New Work Digitalisierung

Mindset vor Fähigkeit

Die Welt der Informationstechnologie wandelt sich schneller und schneller. Wie stellen sich IT-Verantwortliche von heute dieser Wandlungsgeschwindigkeit, den Anforderungen der neuen Arbeitswelt und behalten ihren IT-Zoo aufgeräumt? Andreas Plaul berichtet aus dem Alltag als CIO. Diesmal: „Mindset vor Fähigkeit“

Foto: Sydney Rae on Unsplash
Foto: Sydney Rae on Unsplash

Mindset und Fähigkeit

Die IT lebt von Menschen mit Expertise, die sich mit  Leidenschaft für ein Thema begeistern. Die Anforderungen an IT-Expert:innen sind hoch und vielfältig. In vielen Fällen  braucht es eine qualifizierte Ausbildung  oder  ein Studium, spezialisierte Berufserfahrungen  und Wissen über den richtigen Technologie-Stack, um  eine neue Rolle oder Stelle  ausfüllen zu können. Es braucht nachweisbare Fähigkeiten. Problem: Diese Fähigkeiten sind rar oder, besser gesagt, oft sind die Erwartungen unrealistisch. Und das beeinflusst den Einstellungsprozess und die Mitarbeiterentwicklung.

Viel zu häufig tritt das Mindset in den Hintergrund, aber die Personalauswahl allein nach Fähigkeiten schadet den Teams.

Wissen und Können allein werden es nicht richten. Worauf es ankommt, ist das Mindset. „Mindset“ ist schon als Wort in der deutschen Übersetzung schwer zu greifen, denn die wörtliche Übersetzung wäre Denkweise. Das greift aber zu kurz, besser scheint mir die aus dem Sport entliehene Übersetzung „Mentalität“. Mindset ist eine Frage der Einstellung, der Haltung und Heransgehenweise an die Herausforderungen des Alltags.

Mindset, so definiert, bestimmt die Dynamik im Team, die eigentliche Art zu arbeiten und wirkt damit direkt auf die Effektivität des Unternehmens. Das Mindset entscheidet darüber, wie man gemeinsam agiert und wie man  auf Anforderungen, Stress und Erfolg reagiert.

Natürlich ist Mindset nicht alles. Erfahrungen, Wissen und Können helfen, die richtigen Entscheidungen in einer Situation zu treffen, und schlussendlich müssen Aufgaben bewältigt werden. Und dennoch scheitern hochkompetente Teams immer wieder am fehlenden Mindset.

Just talent is overrated

In der IT arbeiten sehr viele unterschiedliche Menschen mit den verschiedensten Hintergründen. Einige Teams überzeugen mit operativer Exzellenz, einige mit einzigartigem Fachwissen und andere mit einem weiten Blick. Und alle Teams benötigen Fähigkeiten, um Probleme zu lösen. Damit entsteht der Eindruck, dass die Fähigkeiten einen kritischen Erfolgsfaktor darstellen.

Gleichzeitig musste ich erleben, dass hochkompetente Teams scheitern. Anforderungen werden nicht verstanden. Aufgaben werden nicht umgesetzt. In der Selbstorganisation werden Deadlines immer wieder gerissen, und Schuld haben immer die anderen. Ich durfte aber auch junge Teams erleben, die ohne viel Erfahrung, Struktur oder auch ohne Budget komplexe Probleme lösen, in die Organisation wirken und das Unternehmen verändern. Ich habe mich gefragt, was den Unterschied ausmacht zwischen einem guten und einem erfolgreichen Team.

In der IT ist der Arbeitsplatz der Mitarbeiter:innen einer der wichtigsten Handlungsfelder. Ein guter und funktionaler Arbeitsplatz ist für jede:n Mitarbeiter:in ein Erfolgsfaktor. Ich brauche Werkzeuge, mit denen ich effektiv und gerne meine Arbeit verrichten kann. Und dieses Werkzeug ist für viele Menschen eine sehr persönliche Angelegenheit. Der Computer ist eine Art Arbeitskollege, mit dem die meisten Mitarbeiter:innen den gesamten Tag verbringen. Da wird schon der Anruf im Service Desk oder die Auswahl der Tools eine besondere Sache.

Historisch hat der Service Desk in vielen Unternehmen einen schlechten Ruf. Die Prozesse seien langsam, die Kollegen unfreundlich und die Arbeitsplätze ineffektiv, lautet die gängige Kritik. Ich habe mir unseren  Service Desk genau angeschaut. Fachlich waren die Kollegen sehr stark. Und es gab gute Gründe, dass Prozesse Zeit brauchten und die Auswahl der Arbeitsmittel eingeschränkt war. Dennoch: Das Team war nicht erfolgreich und hatte mit seinem schlechten Ruf zu kämpfen.

Das sollte anders werden. Während der Restrukturierung haben wir uns genau angeschaut, wofür das Team steht und stehen will. Denn die  Kolleg:innen im Team waren frustriert. Die Kritik an ihrer Arbeit über die Jahre, die fehlende Kommunikation und nicht verstandene Anforderungen hatten das Mindset negativ beinflusst. In vielen Sessions haben wir herausgearbeitet, wofür die Kolleg:innen brennen. Was sie erreichen wollen: Den Mitarbeiter:innen den bestmöglichen Service zu liefern und dafür respektiert zu werden.

Das Mindset ist oft da, es muss allerdings kultiviert und gepflegt werden.

