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5 New-Pay-Hacks für Klimaschutz und Nachhaltigkeit

Kommentar Die drängende Aufgabe von Unternehmen, Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu fördern, ist komplex. Viele Organisationen versuchen sich in Rechenspielen. Doch kann die Gleichung aufgehen, wenn die Belohnungsstrukturen und das Performance Management unangetastet bleiben? Fünf Vorschläge zum Umdenken von Stefanie Hornung.

Foto: Pixabay
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Vertane Chancen?

Die Liste der Trendthemen in Unternehmen hat einen neuen Spitzenreiter: Nachhaltigkeit. Doch wie kann man das Thema angehen? Welche gesetzlichen Vorgaben sind zu erfüllen und wie verändert man Strukturen und Prozesse, die über Jahre an rein wirtschaftlichen Zielen ausgerichtet waren? Die Unsicherheit ist groß und niemand kennt den Königsweg.

Unternehmen satteln das Pferd von hinten auf, von Seiten der Messgrößen. Diese verdecken den Zweck, also worum es eigentlich geht: eine Zukunft für nachrückende Generationen.

Darin liegt eine Chance und darin liegt eine Gefahr: Wenn der Schrei nach Nachhaltigkeit oberflächlich bleibt, geht es nur darum, die Zahlen und KPIs der Unternehmen schönzurechnen. Die bisherige Praxis von Anreiz und Reaktion, die vorhandene Vergütungs- und Belohnungsprozesse prägt, wird dann auf Nachhaltigkeit übertragen. Nachhaltiger Erfolg steht so auf ganz wackeligen Beinen. Die Chance auf ein echtes Umdenken wäre vertan. Welche neuen Blickwinkel könnten da weiterhelfen?

Nachhaltigkeit verändert die Perspektive

Hack 1: Was wäre, wenn wir neu gewichten?

Nachhaltigkeit betrachten viele Unternehmen aktuell vor allem als Geschäft. Auch die Ansprüche von Kund:innen und Beschäftigen steigen. Doch häufig geht es einfach darum, Shareholder davon zu überzeugen, dass man Risiken minimiert, die Klimasünden und soziales Missmanagement auslösen. Viele CEOs und Top-Manager erleben persönliche Konflikte: Selbst, wenn sie sich für mehr Nachhaltigkeit einsetzen, sind sie in den Regeln des Finanzmarkts gefangen.

Wenn der Schrei nach Nachhaltigkeit oberflächlich bleibt, geht es nur darum, die Zahlen und KPIs der Unternehmen schönzurechnen. Die bisherige Praxis von Anreiz und Reaktion wird dann auf Nachhaltigkeit übertragen.

Blickt man etwa auf die Vorstandsvergütung, so gilt schon ein geringer Anteil an ESG-Faktoren (Environmental= umweltschonend, Social = Soziales, vor allem in Bezug auf Arbeitsbedingungen und Governance = gut geführt) als nachhaltig. Der „Arbeitskreis Leitlinien für eine nachhaltige Vorstandsvergütung“ suggeriert zum Beispiel, dass 20 Prozent Nachhaltigkeitsziele schon genügen – und liegt damit im europäischen Vergleich sogar am oberen Ende. Hinzu kommt: Im ESG-Mix dominiert der Fokus auf CO2-Emissionen. Laut einer Untersuchung des Futurist Instituts für nachhaltige Transformation des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und der Unternehmensberatung Bain & Company ragt Klimaneutralität in den Augen von CEOs in Deutschland als Nachhaltigkeitsziel heraus. Das heißt, langfristige und stärker qualitative Ziele wie Artenschutz oder faire Arbeitsbedingungen (das S in ESG) bleiben auf der Stecke.

Nachhaltigkeitsziele werden nicht umfassend betrachtet

Dass sich Nachhaltigkeitsziele kannibalisieren können, ist eine Folge der Vorgehensweise. Unternehmen satteln das Pferd von hinten auf, von Seiten der Messgrößen. Diese verdecken den Zweck, also worum es eigentlich geht: eine Zukunft für nachrückende Generationen.

