Innovation

„Ich bin ja seriös, ich daddel hier doch nicht“

Interview Gamification kommt in der Arbeitswelt an. Viele Unternehmen gingen das Thema aber grundsätzlich falsch an, sagt Roman Rackwitz. Mit dem Gamification-Pionier haben wir darüber gesprochen, wie es besser geht und welches Menschenbild dem zugrunde liegt.

Foto: Francesco Ungaro, Pexels
Foto: Francesco Ungaro, Pexels

Roman, dem Arzt und Schriftsteller Oliver Wendell Holmes Sr. wird folgendes Zitat zugeschrieben: „Menschen hören nicht auf zu spielen, weil sie alt werden, sondern sie werden alt, weil sie aufhören zu spielen.“ Wieso hören wir damit auf und können wir etwas dagegen tun? 

Ich bin der Meinung, wir hören auf zu spielen, weil es uns aberzogen wird. Spielen bedeutet, sich gleiten lassen und immersiv in eine Umgebung eintauchen. Wenn wir uns anschauen, wie unsere Jobs, Studium und Schule funktionieren stellen wir fest, dass diese Aktivitäten genau konträr dazu designed sind. Es geht da eben nicht darum, dass man immersiv irgendwo hineingeht und schaut, wie Lösungen aussehen könnten. 

Ein Spiel ist der freiwillige Versuch, Hindernisse zu überwinden. Und wir versuchen die ganze Zeit, Hindernisse aus unserem Alltag herauszudesignen. Wir wollen alles vorhersagbar und effizient machen – das ist das Gegenteil von Spielen. 

Du sprichst von immersivem Erleben – was hat das mit dem Buzzword „Flow“ zu tun? 

Der Flow ist natürlich der Idealzustand. Doch schon, wenn man drei, vier, fünf Prozent näher an den Flow kommt, hat man ein spielerischeres Erlebnis als den Alltag. Bei Spiel, Sport, Hobby geht es immer darum, eine Herausforderung zu lösen. Das Leben dort sollte nicht zu leicht sein, sonst wird es langweilig. Ist es zu schwer, bist du frustriert. Der Flow ist die perfekte Balance zwischen der Herausforderung und den eigenen Fähigkeiten. Das lässt sich auch neurochemisch beobachten: Je herausfordernder eine Aufgabe ist, je mehr Informationen fließen, desto mehr Neurotransmitter fließen. Und die Neurotransmitter sind nicht nur die Botenstoffe für die Informationen, sondern gleichzeitig unsere körpereigene Droge, die Emotionen hervorruft. 

Roman Rackwitz: „Wir lernen nicht um des Lernens willen. Sondern immer, um etwas zu erreichen, das uns wichtig ist.“ Foto: Roman Rackwitz
Roman Rackwitz: „Wir lernen nicht um des Lernens willen. Sondern immer, um etwas zu erreichen, das uns wichtig ist.“ Foto: Roman Rackwitz

Wenn du also in einer Situation bist, in der dein Gehirn alle Kapazitäten benötigt, verlierst du das Gefühl für Zeit und Raum. Dann bist du in der Immersion drin. Solche Situationen kennst du, wenn du sagst „Woah, das war eine geile Stunde“ und auf die Uhr schaust – und es waren vier. 

Die Faszination am Spiel besteht auch darin, dass wir die ganze Zeit scheitern. 

Dann ist Gamification ja wie gemacht für den Lernkontext. Worauf sollte man dabei achten? 

Zwei Dinge. Das erste ist: Es bringt nichts, den Lernkontext nur spannender zu gestalten. Wir brauchen immer erst den Trigger, wieso es sinnvoll ist, etwas bestimmtes zu lernen. Das berühmteste Beispiel ist das Compliance-Training. Ich kann das maximal schön gestalten, aber das ist nur die halbe Miete. Wenn die Lernenden nicht das Gefühl haben, dass der Stoff für sie wichtig ist, ist ihnen egal, wie spannend das gestaltet ist. Ich muss vorher einen Trigger schaffen, damit die Mitarbeiter:innen sagen „Das brauche ich, um überleben zu können“. Bevor man anfängt, den Content zu gestalten, muss man einen Kontext schaffen, in dem es sinnvoll ist, diese bestimmte Sache zu lernen. 

