde. Er wollte die sagenhafte Geschichte des Krieges um Troja aufschreiben. Aus dem Storytelling der Geschichtenerzähler sollte Storywriting werden, aus den nächtlichen Erzählungen sollte ein dauerhaftes Dokument für die Nachwelt werden. Die Helden des Epos und vor allen Dingen deren Taten waren es wert, nein machten es zwingend notwendig, davon zu berichten. Die Nachwelt musste diese Kämpfer für die Freiheit und gegen den totalitären Staat eines allmächtigen Königs in ewiger Erinnerung behalten. Denn hier kämpften nicht nur Menschen gegen Menschen, sondern auch Menschen gegen Götter. Und am Ende war es der menschliche Ideenreichtum des Odysseus, der die von Götterhand erbauten Zyklopen-Mauern[3] des Weltreiches von Troja zu überwinden wusste. Die Macht der Götter fand ihre Grenzen in dem Trickreichtum eines einzelnen Helden. Es war dieser Odysseus-Moment, der nicht weniger als den Beginn der Emanzipation der Menschen von den Göttern einleitete.

Homer entschied sich, nicht einfach eine Chronologie der Ereignisse zu verfassen, sondern eine komplexe Geschichte, die zu verschiedenen Zeiten, mit unterschiedlichen Charakteren und an unterschiedlichen Orten spielte. Aufbau und Inhalt des Werkes beschreiben nicht nur die Heldentaten, sondern haben auch alle Elemente dessen, was wir heute unter Storytelling und der sogenannten Heldenreise verstehen. [4] Es gibt die übermächtige Herausforderung, die Widersacher, deutliche Rückschläge, das unbändige Durchhaltevermögen und den Erfolg am Ende der Geschichte.

Der große Held der modernen Wirtschaft

Einer der Menschen, auf den alle wichtigen Zutaten der klassischen Heldenreise zutreffen, ist Frederick Winslow Taylor. Seine Theorien sind zwar keine 2800 Jahre alt, doch seit er seine Erkenntnisse der modernen Betriebswirtschaftslehre unter dem Schlagwort „Management“ vorstellte, ist diese Disziplin in aller Munde und aus dem modernen Wirtschaftsleben nicht wegzudenken. Taylor hatte die exzellente Idee, die aufsteigende Industrie seiner Zeit komplett neu zu gestalten. Er hat nicht weniger erreicht, als unsere gesamte Vorstellung von Wirtschaft neu zu prägen.

Frederick Winslow Taylor hat nicht weniger erreicht, als unsere gesamte Vorstellung von Wirtschaft neu zu prägen. Mit seinem „Scientific Management“ erlebte die bis heute andauernde Ära des Managements ihre Geburtsstunde.

Eine der betriebswirtschaftlichen Entdeckungen des Frederick Winslow Taylor trägt tatsächlich seinen Namen, der Taylorismus. Diese besondere Form der Arbeitsorganisation ist in der Betriebswirtschaft sehr bekannt und wird - wie bei einer klassischen Heldenreise - heute weitgehend abgelehnt. Es handelt sich um Arbeitsstudien, die die Prozesse eines Arbeiters genau analysieren und durch Optimierung der Handgriffe und genaue Vorgaben einen deutlichen Effizienzgewinn ermöglichen. Taylor selbst hatte in jungen Jahren eine Lehre als Werkzeugmacher gemacht und kannte dadurch die einzelnen Schritte auf der Arbeitsebene. Seine Vorschläge basierten auf tiefgreifenden Analysen der Tätigkeiten und persönlichen Praxiserfahrungen.

Die Effizienz als Kern des Managements

Die Effizienzgewinne seiner Vorschläge waren enorm und hätten ihn eigentlich uneingeschränkt zu einem Helden machen müssen. Doch er hatte es mit gewichtigen Widersachern aufgenommen. Die Idee nämlich, die Macht der Vorarbeiter aufzuteilen und Kompetenzen an eine neue Arbeitsvorbereitung abzugeben, forderte die gewohnten Machtstrukturen im Betrieb heraus. Und getreu dem Motto: Viel Feind viel Ehr, hatte Taylor dann noch die geradezu kommunistisch anmutende Idee, die Effizienzgewinne nicht allein den Industriellen, sondern auch den Arbeitern zukommen zu lassen. So verlor er auch die Arbeitgeber als Befürworter. Immer wieder musste der Ingenieur Taylor aufgrund von politischen Auseinandersetzungen und Machtspielen seine Arbeitsplätze verlassen. Kein Zweifel, Taylor war ein tragischer Held der Wirtschaft.

