Selbstorganisation Agilität

„OKR richtet uns alle an der Strategie aus – und lässt doch Freiheit“

Interview OKR hat das Potenzial, die gesamte Unternehmung an der Strategie auszurichten. Damit alle auf das eine große Ziel hinarbeiten – und dabei frei, agil und selbstorganisiert zu handeln. Axel Singler, Managing Director bei Haufe Talent, und Paul Rodoreda, OKR-Master, berichten über ihre Erfahrungen mit dem Framework.

Foto: Startaê Team on Unsplash
Foto: Startaê Team on Unsplash

OKR setzt auf Teams als Experten

Paul, was ist OKR?

Paul: OKR ist ein Framework, um Ziele zu setzen und an der Unternehmensstrategie auszurichten. OKR steht eigentlich für "Objectives and Key Results" (Ziele und Schlüsselergebnisse). Um ehrlich zu sein, ist das Framework nicht neu, es existiert seit den 1970er Jahren: Der erste, der es verwendete, war Intel, was es in der IT-Branche, insbesondere in der Startup-Branche, populärer machte. Im Grunde genommen ist OKR ein sehr interessantes Framework, um alle Teams auf denselben Zweck, dasselbe Ziel auszurichten. Das Reizvolle an OKR ist, dass es alle Teams auf das übergreifende Unternehmensziel, das sich aus der Unternehmensstrategie ergibt, ausrichtet. Jedes Team kann selbstverantwortlich handeln und seine eigenen Ziele definieren. Bei OKR geht es also eher darum, dass jedes Team das unterstützt, was die Organisation als allgemeines Ziel, als allgemeine Regel festlegt. Denn es setzt darauf, dass das Team der Experte für das Thema ist.

Axel Singler, Managing Director Haufe Talent
Axel Singler, Managing Director Haufe Talent

Axel, warum habt Ihr OKR eingeführt? Wie habt Ihr vor der Umstellung gearbeitet?

Axel: Wir hatten den klassischen MBO-Prozess (Management by Objectives). Ausgehend von einer übergeordneten Zielsetzung des Managements versuchten wir, die Ziele auf Teams und insbesondere auf Ebene der Mitarbeitenden herunter zu brechen. Aber das war in einem schnelllebigen Umfeld immer weniger angemessen. Man kann ein Unternehmen heutzutage kaum mehr nur mit Jahreszielen steuern. Und das war der Hauptansatzpunkt, um über eine Alternative nachzudenken. Wir suchten nach einer Alternative, die bereits auf dem Markt etabliert war – und fanden das OKR-Framework, welches hierzulande vor allem durch den Einsatz bei Google bekannt wurde.

OKR erlaubt quartalsweise Steuerung

Was ist aus Deiner Sicht als Geschäftsführer der größte Vorteil von OKR – oder der größte Unterschied zu MBO?

Axel: Zunächst einmal erlaubt uns der OKR-Rahmen eine quartalsweise Steuerung, die, und das ist sehr wichtig, nichts mit dem Quartalsdenken vieler börsenorientierter Unternehmen zu tun hat. OKR gibt uns vielmehr die Möglichkeit, die Organisation auf vierteljährlicher Basis zu beeinflussen, was in dem schnelllebigen Umfeld, in dem wir tätig sind, sehr wichtig ist. Das ist ein großer Vorteil. Der zweite ist die Transparenz. Ich hatte noch nie eine solche Transparenz in Bezug auf die aktuellen Ziele der einzelnen Teams und Bereiche.

Denn in einem reinen MBO-Prozess erhält man zwar ein gewisses Feedback in Bezug auf die KPIs, aber man weiß nie, woran ein bestimmtes Team wirklich gerade arbeitet und welche Prioritäten es gerade hat. Bei dem OKR-Framework kann ich auch sehen, ob wir bezüglich Strategieumsetzung „on track“ sind beziehungsweise wo wir alle Management Hürden aus dem Weg räumen müssen, damit bestimmte Dinge umgesetzt werden können.

Wer war die treibende Kraft bei der Einführung von OKR? Das Managementteam, der OKR-Master, die Mitarbeiter?

Axel: Zuerst haben wir es in einem kleineren Bereich ausprobiert. Damals haben wir viel experimentiert und verschiedene HR-Methoden ausprobiert, und so war OKR "nur" eine weitere Methode. Wir machten gute Erfahrungen und so beschloss das damalige Führungsteam, OKR komplett einzuführen.

