Innovation Digitalisierung

Digitalisierung, jetzt! Die Krise als Lernboost für Organisationen

Analyse Digitalisierung, Homeoffice, remote Work – in der Corona-Krise ist plötzlich möglich, was Unternehmen jahrelang verschlafen haben. Ist etwas wirklich dringend oder gar überlebensnotwendig, macht uns das veränderungs- und lernbereit. Was heißt das für organisationale Entwicklung?

Lernen: Die Stühle sollten nicht leer bleiben. Photo by Kovah on Unsplash
Lernen: Die Stühle sollten nicht leer bleiben. Photo by Kovah on Unsplash

Wenn es wirklich drängt

„Na also, es geht doch!“, scheint uns die Krise aus vielen Unternehmen zuzurufen. Schauen wir auf den Stand der Digitalisierung und wie er sich seit Ausbruch der Pandemie verändert, liegt ein Rückschluss nahe: Wenn uns jemand Feuer macht oder wir für etwas brennen, passiert tatsächlich etwas. Fürs Lernen brauchen wir diesen „Sense of Urgency“.

Lernverweigerer Deutschland ist aufgewacht

Das belegen zwei globale BCG-Studien auf frappierende Weise: Ende 2019 hatte die Unternehmensberatung zusammen mit „The Network“, einem weltweiten Zusammenschluss von mehr als 50 führenden Recruiting-Websites, eine Befragung von 366.000 Menschen in 197 Ländern durchgeführt. Durchschnittlich glauben demnach 61 Prozent der Befragten, dass ihre derzeitigen Arbeitsplätze stark von Megatrends wie der Digitalisierung und Globalisierung betroffen sein werden. Deutschland liegt sogar leicht über diesem Mittelwert, doch wenn es um eine Höherqualifizierung (Upskilling) oder Umqualifizierung (Reskilling) geht, fallen die Ergebnisse in den Keller: Nur 38 Prozent der hierzulande Befragten verbrachten einige Wochen oder mehr pro Jahr mit der Entwicklung ihrer Fähigkeiten. Deutschland war in dieser Hinsicht weltweit das Schlusslicht!

Es braucht offensichtlich eine hohe Dringlichkeit, um den Willen zu Lernen in Gang zu bringen.

Doch nun ist die digitale Transformation mit der Corona-Pandemie alltäglich geworden: Gemäß einer neuen BCG-Umfrage sind sowohl Manager als auch Mitarbeitende der Meinung, dass die digitale Transformation während der COVID-19-Krise einen Schub bekommen hat. Dies entfacht einen neuen Enthusiasmus für den Wandel: 86 Prozent der Manager und 76 Prozent der Mitarbeiter gaben an, sich an der Transformation beteiligen zu wollen. Fest steht: Virtuelle Zusammenarbeit klappt nun, einige Monate nach Beginn des Lockdown nicht nur besser, es sind auch viel mehr Menschen und Unternehmen dazu in der Lage.

Krisenmodus als Verstärker fürs Lernen?

Was ist von dieser neuerlichen Begeisterung für Digitalisierung zu halten? Es braucht offensichtlich eine hohe Dringlichkeit, um den Willen zu Lernen in Gang zu bringen. Die Möglichkeit, bei der Arbeit parallel ein Auge auf die Kinder werfen zu können, der Wunsch, den intensiven Austausch mit Kollegen über MS Teams nicht zu verpassen, das gute Gefühl, endlich Webinare souveräner zu moderieren – auf die Motive, die einen „Sense of Urgency“ auslösen, kommt es nicht an. Viele Menschen waren in der Krise intrinsisch motiviert und haben sich bewegt – sei es „von weg“ oder „hin zu“.

In einem Umfeld des fröhlichen Weiter so, in dem von oben bestimmt wird, was andere lernen sollen, ist es um die Lernmotivation der Beschäftigten oft nicht sehr gut bestellt.