Hack 2: Was wäre, wenn wir Nachhaltigkeit nicht als Zwang verstehen?

Was Nachhaltigkeit oder ESG bedeuten, ist nicht klar definiert, auch wenn Unternehmen versuchen, den Anschein zu erwecken, es wäre anders. Mindeststandards und gesetzlichen Vorgaben zum Trotz bleibt ein großer Interpretationsspielraum. Diesen nutzen Unternehmen gerne, um für sich genau die Definition zu wählen, die sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch einlösen können oder, noch schlimmer, aktuell schon einlösen.

In Deutschland haben zuletzt das Lieferkettengesetz bezüglich sozialer Standards und die EU-Taxonomie in Bezug auf Klimaschutz den Druck auf Organisationen erhöht – zumindest in der Berichterstattung. In der EU bleibt die Entwicklung abzuwarten. Investor:innen und Kund:innen achten jedenfalls zunehmend auf Klimaziele. Was jedoch dazu führt, dass Unternehmen Nachhaltigkeit als Zwang verstehen. Dabei könnten etwa die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele oder freiwillig genutzte Bilanzierungstools je nach Branche oder Fokus als Wegweiser dienen, um eine echte Leistungsdefinition für Nachhaltigkeit zu erstellen, die herausfordernd ist und nicht nur Minimalanforderungen erfüllt oder symbolische Signale setzt. Dabei zählen nicht nur der Input (Ressourcenbedarf, Personal und Kapital) und der Output (messbare Ergebnisse im laufenden Betrieb), sondern auch Outcome (der Nutzen für Kundschaft) und der Impact (die langfristige Wirkung auf gesellschaftlicher Ebene).

Es geht nicht nur um Input und Output, sondern auch um den Nutzen und die langfristige gesellschaftliche Wirkung unternehmerischen Handelns.

Eine solche Impact-Anforderung wäre eine Gestaltungschance: Zum einen, weil dies für Beschäftigte ein Antrieb sein kann. Wenn sie sehen, dass Unternehmen es mit Nachhaltigkeit ernst meinen, und zwar auch im Top-Management, wäre der Weg frei, Strukturen und Prozesse neu zu gestalten – etwa in Bezug auf Personalfragen oder die Vergütung. Zum Beispiel könnte nachhaltige Leistung auch Teil eines Stellenbewertungsprozesses sein: Ob Beschäftigte Nachhaltigkeitskompetenzen mitbringen oder mit der eigenen Arbeit einen hohen Impact im Sinne von Nachhaltigkeit haben, wären dann entscheidende Kriterien.

Hack 3: Was wäre, wenn wir Nachhaltigkeit nicht monetär incentivieren?

Nachhaltigkeit ist komplex. Und immer, wenn es um komplexe Aufgaben geht, hilft eines am besten: intrinsische Motivation. „CEOs und Führungskräfte sind hochmotiviert, etwas für Nachhaltigkeit zu tun“, heißt es vielerorts. Doch der Impact scheint nicht Lohn genug. Es kann ja nicht schaden, mit monetären Anreizen ein bisschen nachzuhelfen, oder? Doch, kann es. Denn intrinsische und extrinsische Motivation lassen sich nicht einfach addieren. Die Forschung ist hier sehr eindeutig. Es greift der sogenannte Verdrängungseffekt. Menschen neigen dann dazu, sich auf den Bonus und das Geld zu fixieren, was ihre intrinsische Motivation verdrängt. Ein hohes Gewicht von Nachhaltigkeitskriterien in der variablen Vergütung des Managements ist also – anders als viele Vergütungsberatungen aus geschäftlichem Interesse behaupten – kein Fortschritt. Wenn die Systeme so sind, wie sie sind, scheint das immer noch besser als gar keine Nachhaltigkeitsziele. Doch reicht das aus?