Paul Rodoreda, OKR Master, Haufe Talent
Paul Rodoreda, OKR Master, Haufe Talent

Uns war jedoch klar, dass wir eine dedizierte Rolle brauchen, um OKRs dauerhaft zu etablieren und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Deshalb hat Paul die Rolle des sogenannten OKR-Masters übernommen. Mit dem klar formulierten Auftrag, das OKR-Framework bei uns zu implementieren.

OKR – eine Frage der Definition

Wie hast Du die Mitarbeiter an Bord geholt, Paul?

Paul: Es war eine interessante Erfahrung, denn einerseits war ich definitiv nicht die einzige Person, die über OKR Bescheid wusste. In der Tat hätte es ein kleines Team geben können, das sich um OKR kümmerte: Einige hatten ihre eigene Erfahrung gemacht und haben über viel Wissen über OKR verfügt. Ich habe mich also erst einmal mit ihnen abgestimmt und dieses Wissen in den Plan für die Einführung eingearbeitet. Das war sehr wertvoll, denn der entscheidende Punkt bei OKR ist: Es gibt keine Einheitsgröße, die für alle passt. Jedes Unternehmen passt es an seine eigene Art, seine Bedürfnisse und sein Niveau an.

Wir mussten also vor allem definieren, was OKR für uns bedeutet und wie wir als Unternehmen OKR betreiben wollen. Das war der Ausgangspunkt für die Trainings, die wir für die Mitarbeitenden entwickelt haben. Das haben wir gemeinsam gemacht, nicht ich allein. Und dann ging es darum, die Menschen zu schulen. Die Herausforderung bestand hierbei darin, dass die verschiedenen Teams einen unterschiedlichen Wissensstand und unterschiedliche OKR-Erfahrung hatten.

Zwei Teams hatten bereits mit OKR gearbeitet, dort ging es nur noch darum, einige Aspekte des Konzepts zu verfeinern. Andere Teams hörten überhaupt zum ersten Mal von OKR. Mit Coaching, Hilfe und ganz viel praktischer Unterstützung haben wir das Framework dann Schritt für Schritt in die gesamte Organisation gebracht.

Axel, wie ist das Feedback der Mitarbeitenden? Akzeptieren und leben sie OKR?

Axel: Wie Paul schon sagte, war es recht einfach, die Leute zu überzeugen, die bereits daran gewöhnt waren, mit OKRs zu arbeiten. Aber wir haben auch festgestellt, dass einige Teams zwar mit OKRs gearbeitet haben, aber in Teilen OKRs wie im klassischen MBO-Prozess umgesetzt wurden.

Daher mussten wir vor allem diejenigen überzeugen, die schlechte Erfahrungen mit falsch angewandten OKR-Bestandteilen gemacht hatten. Im Moment, würde ich sagen, ist es wie bei jedem anderen Framework: 80 Prozent mögen es wirklich und 20 Prozent kommen damit zurecht.

OKR ist kein Planungstool

Ihr sagt, OKR sei ein Framework. Viele Anwender, mit denen ich spreche, sehen es als ein Planungsinstrument. Und sagen, dass es nicht funktioniert, weil es keine klassischen Projektziele wie zum Beispiel Meilensteine bietet.

Paul: Am Anfang neigen die Leute dazu, OKR als Planungsinstrument zu betrachten. Sie übersehen, dass es bei OKR um Eigenverantwortung, Fokus und Ausrichtung in der gesamten Organisation geht. OKR ist nicht zum Planen da. Die Menschen müssen einen Plan haben, um ihre OKR zu erreichen. Das ist etwas ganz Anderes. Die Planung sollte die Antwort auf die Frage sein: "Wie erreichen wir dieses Key Result?"

OKR gibt ein Ziel vor. Das Ziel ist richtungsweisend. Das Ziel lautet, sagen wir, "Wir werden diesen Weg gehen. Denn wir wollen dieses Problem lösen." Das wichtigste Ergebnis ist dann die Angabe von Metriken. Wie sicher sind Sie, dass Sie das Ziel erreichen? Wie weit werden Sie in den nächsten drei Monaten auf dem Weg zum Ziel kommen? Wenn Sie wollen, können Sie sagen, dass das Ziel Ihnen sagt, wo Sie hinwollen, und dass das Key Result die Metrik für die Schritte ist, die Sie unternehmen müssen, um dorthin zu gelangen.

