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Irgendwas muss man ja machen? Anmerkungen zum Sinn der Arbeit

Kommentar Was macht den Sinn der Arbeit aus? Geld allein ist es nicht, meint Michael Andrick. Wir müssten Erfolg breiter und anders als üblich definieren, schreibt der Philosoph.

Was gibt unserer Arbeit Sinn? Foto Pixabay
Was gibt unserer Arbeit Sinn? Foto Pixabay

Karriere als Zufallsprodukt

Viele von uns werden auf die Frage, warum wir gerade diese Arbeit tun, ehrlich antworten, dass wir sie gar nicht eigentlich ausgewählt haben. Wir sind da eher so hineingeraten – „Geld verdienen musst du ja“. Und so glitten wir vielleicht aus einem Praktikum in eine Anstellung hinüber, zufällig eben in einer Softwarebude und nicht in einer Softeisfabrik.

Das ist nicht überraschend. Jeder normal Begabte kann in der modernen Wirtschaft beinahe jeden Beruf ergreifen. Das liegt im Wesen der Karriere, die eben eine Laufbahn ist: Sie muss prinzipiell von jedem abgelaufen werden können. Denn ein kapitalistischer Unternehmer oder die Dienstherren der Verwaltung müssen ja stetig andere Menschen auf diesen Laufbahnen für sich arbeiten lassen; das „Humankapital“ ermüdet, kündigt oder geht in Rente.  

Entscheidend sind für Unternehmen und Verwaltungen die Positionen, mit denen sie die nötigen Funktionen abdecken. Die Stelleninhaber sollen einander bruchlos ablösen können. Die Arbeitsstellen sind deshalb so gestaltet, dass möglichst viele sie antreten können. Das wird zunehmend und zu Recht auch mit Antidiskriminierung, dem Wunsch nach Vielfalt und dem Inklusionsgedanken begründet; es ist aber auch eine Systemnotwendigkeit des industriellen Betriebs.

Anpassung oder Untergang?

Kein Wunder also, dass Zufall, Glück und Beziehungen eine so große Rolle dabei spielen, wer welchen Arbeitsplatz schließlich besetzt: Stellen sind unpersönlich und daher höchst andockfähig für sehr unterschiedliche Personen. Deswegen ist es für uns möglich, ja nicht einmal unwahrscheinlich, unseren Lebensunterhalt mit irgendetwas zu verdienen, das mit uns als Person wenig bis nichts zu tun hat.

Dass es auch oft so kommt, dafür sorgt die Arbeitsgesellschaft; ja sie verordnet es uns regelrecht unter zarter Andeutung harter Strafen. Schon unsere Sprache lehrt uns von Kindesbeinen an, dass nichts weniger als unser Lebensunterhalt – unser Überleben also – am Arbeitengehen, am Ablaufen einer Bahn, der Laufbahn (Karriere), hängt. „Wer sich in seiner Lebensführung den Bedingungen kapitalistischen Erfolgs nicht anpasst, geht unter oder kommt nicht hoch“ (Max Weber).

Ich wurde nach meinem Philosophiestudium zuerst Mitarbeiter im Post-Merger Büro zweier Versicherungen. Wieso gerade das? Nun, ich hatte ein gutes Angebot für ein Traineeprogramm erhalten, wollte das mit einer Zigarre feiern und geriet dabei in einen Streit über Politik mit einem arriviert aussehenden Herrn. Der stellte sich als Vorstand einer Versicherung heraus, die gerade ein Integrationsprojekt begann. Der Rest war dann wohliger Dampf und Sympathie, begleitet von einer damals kaum gerechtfertigten Kompetenzvermutung zu meinen Gunsten.

Die allgemeine Beliebigkeit der Berufswege bedeutet einerseits Freiheit und ist andererseits für unser Lebensglück problematisch.
Michael Andrick

So ging es also für mich auf die Laufbahn; auf irgendeine jedenfalls. Und ich war sehr froh darüber, fühlte mich tief beruhigt, geradezu erlöst von der qualvollen Unsicherheit der Jobsuche. Scheinbar konnte der Philosoph sich doch in die normale Arbeitswelt einklinken.