Zielsetzung und Vergütung trennen

Wenn man etwas ändern wollte, müsste man Vergütung und Zielsetzung – wie bei klassischen Management by Objectives üblich – voneinander entkoppeln. Das hieße nicht zwangsläufig, dass man auf ambitionierte Ziele verzichten müsste. Methoden wie Objectives and Key Results (OKRs) sind zwar nicht unproblematisch, auch hier sind Fehlanreize nicht ausgeschlossen. Sie folgen aber vom Grundsatz her dem intrinsischen Prinzip: nämlich, dass Beschäftigte für ihren Arbeitsbereich selbst die konkreten Ziele aus der Unternehmensstrategie für sich ableiten können. Diese fallen umso ambitionierter aus, je weniger sie mit Vergütung zu tun haben. Schließlich möchte niemand sich selbst für hochgesteckte Ziele bestrafen.

Wer Nachhaltigkeit in Vergütung einpreist, schafft Wahlmöglichkeiten und Schlupflöcher im Fall des Scheiterns.

Die Beharrungskraft individueller Anreize – auch wenn sie in motivatorischer Sicht als wirkungslos oder schädlich erkennt werden – ist jedoch groß. Dies hängt mit der Akquisitionsfunktion von „leistungsgerechter“ Vergütung und finanziellen Aspekten zusammen. Noch immer erwarten viele Beschäftigte individuelle Boni, auch wenn sich zuletzt hier ein Umdenken abzeichnet. Finanziell bedeutet das Vorgehen, dass Unternehmen den variablen Anteil erst mit Ablauf einer Bonusperiode auszahlen und so ihren Cashflow erhöhen. Doch wer sich dafür entscheidet, sollte sich im Klaren darüber sein, dass die Anreizmechanik falsche Tatsachen vorspiegelt. Noch fataler: Durch extrinsische Anreize bekommen Nachhaltigkeitsbemühungen einen Preis. Das heißt nicht, dass es für Menschen attraktiver wird, einen solchen Bonus zu bekommen. Wenn die nötigen Schritte mit hohen Anstrengungen verbunden sind, kann das auch dazu führen, dass Beschäftigte Ausfallkosten bewusst in Kauf nehmen. Wer Nachhaltigkeit in Vergütung einpreist, schafft Wahlmöglichkeiten und Schlupflöcher im Fall des Scheiterns.

Hack 4: Was wäre, wenn wir anders messen?

„Nur was wir messen, können wir managen“, ist ein weit verbreiteter Glaubenssatz. Wenn es etwa um Klimaneutralität geht, kommen Unternehmen nicht an Messungen vorbei – sonst wissen sie nicht, wo sie stehen. Dennoch ist die Aussage nur die halbe Wahrheit. Denn vieles, was man nicht messen kann, ist für Nachhaltigkeit und Klimaschutz ebenso bedeutsam. Wie können Unternehmen zum Beispiel messen, ob sie zum Artenschutz oder zur Verbesserung der Lebensumstände ihrer Kund:innen beitragen, wenn harte Kennzahlen fehlen oder eine Messung so aufwendig wäre, dass sie jegliche Verhältnismäßigkeit sprengte? Qualitative Signale und konkrete Maßnahmen für Nachhaltigkeit sind hier aussagekräftiger als bestimmte KPIs.

Doch Grenzwerte werden oft zum Ziel erklärt. Nachhaltigkeitsmessungen vermitteln Sicherheit und Klarheit und mutieren zum Selbstzweck. Wir vergessen, dass alle Messeinheiten nur ein Gradmesser dafür sein können, ob wir auf einem guten Weg sind. Es geht um Entscheidungen, die von unseren Glaubenssätzen geprägt sind. Denken wir an die neue EU-Taxonomie: Sie betrachtet Atomenergie als nachhaltig, der geringen Emissionen wegen. Nicht eingerechnet ist dabei allerdings das Risiko eines atomaren Unfalls oder der Endlagerung.

Grenzwerte werden oft zum Ziel erklärt. Nachhaltigkeitsmessungen vermitteln Sicherheit und Klarheit und mutieren zum Selbstzweck.