Nehmen wir ein Beispiel: Du kannst  die Liebe deiner Mutter nicht messen, aber du kannst zählen, wie viele Küsse sie dir gibt. Wie kannst du sicher sein, dass sie dich mehr liebt? Du bekommst jetzt mehr Küsse als im letzten Monat. Wie kannst du das erreichen? Um diese Frage zu beantworten, brauchst du einen Plan. Du fragst dich: "Wie schaffe ich es, mehr Küsse von Mama zu bekommen?" "Ich werde mein Zimmer aufräumen, meine Hausaufgaben machen, jeden Tag mit dem Hund spazieren gehen und Klavierproben machen." OKR legt also zunächst ein Ziel fest und definiert dann die Key Results. Sobald dies geschehen ist, beginnt man mit der Erstellung des Plans.

Selbstorganisation und Selbststeuerung

Axel: Ich möchte noch etwas hinzufügen. Mich als Geschäftsführer interessieren die detaillierten Pläne eines einzelnen Teams nicht. Ich möchte nur wissen, worauf sich das Team fokussiert. Welche Ziele sie anstreben, welche Key Results sie definieren. Wie sie das erreichen wollen, ist für mich nicht wichtig, das liegt in der Verantwortung des Teams. Und ich habe volles Vertrauen in die Teams. Solange wir alle OKR für unsere Ziele und Key Resultse verwenden, kann jedes Team das Planungsinstrument nutzen, das es braucht. Beratungsteams, sagen wir mal, planen eher nach einer Projektlogik, Technikteams verwenden Jira. Auf der Tool-Ebene sind verschiedene Werkzeuge möglich. 

Ihr habt OKR vor drei Jahren eingeführt. Was hat sich verbessert, Axel?

Axel: Der wichtigste Punkt ist: Wir haben erkannt, dass wir uns auf einer Lernreise befinden. Als wir anfingen, waren wir überzeugt, dass wir keine KPIs im Rahmen eines OKR-Rahmen managen können. Das hatten wir in unserer Recherche irgendwo so aufgeschnappt. Auf unserer Lernreise haben wir herausgefunden, dass das nicht stimmt. Wenn man sich andere Unternehmen die OKRs nutzen näher betrachtet, sieht man: Die haben neben den qualitativen Zielen sehr klare quantitative KPIs in ihrem OKR-Framework. Sobald wir das verstanden hatten, gab das dem Projekt eine andere Wendung: Denn wir können unser Unternehmen mit KPIs steuern – mit einer OKR-Mentalität. Was ich damit sagen will ist: Wir definieren jetzt KPIs für das Unternehmen als Ganzes und entscheiden im Dialog mit den Teams, welches Team in welchem Zeitrahmen zu welchem KPI beiträgt.

Dank OKR sind wir jetzt viel stärker eine selbststeuernde Organisationen. Die Mitarbeitenden und in erster Linie die Teams sind für die Ergebnisse verantwortlich.

Unternehmenskultur spielt eine wichtige Rolle

Würdest Du OKR jedem Unternehmen empfehlen oder müssen erst bestimmte Grundlagen gelegt sein, damit das erfolgreich sein kann?

Axel: Jedes Unternehmen kann den OKR-Rahmen nutzen. Aber die zweite Frage ist die wirklich schwierige. In einer Organisation werden OKRs nicht funktionieren, wenn Intransparenz herrscht oder wenn regelmässiger Wissensaustausch und aktive Zusammenarbeit nicht lebendiger Teil der Kultur sind. In einer solchen Unternehmenskultur wird die Anwendung von OKR zu MBO in neuem Gewand führen.

In einem solchen Fall ist es besser, ganz klar auf einen guten MBO-Prozess zu setzen. Das ist in Ordnung, wäre ehrlicher und da ist auch nichts gegen einzuwenden. Es gibt Branchen, die nicht so stark im Umbruch sind. Da hat sich diese Methode bewährt. Aber wer ein übergeordnetes Ziel, vielleicht sogar eine Mission oder einen höheren Unternehmenszweck hat und den Nutzen einer transparenten Kultur erkennt, hat meiner Meinung nach keine Alternative zu OKR – zumindest wenn sich das Unternehmen in einem schnelllebigen Umfeld bewegt.

Paul, siehst Du noch Verbesserungspotenzial? Vermisst Du etwas?

Paul: Es gibt immer Verbesserungspotenzial. Im Moment müssen wir zum Beispiel ein paar Dinge neu ausrichten und sicherstellen, dass alle Teams sich wie beschlossen ans Framework halten. Und wir müssen einen effektiven Modus für unsere vierteljährlichen "In- und Out-Zeremonien" finden. Wir sind mittlerweile viele Teams und müssen einen Weg finden, wie wir die Ergebnisse so präsentieren, dass es für alle wertvoll ist. Mehr als 100 Leute, die auf eine PowerPoint-Präsentation mit Balkendiagrammen starren – das ist weder effizient noch effektiv.