Die große Frage nach dem Sinn

So oder so ähnlich könnte es bei Ihnen auch gelaufen sein. Die allgemeine Beliebigkeit der Berufswege bedeutet einerseits Freiheit und ist andererseits für unser Lebensglück problematisch. Zufriedenheit stellt sich eben nicht schon dadurch ein, dass wir irgendetwas tun, wofür man uns Geld gibt. Zufriedenheit muss ich auf meinem Lebensweg finden, und der ist nicht identisch mit meiner Karriere in der Arbeitswelt.

Und damit sind wir bei der Frage angelangt, die Philosophen immer zuerst gestellt wird, und auf die deshalb auch der erste Teil dieser kleinen Artikelserie zusteuert: bei der Frage nach dem Sinn, in diesem Fall nach dem Sinn der Arbeit.

Mit dem Sinn der Arbeit beschäftigt sich Michael Andrick in seinem neuen Buch.
Mit dem Sinn der Arbeit beschäftigt sich Michael Andrick in seinem neuen Buch.

Ich verweigere eine Antwort auf diese Frage, denn sie ist etwas irreführend. Einen Sinn der Arbeit gibt es nicht für sich allein. Welchen Sinn welche Art von Arbeit in unserem Leben haben kann wird erst erkennbar, wenn wir wissen, welchen Sinn wir in unser Leben insgesamt legen möchten.

Auch wenn wir daran gewöhnt wurden, von „work/life-balance“ zu sprechen, so als seien „Arbeit“ und „Leben“ Begriffe auf Augenhöhe, auf derselben Abstraktionsstufe, so ist dies doch falsch. Arbeit ist ein Teil des Lebens, „Leben“ ist der Oberbegriff all unserer Erfahrung, zu der neben vielem anderen auch die Arbeit gehört. „Arbeit/Leben-Gleichgewicht“ ist ein ebenso sinnvoller Begriff wie „Tisch/Möbel-Gleichgewicht“ oder „Brot/Backwaren-Balance“.

Einen Sinn der Arbeit gibt es nicht für sich allein. Welchen Sinn welche Art von Arbeit in unserem Leben haben kann, wird erst erkennbar, wenn wir wissen, welchen Sinn wir in unser Leben insgesamt legen möchten.

Der Sinn der Arbeit in unserem Leben ergibt sich aus den Wertvorstellungen, nach denen wir unser Leben führen wollen. Sie zeigen unseren Maßstab des Erfolgs, und in dessen Licht werden wir dann die für uns richtige, sinnvolle Arbeit suchen.

Erfolgsleere

Wie sind unsere Arbeitswelten entstanden – und wie funktionieren sie? Warum fasziniert, fesselt und verdummt uns der Ehrgeiz? Warum sollten wir uns gegen die Durchformung unseres Daseins durch die Karriere wehren? Und wie ermöglicht es das Philosophieren, sich eine eigene Lebensweise zu bewahren?

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Geld allein ergibt keinen Sinn

Unsere persönlichen Wertvorstellungen können der konsumistischen Formel aus jenem berühmten Werbespot entsprechen – „Mein Haus, mein Boot, mein Pferd“ usw. Folgt man dieser Standardlinie einer „Mehr-ist-besser“- und „Geiz-ist-geil“-Mentalität, so hat das allerdings eine wichtige philosophische Konsequenz.

Wer ernsthaft sagt „Ich arbeite nur für Geld“, der sagt in Wahrheit „Ich lebe nur, um zu essen, zu trinken und zu wohnen“.

Denn ein solcher Materialist sagt eigentlich nur: „Ich arbeite für Geld, sonst für gar nichts.“ Schließlich ist Geld, in Marx‘ schönem Ausdruck, die „gemeinsame Wertform“ aller Waren; Geld kann gegen Häuser, Boote und Pferde getauscht werden und die Träume des Materialisten so erfüllen.

Ich lehne diese Mentalität ab, ihre Vorstellung von Erfolg ist armselig sinnarm. Ihre Opfer achten auf ihr Äußeres statt auf ihr Inneres und sind dementsprechend unergiebig im Gespräch. Denn wer ernsthaft sagt „Ich arbeite nur für Geld“, der sagt in Wahrheit „Ich lebe nur, um zu essen, zu trinken und zu wohnen“ (wenn auch vielleicht im Haus und auf dem Boot und im Fünfsterneressort). Wollen wir im Leben zufrieden sein und am Sinn unserer Arbeit nicht verzweifeln, so brauchen wir eine reichere Vorstellung davon, was Erfolg ist. Darum geht es im nächsten Artikel in der nächsten Woche.