Innovation Talent Management

Finde ich noch jemanden, der mit mir arbeiten will?

Kommentar Die Welt der Informationstechnologie wandelt sich seit Jahren immer schneller. Wie stellen sich IT-Verantwortliche dieser Wandlungsgeschwindigkeit, den Anforderungen der neuen Arbeitswelt – und bleibt ihr IT-Zoo aufgeräumt? Andreas Plaul berichtet aus seinem Alltag als CIO. Diesmal: Social Recruiting und New Work.

Foto: Nick Fewings on Unsplash
Foto: Nick Fewings on Unsplash

Social Recruiting und New Work

Die aktive Entwicklung der IT zu gestalten, heißt auch, die bewusste Transformation des IT-Teams voranzutreiben. Dies erfolgt nicht isoliert, sondern eingebettet in den stetigen Wandel der Gesellschaft. Jedes Jahr gibt es einen kleinen Generationswechsel. Auch die Struktur der IT-Teams wandelt sich. Und die Arbeitswelt als Ganzes.

Für die IT bietet der Wandel ein enormes Potenzial, mit Vielfalt und neuen Ideen immer wieder die eigene Rolle und Bedeutung neu zu erfinden. Ich möchte aber nicht verhehlen, dass der Wandel auch Sorgen, Ängste und Risiken mit sich bringt. Chancen und Risiken zusammen müssen IT-Verantwortliche aktiv gestalten. Einfach nur laufen lassen ist keine Lösung, sondern Ignoranz. Daher schreibe ich oft über Talente, Mitarbeiter:innen und deren Entwicklung. Aber wo kommen diese Menschen her, und warum würden diese überhaupt noch mit uns unsere Vision verfolgen?

Die bewusste Transformation gelingt nur mit „wollenden“ Mitarbeitern, die sich gerne einbringen und etwas verändern wollen.

Der Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Natürlich kommt es weiterhin auf die Fähigkeiten jedes Menschen an, aber vor allem auf ihr Mindset. Und dies erkennen ganz viele Unternehmen, die um unsere heutigen und morgigen Mitarbeiter:innen mit uns konkurrieren. Ein Beispiel dafür sind Hersteller von IT-Lösungen, die wir als Unternehmen einsetzen. Diese versuchen verstärkt, ihre neuen Mitarbeiter:innen direkt bei uns, ihrem Kunden, zu gewinnen. Wir bauen Wissen auf, um deren IT-Lösungen einsetzen zu können, und dieses Wissen und die praktische Einsatzerfahrung fließen zurück zu den Herstellern.

Venture Capital und Start-ups verfügen über große Kapitalmengen und können damit junge und oder flexible Talente mit vergleichsweise hohen Gehältern und attraktiven Paketen für sich gewinnen. Immer mit dem Ziel, die Time-to-market zu reduzieren und erfolgreich den IPO, Buyout oder Exit zu forcieren. Andere klassische Recruiting-Lokationen wie Near Shore-Standorte in Europa werden schon lange intensiv von einer Vielzahl von Unternehmen verwendet, sozusagen „abgegrast“. Und global agierende Technologiekonzerne tun ihr Möglichstes, an diesen Standorten Talente zu gewinnen.

Wir müssen das Recruiting-Bild neu malen.

Wenn also alle an denselben Standorten mit deckungsgleichen Argumenten um dieselben Talente konkurrieren: Welche Möglichkeiten bleiben einem Mittelständler dann noch, erfolgreich Mitarbeiter:innen für das Unternehmen zu gewinnen? Wir müssen das Recruiting-Bild neu malen.

Eine Odyssee

Vor allem anderen steht die Erkenntnis, dass es eigentlich „nur“ darum geht, zur richtigen Zeit die richtigen Menschen mit den richtigen Jobs zusammenzubringen. Bisher verlassen wir uns auf das passive Sourcing. Wir veröffentlichten über verschiedene Kanäle Stellenanzeigen, warteten auf Menschen, die auf der Suche waren, führten Gespräche und wählten die richtigen Talente aus. Wir warteten und hofften auf das Wunder der erfolgreichen Einstellung. Mit der Zeit mussten wir lernen, dass auch Stellenanzeigen nur erfolgreich sind, wenn wir darin unsere Mehrwerte, unseren Bedarf und unsere Vision formulieren können. Und dennoch reicht das schon lange nicht mehr.