Der zweite Aspekt: Wir lernen nicht um des Lernens willen. Sondern immer, um etwas zu erreichen, das uns wichtig ist. Wir wollen erkennen, dass es unsere Zeit wert war, sich mit etwas auseinanderzusetzen. Wenn die Lernhäppchen dann aber so leicht sind, dass man das Gefühl hat, ein vierjähriges Kind könnte das, banalisiert das alles. 

Viele starten bei Gamification schon mit der falschen Fragestellung, nämlich: Wie schaffe ich es, etwas so effizient wie möglich zu gestalten und dass die Lernenden trotzdem noch Bock darauf haben ? Das schließt sich aber völlig aus.  

Effizienz bedeutet: Man weiß schon vorher, was passieren wird und wie man es lösen kann – genau das wollen wir im Spiel nicht haben. 

Gamification bedeutet für mich, die Journey für die Lernenden zu gestalten. Über verschiedene Herausforderungen und Levels können wir die Lernenden so leiten, dass sie merken, dass sie über die Zeit besser werden. Auch wenn wir einen Lerninhalt ansonsten an einem Tag vermitteln könnten und so eine Woche brauchen. Das wollen die Firmen aber meist nicht hören. 

Gerade im beruflichen Umfeld gibt es ohnehin immer wieder Vorbehalte gegenüber „Spielerei“. Arbeit sei schließlich Arbeit und kein Spaß – wie kann man damit umgehen? 

Das ist erstmal ein kulturelles Ding. Stell dir vor, ein Unternehmen führt plötzlich ein Spiel ein, aber aus Sicht der Mitarbeitenden ist das Unternehmen überhaupt nicht spielerisch unterwegs. Und der Chef ist der unkreativste und unlustigste Typ überhaupt. Dann denken sie nicht, dass es gut ist, das Spiel zu spielen. Manche Unternehmen sollten die Finger davon lassen. 

Gamification im Unternehmen erfüllt immer einen Zweck, es ist also nicht genau das Gleiche wie ein Spiel. Man muss Gamification von Serious Games und Game Based Learning unterscheiden: Wenn Lernende wissen, dass sie in einem Spiel sind, können sie hier lernen und Lösungen entwickeln – es ist aber nicht immer gesagt, dass sie dazu bereit sind, das gelernte in der Realität anzuwenden. Viel spannender finde ich deswegen die eigentliche Gamification: Wir nehmen das, was Spiele attraktiv macht, und verändern damit die realen Prozesse. Also nicht das, was man auf dem Bildschirm sieht, sondern die psychologischen Mechaniken dahinter. Das sieht dann für die User gar nicht unbedingt nach einem Spiel aus. Es kommt also niemand in die Verlegenheit, sich sagen zu müssen „ich bin ja seriös, ich daddel hier doch nicht.“ 

Roman Rackwitz

Roman Rackwitz ist einer der Pioniere für Gamification in Deutschland. Er ist Gründer der ersten etablierten Gamificationagentur im deutschsprachigen Raum, Engaginglab GmbH. Nach dem Ansatz der „Growth Gamification“ überträgt er Erfolgsfaktoren für persönlich empfundenen Fortschritt aus Spiel, Sport und Hobby auf die Arbeitswelt.

Mehr über Roman Rackwitz

Die Grundidee hinter Gamification ist für mich, die Realität für den Menschen besser zu gestalten. Das Produktivitätspotenzial steckt nicht darin, dass die Leute sagen „So, jetzt habe ich gespielt, und nun zurück an die Arbeit“, sondern dass sie sagen „Irgendwie ist der Job intuitiver geworden.“ Dazu gehört die Grundüberzeugung, dass der Mensch eher ein Homo ludens als ein Homo oeconomicus ist. Unsere Organisationsstrukturen sind jedoch oft dem rationalen Menschen nachempfunden. Im Spiel will der Mensch doch die ganze Zeit gefordert werden – und wir glauben, im Job möchte er es möglichst einfach haben. Da muss man schon überlegen, warum das so ist. 