Vor Corona beschränkte sich die Kompetenzentwicklung für die Digitalisierung stark auf digitale Fachkompetenzen, etwa die Fähigkeit, Daten zu analysieren oder User-Interfaces zu designen. Keine Frage, derartige Fähigkeiten sind wichtig. Digitalisierung ist mehr als analoge Prozesse digital zu übersetzen. Unternehmen müssen visionäre und kreative Ideen mit Datenanalysen verbinden. Data Scientist sollten Daten nicht nur lesen können, sondern auch die Freiheit haben, bisherige Vorgehensweisen zu hinterfragen. Genauso wichtig sind also Fähigkeiten, die mit neuen Arbeitsformen zu tun haben und Kollaboration, Übernahme von Verantwortung und agile Methoden betreffen. Außerdem braucht es persönliche Skills wie Resilienz, Kreativität oder Umgang mit Widerständen. Und last but not least müssen viele Beschäftige in einer sich wandelnden Organisation schlicht Lernen lernen.

Lernen lernen

Das hat etwas mit der angesprochenen Veränderungsbereitschaft zu tun. Um Unternehmen neu auszurichten, müssen diese festlegen, welche Kompetenzen für sie künftig relevant sind – Stichwort strategische Personalplanung. Doch zu wenige HR-Abteilungen widmen sich dem Thema konsequent. In einem Umfeld des fröhlichen Weiter so, in dem von oben bestimmt wird, was andere lernen sollen, ist es um die Lernmotivation der Beschäftigten oft nicht sehr gut bestellt. Nicht alle Mitarbeitenden sind überzeugt, dass Weiterbildung sie weiterbringt, nicht alle suchen freiwillig Herausforderungen jenseits der eigenen Komfortzone.

Wenn Menschen etwas nicht wirklich lernen wollen, werden sie den Lernstoff schnell wieder vergessen, weil sie ihn nur theoretisch erlebt, aber nicht aktiv praktiziert haben.

Beim Neuen Lernen haben wir bisher viel über 70-20-10 geredet. Menschen lernen beim Tun, indem sie Dinge ausprobieren. Dafür müssen Organisationen Situationen schaffen, in denen Mitarbeitende tatsächlich ins Doing kommen. Allerdings fehlen dabei noch zwei wichtige Dimensionen: das Dürfen und das Wollen.

Der Wille zur persönlichen Entwicklung

Die traurige Realität sieht oft so aus: Mitarbeitende lernen etwas, weil sie müssen. Führungskräfte gehen nun mal regelmäßig zu ihren Leadership-Trainings. Sie sollten zum Beispiel gut delegieren können und werden deshalb zum entsprechenden Seminar geschickt. Sicher wird dabei auch etwas hängen bleiben – schließlich wird sich kaum jemand die Blöße geben, nicht mitzumachen, wenn Kollegen oder Peers in der Lerngruppe mit dabei sind. Manche schmücken sich auch gerne mit dem abschließenden Zertifikat. Doch wenn Menschen etwas nicht wirklich lernen wollen, werden sie den Lernstoff schnell wieder vergessen, weil sie ihn nur theoretisch erlebt, aber nicht aktiv praktiziert haben. Das Lernen bleibt verlorene Liebesmüh.

Mehr Nachdruck beim Lernen!

Es braucht für das Wollen also etwas mehr Nachdruck. Den Kuschelkurs beim Lernen könnten Unternehmen durch eine neue Vorgehensweise ersetzen: Transparenz schaffen, welche Fähigkeiten relevant sind – für die Organisation einerseits und für Einzelne andererseits. Wer in eine neue Rolle oder Aufgabe hineinwachsen möchte, wünscht sich Klarheit und wagt die Selbstreflexion. Es braucht dafür den kritischen Blick in den Spiegel – auf Stärken, die man schon mitbringt, und Potentialfelder, in denen man persönlich, fachlich, methodisch noch besser werden möchte. Da diese proaktive Selbstverantwortung nicht auf alle zutrifft, hilft Beschäftigten, die sich selbst in hoher Kompetenz wähnen, ein zusätzlicher Augenöffner: einen Anstoß von außen, der klarmacht, dass die Organisation heutige Tätigkeiten (so) nicht mehr braucht. Wird aus der gefühlten Kompetenz eine wahrgenommene Inkompetenz, verstärkt dies den Wunsch, die eigene Entwicklung aktiv anzugehen.