Wir fingen also an, mit internen und externen Headhuntern zusammenzuarbeiten. Dazu versuchten wir, Profile auf Keywords zu reduzieren, wir formulierten unseren Bedarf so präzise wie möglich, in der Hoffnung, dass Präzision Erfolg bedeuten würde – und warteten. Die Headhunter stellten unterschiedliche Menschen vor, wir arbeiten uns durch eine Vielzahl von Interviewrunden, wir verhandelten Gehälter und Konditionen, schließlich wollten wir die Talente ja für uns gewinnen. Und doch merkten wir, dass die Ansprache via Headhunter nur ein weiterer Puzzlestein sein kann, aber alleine nicht den Bedarf deckt.

Wie viele andere Unternehmen gingen wir den nächsten Schritt und starteten den Austausch mit Universitäten, wurden visibel auf den unterschiedlichen Social-Media-Kanälen, sprachen auf Konferenzen. Wir schufen Formate zum aktiven Austausch, und warteten wieder. Und der Frust stieg, da auch mit der weiteren Nutzung von Recruiting-Puzzleteilen unsere Herausforderung, Menschen für uns zu begeistern, nicht kleiner wurde.

Dies resultierte neben Frust in Selbstreflektion und bohrenden Fragen wie: Vielleicht gibt es keine Talente mit den notwendigen Erfahrungen, Fähigkeiten oder Mindset? Vielleicht liegt es am Standort? Oder an den Themen? Vielleicht liegt es an uns? Vielleicht sind wir einfach nicht gut genug?

Wir gehen offen in die Gespräche mit Nachwuchskräften, hören zu und stecken Menschen mehr in Rollen-Schubladen. 

Als weiteren Schritt konzentrierten wir uns auf die jungen Talente, schufen Ausbildungswege, ermöglichten Praktika und stellten Studierende an. Und das erste Mal fühlten wir so etwas wie Erfolg. Die jungen Talente kamen mit Energie und Vision und veränderten eingefahrene Strukturen. Sie öffneten die Diskussion für neue Wege, neue Ideen und schufen Kontakte zu weiteren Talenten. Sicherlich sind nicht alle Positionen mit jungen Talenten zu besetzen, aber wir spürten eine Veränderung.

Was hatten wir anders gemacht? Zuallererst war da eine Selbsterkenntnis. Da junge Talente nicht über denselben Erfahrungsschatz verfügten, gingen wir viel offener in Gespräche. Wir hörten zu und überlegten, wie wir die richtige Möglichkeit für das Talent schaffen könnten. Und wir schufen uns damit eine Gruppe von Talenten innerhalb und außerhalb der IT, die nicht nur aktiv die IT mitgestalteten, sondern auch in Frage kamen für Vakanzen von Morgen und Übermorgen.

Wie können wir dem Arbeitsmarkt begegnen, ohne festgefahrene Erwartungshaltungen und passives Warten?

Wir fingen an Netzwerke zu bauen

Menschen befinden sich in unterschiedliches Phasen auf ihrer Reise durch das Leben. Wir stehen kontinuierlich vor der Entscheidung, wie das Morgen gestaltet werden soll. Was heute passt, kann morgen schon nicht mehr richtig sein. Und diese Lebensphasen passen nicht immer gleich gut zu den Notwendigkeiten unseres Unternehmens. Wann ist also der richtige Zeitpunkt, um einen gemeinsamen Weg zu sprechen?

Social Recruiting

In Gesprächen mit Menschen, die unsere Leidenschaft für IT teilen, lernte ich deren Träume und Wünsche kennen. Ich hörte, woher die Menschen kommen, was sie sich von der Zukunft versprechen, wohin sie gehen wollen. Ich sah ihre aktuelle Situation, die sehr individuell und unterschiedlich war. Und ich fing an, meine strategischen Erwägungen zur Entwicklung der IT mit den Interessen möglicher Talente anzureichern. Und gemeinsam mit den Talenten fingen wir an, die Talent Gap zu schließen.