Außerdem kommt es darauf an, dass die Gesamtgleichung stimmt. Die aktuell übliche Messarithmetik weist blinde Flecken auf. Nicht eingepreist in Unternehmensbilanzen sind meist 1. endliche Ressourcen (Rohstoffe), die Menschen der Natur entnehmen und ihr nicht zurückgeben, 2. die sozialen Folgen des Klimawandels und 3. die Investitionen, die es braucht, um klimaschonende Lösungen zu erfinden (nicht nur energiesparende Technik, auch Recycling oder Reparatur). Wenn sich daran nichts ändert, sind auch die Nachhaltigkeitsergebnisse in Betrieben falsch bemessen. Dann hat es „keinen Wert“ im Sinne von Nachhaltigkeit, Führungskräfte dafür mit Aktien und Geld zu belohnen.

Kriterien für Nachhaltigkeit sind oft falsch

„Unser Messgerät zur Bestimmung von ‚weniger‘ und ‚mehr‘ ist nicht richtig geeicht“, sagt die Neurowissenschaftlerin Maren Urner. Zum einen zeitlich betrachtet: Die Antwort, was weniger und was mehr ist, hängt stark davon ab, ob wir kurz-, mittel- oder langfristig denken, entscheiden und handeln. So fühlt es sich heute vielleicht so an, als sei der Klimawandel weit weg, da die Schäden für Menschen und Umwelt nur anderswo spürbar sind. Doch schon morgen könnten die Folgen „vor der eigenen Haustür ankommen – in Form planetarer Dynamiken und Geflüchteter“, so Urner. Die Betrachtungsweise hat Auswirkungen auf unsere Messeinheiten. Natürlich ist der Spruch „weniger ist mehr“ falsch, wenn wir ihn auf monetäre Aspekte beziehen. Aber wie sieht es aus, wenn man weniger und mehr an der Lebensqualität von Menschen festmacht? Nun mag man so argumentieren, dass Geld Macht ist und Möglichkeiten eröffnet. Doch die Glücksforschung zeigt, dass Freude und Genuss nicht proportional zum finanziellen Reichtum steigen.

Hack 5: Was wäre, wenn wir Vorreiter wären?

Benefit-Programme sind ein guter Indikator, welche Glaubenssätze unsere Messsysteme prägen. Und zwar in Hinblick auf die Wahl der Benefits (zum Beispiel klassischer Dienstwagen vs. E-Auto oder E-Bike, Einkaufsgutscheine vs. CO2-Ausgleich durch Bäume pflanzen) und das Angebot nicht-monetärer Währungen (zum Beispiel Wahl von Homeoffice, Arbeitszeitgestaltung oder Regelarbeitszeit). Auch die zeitliche Perspektive spielt eine Rolle: Viele Benefits sind darauf ausgelegt, dass Mitarbeitende Geld ausgeben anstatt es für eine Zukunft zu sparen, in der der demografische Wandel die Rentensysteme ins Wanken bringt. Wenn Menschen nicht kurzfristig dem Geld(ausgeben) folgen, sondern in ihre langfristige Entwicklung investieren, etwa auch durch Weiterbildung, bewirkt dies nachhaltigen Wohlstand. Benefit-Programm unterstützen diese Erkenntnis jedoch meistens (noch) nicht.

Wer es mit Nachhaltigkeit ernst meint, muss auch die Belohnungs- und Anreizsysteme der Wirtschaft neu gestalten.

Wer es mit Nachhaltigkeit ernst meint, muss auch die Belohnungs- und Anreizsysteme der Wirtschaft neu gestalten. Warum fangen Unternehmen nicht einfach damit an? Weil sie denken, die Welt da draußen sei noch nicht bereit dafür. Weil Nachhaltigkeit oft noch teurer ist oder Menschen ihren Wert nicht zu schätzen wissen. Letztlich können auch neue Währungen im Vergütungsmix nur so weit reichen, wie ein gesellschaftliches Umdenken stattfindet. Wer sich aber nicht vom Henne-Ei-Dilemma in Geiselhaft nehmen lässt, genießt noch ein Alleinstellungsmerkmal. Im Kampf um Talente ein nicht zu unterschätzender Faktor.