Viele Menschen haben die Dringlichkeit der Veränderung erkannt. Möchten wir künftig etwas Ähnliches erreichen, um Organisationen weiter zu entwickeln, braucht es das richtige Timing.

Wie kann das gehen? Es gibt Development Center, um den Beschäftigten ihren Status quo bezüglich unternehmensrelevanter Kompetenzen transparent zu machen. Stimmen die Ergebnisse nicht mit den Kompetenzen überein, die sie für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens – und damit die eigene Beschäftigungsfähigkeit – beherrschen sollten, erzeugt dies einen deutlichen Handlungsdruck bei den Betroffenen – vor allem, wenn das Lernen mit den eigenen Karrierezielen verknüpft ist.

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Erst wenn wir die Dringlichkeit spüren, fangen wir an zu lernen – und das Gelernte auch umzusetzen. 

Lernen muss doch möglich sein

Wenn Beschäftigte durch eine solche Standortbestimmung erkennen, dass sie Entwicklungsbedarf haben, müssen Unternehmen direkt mitziehen: mit entsprechenden Lernangeboten und Optionen, die fehlenden Kompetenzen in experimentierfreudigen Settings in der täglichen Arbeit selbst zu erwerben, zu üben und zu erleben. Bleibt dieses ad-hoc Angebot oder der entsprechende Freiheitsgrad aus, erzeugen Organisationen nur Frust bei den Mitarbeitenden. Die oben erwähnte BCG-Untersuchung aus diesem Jahr zeigt: Wenn Menschen Veränderung wollen, ist plötzlich eine ganz neue Erwartungshaltung da. Denn laut den Befragten hapert es in Sachen Digitalisierung an der Aus- und Weiterbildung und insbesondere auch an neuen Wegen, wie Beschäftigte erworbene Fähigkeiten in ihre tägliche Arbeit einbinden können. Das betrifft vor allem Mitarbeitende: Während 89 Prozent der Manager erklärten, an Projekten zur Transformation beteiligt zu sein, sind es unter den Angestellten nur 65 Prozent.

Enablement für die digitale Transformation

Laut der Haufe-Studie „Wir nach Corona“ sind 54 Prozent der Unternehmen schlagkräftig oder hoffnungsvoll bezüglich ihrer wirtschaftlichen Zukunft. Viele möchten in die Digitalisierung und ihre eigenen Mitarbeitenden investieren. Dies sollten sie auf kluge Weise tun: Trainings für IT- und Software-Kenntnisse oder reines KÖNNEN werden nicht reichen. Zukunftsgerichtetes organisationales Lernen geschieht mit einer anderen Haltung: Damit Innovationen und digitale Geschäftsmodelle möglich werden, braucht es vor allem kluge Führungskräfte, die Mitarbeiter dazu ermutigen, neue Aufgaben anzunehmen oder ihre neuen Kompetenzen anwenden zu WOLLEN. Diese Führungskräfte geben Macht ab, fördern Eigenverantwortung und schaffen so den Raum, in dem die Beschäftigten Fähigkeiten auch anwenden DÜRFEN. Einzelne bauen damit ihre Beschäftigungsfähigkeit wirklich aus, nehmen Lernen positiv wahr und greifen sich bald wieder eine neue Lernchance.

Es braucht für das Wollen also etwas mehr Nachdruck. Den Kuschelkurs beim Lernen könnten Unternehmen durch eine neue Vorgehensweise ersetzen: Transparenz schaffen, welche Fähigkeiten relevant sind.

In der Krise hat es funktioniert: Viele Menschen haben die Dringlichkeit der Veränderung erkannt. Möchten wir künftig etwas Ähnliches erreichen, um Organisationen weiter zu entwickeln, braucht es das richtige Timing: Der unternehmerische „Sense of Urgency“ muss mit dem der Mitarbeitenden direkt in Verbindung stehen. Das kann mit vorausschauenden Führungskräften und anderen Personalverantwortlichen gelingen. Nur wenn Organisationen die intrinsische Motivation der Menschen nutzen, sich zu entwickeln und zu verändern, und sie entsprechende Entwicklungschancen schaffen, sind sie auch künftig wandlungs- und wettbewerbsfähig. Bleiben wir hoffnungsvoll!