Doch was braucht es, um mit potenziellen Talenten ins Gespräch zu kommen? Wie kann ich Interessen in Einklang bringen? Wie baue ich ein nachhaltiges Social Recruiting-Netzwerk auf? Mir sind vor allem folgende Punkte aufgefallen:

  • Um eine gemeinsame Reise zu gestalten, muss man zuhören. Nur wer zuhört, versteht die Situation und das Potenzial des Gegenübers. Natürlich haben wir immer viel zu erzählen und möchten unsere strategischen Erwägungen und Angebote hinausposaunen. Dabei verlieren wir aber manchmal das Gefühl für unser Gegenüber.
  • Es braucht Zeit und den richtigen Zeitpunkt. Wenn der Zeitpunkt nicht passt, können die beste Vision, die spannendste Tätigkeit, das beste Miteinander sich nicht entfalten.
  • Herkömmliches Recruiting reicht nicht mehr aus – es ist ein Bestandteil von vielen Aktivitäten, die wir ergreifen. Netzwerke, Young Talents, Talent Relationship Management und vor allem mittel- bis langfristiges Talent Planning sind die Hebel, die uns ad hoc Recruiting ersparen. Dafür müssen natürlich die Business Strategien und die in Zukunft notwendigen Skills/Mindset bekannt sein, sodass Mitarbeiter:innen intern entwickelt oder mit genug Vorlaufzeit für das Unternehmen gewonnen werden können.
  • Firmengrenzen werden fluide. Wo gestern noch primär der Mitarbeitendenausweis wichtig war für eine gemeinsame Arbeit, einen Workshop, eine gemeinsame Aktivität, ermöglichen uns verteilte Arbeit und flexible Arbeitszeitmodelle heute eine Annäherung vor der eigentlichen Zusammenarbeit. Talente können schon in Workshops oder Trainingsmaßnahmen das Unternehmen kennenlernen. Oder wir starten mit anderen Firmen gemeinsame Initiativen, um gegenseitig den Mitarbeiter:innen neue Perspektiven zu eröffnen. Ganz nach dem Motto, dass es gemeinsam einfacher ist.
  • Zum Verstehen braucht es Offenheit. In Firmen schleift sich ein Jargon ein. Jede:r kennt die Bedeutung der Worte. Auch in den jeweiligen Branchen gibt es eine eigene Sprache. Doch Talente kommen von überall. Sie haben einen anderen Hintergrund, und das ist auch gut. Das gibt uns die Inspiration, die wir brauchen, um langfristig erfolgreich zu sein. Dazu müssen wir besonders am Anfang eine große Offenheit besitzen, die Talente zu verstehen und einen gemeinsamen Weg zu erarbeiten.

Recruiting als Puzzle

Am Ende gibt es nicht das eine Erfolgsrezept. Es ist die Vielfalt, potenzielle Talente zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu erreichen. Dazu gehören ein professionelles Auftreten, klare eigenen Überzeugungen, eine aktive Ansprache von Talenten, die Förderung von jungen Menschen und der Aufbau eines aktiven Netzwerkes. Und das ganze immer mit einem Mindset, dass es um Menschen und nicht um Rollen geht und wir einen gemeinsamen Weg gestalten wollen. Erst dann entwickeln sich langfristig Gestaltungsspielräume für eine bewusste Entwicklung der IT.

Make it special, make it unique, make it social.

Und darauf kommt es am Ende an. Die Präsenz am Markt als Unternehmen, das spannende und aktuelle Themen beackert, mit großartigen Kolleg:innen arbeitet und Leidenschaft fördert. Make it special, make it unique, make it social.

Recruiting ist erst der Anfang

Am Anfang entsteht Bindung durch Nähe und verstehen. Langfristig reicht das nicht. Hier muss gute Führung auch die Talent Retention fördern. Aber dazu müssen wir die richtigen Leute gewinnen, europaweit und weltweit. Sie kommen nicht mehr einfach so zu uns, also ran an die Menschen.