In den folgenden Wochen, Monaten und Jahren haben wir  gemeinsam den Wandel vollzogen. Schritt für Schritt wanderte unser Fokus von uns selbst auf die Kernfrage, wie wir  den IT-Arbeitsplatz als ganzheitliches Erlebnis für und mit den Mitarbeiter:innen gestalten wollen. Aus dem Help Desk wurde der Service Desk. Wir haben Arbeitsprozesse über eine IT-Service Management Plattform digitalisiert. Wir haben KPIs eingeführt, um die Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen zu messen.

Und wir haben ganz bewusst das Team entwickelt. Kolleg:innen konnten sich entfalten, erhielten Spielräume und Rückendeckung. Probleme wurden offen angesprochen, ohne Fingerpointing und Blaming. Neue Kolleg:innen wurden gezielt aufgrund ihrer Überzeugungen, ihres Mindsets ausgewählt.

Keine Fähigkeiten ohne Mindset

Ich habe nach und nach verstanden, dass Fähigkeiten allein nicht ausreichen. Die Fachlichkeit verbindet beim Handeln, das Mindset im Herzen. Heute heben neue Mitarbeiter:innen der Haufe Group immer wieder hervor, wie gut der Service arbeitet, wie schnell und problemlos sie Hilfe erhalten, wenn sie sie brauchen.Dabei verbindet alle im Service Desk die Überzeugung, dass ihre Haltung, die Mitarbeiter:innen ins Zentrum ihrees Denkens und Handelns zu stellen, richtig ist. Und das Team kämpft tagtäglich dafür. Selbst, wenn regulatorische Anforderungen oder spezielle Wünsche die Arbeit erschweren sollten,  setzen sich alle für Nutzerfreundlichkeit aus dem Blickwinkel der Mitarbeiter:innen ein.

Doch wie kultiviert man Mindset? Was braucht es, um Mindset nicht zu ersticken? Und wie entfaltet sich aus Mindset in einem Team eine Wirkung auf die Organisation? Mir sind vor allem folgende Punkte aufgefallen:

  • Mindset fängt im Bewerbungsprozess an. Der Arbeitsmarkt ist schwierig, und wir alle brauchen Expert:innen. Trotzdem muss im Fokus des Bewerbungsprozesses die Frage stehen, ob es eine gemeinsame Grundlage über die Fähigkeiten hinaus gibt, auf der man wirken und handeln kann
  • Mindset entfaltet sich durch Kommunikation. In jedem Team gibt es konträre Positionen, und das ist auch gut so. Existiert eine gemeinsame Grundlage, lassen sich Dissens und möglicher Frust überwinden und Lösungen finden.
  • Mindset ist der Driver, Fähigkeiten sind bloßes Werkzeug. Wenn das Mindset auf einen gemeinsamen Purpose hinwirkt, finden sich Wege, bestehende Fähigkeiten so einzusetzen, dass man sein Ziel erreicht
  • Mindset entwickelt sich über die Zeit, aber nur sehr langsam und aufwendig. Heransgehensweisen, die gestern richtig waren, können morgen schon wieder überholt sein. Die gemeinsame Reise im Team muss, trotz aller täglichen Aufgaben und Projekte, bewusst Platz lassen, das Mindset zu entwickeln, Fragen zu stellen und Überholtes hinter sich zu lassen.
  • Fähigkeiten kann man aufbauen, im Verhältnis schneller als Mindset. Hierzu bedarf es fachlicher Schulungen, Anleitung und Übung. Und Mitarbeiter:innen sind dankbar, eine Chance zu erhalten, sich fachlich weiterzuentwickeln. Gleichzeitig ist es ungemein schwieriger, bestehende Mindsets aufzulösen, die nicht zum Team und zum Unternehmen passen, und stellen daher notwendigerweise die Passung einer Person zum Team fundamental in Frage.

Mix im Team ist wichtig

Trotz aller Lobeshymnen auf ein gemeinsames Mindset will ich eines klarstellen: Es geht nicht um eine umfängliche Gleichheit des Mindset. Natürlich befruchtet die Vielfalt ein effektives Team. Jeder hat einen Koffer an Erfahrungen dabei und trägt mit der eigenen Art zum Erfolg bei. Allerdings müssen die Mindsets kompatibel sein. Es muss klar sein, dass alle gemeinsam den Weg zum Erfolg gehen.

Eine Vielfalt an Mindsets schützt durch Kompatibilität vor der Armut der Gleichheit.

Auf einer gemeinsamen Grundlage entwickelt sich diese Vielfalt dann zu einer Kultur vom Individuum über das Team hin zum Unternehmen. Verbindend wirken die gleichen Werte und Ziele. Und damit kommt es gar nicht mehr so sehr auf das „Wie“ der Frameworks und fachlichen Herangehensweisen an, sondern auf das „Warum“ der gemeinsamen Überzeugungen. Die Klarheit in Sachen „Warum“ schützt vor Beliebigkeit und auch vor dem Fehler, alle Wünsche erfüllen zu wollen. Damit erfolgen Entscheidungen so direkt wie möglich, und das gemeinsame Mindset hilft uns, dies gut zu machen.

Mindset ist nachhaltig

Auch in den aktuellen Sustainability-Diskussionen sehe ich einen Fokus auf die Kultivierung des Mindset. Technologien und Know-how kommen und gehen. Unternehmen entwickeln sich weiter. Was gestern noch Cutting Edge ist, gilt morgen als falsch. Wir alle haben jeden Tag die Chance, uns in ein neues fachliches Thema hineinzuarbeiten und zu lernen. Und dazu braucht es das richtige Mindset.