Erst als er auf eine weitere Beschäftigung in der Wirtschaft verzichtete[5], gelang ihm doch noch der Durchbruch. Es war ein ebenso kreativer wie einfacher Schachzug, ein echter Odysseus-Moment. 1911 machte Taylor aus dem verhassten Taylorismus etwa Neues: „Scientific Management“. Die bis heute andauernde Ära des Managements erlebte ihre Geburtsstunde.

Der Management-Mythos

Bis heute sind zahllose Schriften zum Management geschrieben worden. Die exzellente Idee des Frederick Winslow Taylor ist in allen nur denkbaren Facetten beleuchtet worden. Mal sind es methodische Ansätze, ein anderes Mal stehen die Manager mit ihren Leistungen im Zentrum der Schriften. Aber immer verbinden wir mit Management das uneingeschränkte Erfolgsprinzip der Betriebswirtschaft. Dieses Prinzip ist so wirkmächtig, dass es auf nahezu jeden gesellschaftlichen Bereich übertragen wurde. Heute wird irgendwie alles gemanaged. Vom Unternehmen bis zur Gesundheit, von der Bildung bis zur Reise, von der Politik bis zur Familie.

Management ist unzweifelhaft zum Mythos geworden. Man hat das Gefühl, dass es das Management schon immer gab und vor allen Dingen, das es Management auf absehbare Zeit weitergeben werde.

Management ist unzweifelhaft zum Mythos geworden. Man hat das Gefühl, dass es das Management schon immer gab und vor allen Dingen, das es Management auf absehbare Zeit weitergeben werde. Wer Manager ist, der hat es in der Wirtschaft zu etwas gebracht. Wer noch toller ist, gehört vielleicht sogar zum Top-Management. Das Wort Karriere ist gleichbedeutend mit einem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg und endet immer in einer Management-Position.

Management für immer?

Die Erfolgsgeschichte des Managements ist jetzt 110 Jahre alt, und die Protagonisten behaupten, sie werde endlos fortgeschrieben. Aber was steckt, außer der persönlichen Tragik und dem finalen Erfolg des Helden Frederick Winslow Taylor, dahinter? Welche Zutaten machen einen Menschen heute zum Helden? Welche Aspekte werden die ewige Jugend dieser Disziplin sicherstellen? Wo kommt der uns heute so vertraute Management-Ansatz an seine Grenzen? Wir werden es sehen und beginnen mit den Vorbereitungen auf den Feldzug gegen Troja.

 

[1]         Der Satz „It is the ecomomy, stupid“ wurde als ein Wahlkampfslogan im Präsidentschaftswahlkampf 1992 von Bill Clinton gegen J. Bush eingesetzt. Er sollte die besondere Bedeutung der Wirtschaft in der Gesellschaft und für den Wahlausgang betonen. Quelle, Wikipedia.

[2]         Die Ilias umfasst 15.693 Verse in 24 Gesängen, die nach dem Einheitsalphabet von Eukleides im Jahr 403 v. Chr. mit griechischen Großbuchstaben gekennzeichnet sind; die Länge der Bücher variiert etwa zwischen 400 und 900 Versen. Quelle: Wikipedia.

[3]         Die Mauern der antiken Stadt Troja waren aus riesigen Steinen aufgebaut worden. Jeder einzelne Stein war so gewaltig, dass Menschenhand Ihn eigentlich nicht bewegen konnte. Deshalb gab es die Legende, dass die Mauern von Riesen, den Zyklopen, Söhne der Gaia und des Uranos gebaut worden waren.

[4]         Claudia Lutschewitz, Storytelling und Leadership. Inspirieren und motivieren durch Geschichten, Gabler, Wiesbaden 2020, Seite 6 ff.

[5]         Frederick Winslow Taylor war mehr noch als für seine Arbeitsstunden für die Erfindung spezieller Stahllegierungen berühmt. Der von ihm erfundene „Schnellstahl“ wurde für Werkzeuge in der Metallverarbeitung eingesetzt, um andere Stahlsorten zu bearbeiten. Die entsprechenden Patente hatten Taylor zu einem erbaulichen Reichtum verholfen.