Wir spielen alle freiwillig, deswegen denke ich, das entspricht eher unserer Natur. 

Hat selbstgesteuertes Lernen auf Learning Experience Plattformen im Sinne der Gamification einen Vorteil gegenüber dem klassischen formalen Lernen? 

Es geht auf jeden Fall in die richtige Richtung. Die Relevanz für die Lernenden ist viel größer, wenn sie selbst entscheiden, was sie lernen. Sie suchen dann selbst nach einem Trigger und fragen sich, wo sie nicht weiterkommen oder wo sie jemandem hätten helfen können. Oft sind diese Trigger aber sehr unterschwellig, und die Menschen bekommen gar nicht richtig mit, was sie lernen müssten. Als Gamification-Architekt:in kann man diese Trigger aber aufbereiten, damit den Menschen bewusst wird, welche Möglichkeiten sie haben. Eine gamifizierte Plattform muss die Menschen also mit der Nase auf ihre Möglichkeiten stoßen – im Lernkontext sind das meist Vorschläge für Lerninhalte oder ganze Entwicklungspfade. 

Wenn man es richtig gut machen will, muss nach dem Trigger und dem attraktiven Content als drittes Element noch der Impact kommen. Das heißt, man muss zum Beispiel drei Wochen später erkennen, dass die Lernenden ein bestimmtes Problem gelöst haben, weil sie dies und das gelernt haben. 

Ist es dann für den Praxistransfer wichtig, das Belohnungssystem im Moment der Anwendung zu triggern? 

Das ist etwas kompliziert. Die intrinsische Motivation kommt immer in der Aktivität. Also im Lernen, nicht im Resultat. Wir reden oft von Dopamin als Belohnungsstoff. Es ist ein totaler Mythos, dass Dopamin ausgestoßen wird, wenn man eine Belohnung bekommt – da passiert gar nichts im Kopf. Dopamin wird ausgeschüttet in Vorfreude auf das wahrscheinliche Bestehen einer Herausforderung. Und es kommt noch ein anderer Effekt zum Tragen: Der Mensch handelt immer emotional. Wir versuchen das dann rückwirkend zu bestätigen indem wir einen rationalen Grund dafür finden, wieso wir etwas gemacht haben. 

Wie sieht es dann aus, wenn ein Lernspiel zum Beispiel sagt „sammele noch drei Münzen und du kommst ins nächste Level“ – wird hier eine intrinsische oder extrinsische Motivation getriggert? 

Wenn du es so formulierst ist es extrinsisch: Mach was und du kriegst was. Diese ganzen Punkteprogramme sind nicht Gamification sondern Belohnungsprogramme. Das ist nichts anderes als Bestechung. Im Spiel selbst sind Münzen und Badges nie der Grund, weshalb man etwas macht, sondern nur ein Feedback. Spieler:innen wollen in der Story weiterkommen, nicht Punkte bekommen. Die eigentliche Belohnung im Spiel ist der Fortschritt zur nächsten Herausforderung.

Was ist eine Learning Experience Plattform (LXP)?
Eine Learning Experience Plattform (LXP) wie zum Beispiel Haufe Learning Experience ist eine Software, die personalisierte Lernerlebnisse schafft. Lernende greifen damit selbständig auf Lerninhalte zu. Die Lernmaterialen werden in verschiedenen Formaten angeboten und können aus unterschiedlichen Quellen in die LXP eingespeist werden.
Weitere Infos zu Haufe Learning Experience

 

Für mich bedeutet spielen nicht gewinnen, sondern besser werden. Und besser werden heißt nicht, dass man irgendwo ankommt und gewinnt, sondern man geht besser raus, als man hineingegangen ist. Oder man ist auf der Jagd nach dem „besseren Ich“. Es ist viel motivierender, einen Fortschritt im Vergleich zu sich selbst festzustellen, als immer zu gewinnen. Wenn wir das Gefühl haben, wir werden besser in etwas, ist es unsere Zeit wert, denn es hilft uns beim Überleben.

Wenn man aber einmal anfängt zu kommunizieren, dass es Punkte und Leaderboards gibt, hat man ein intrinsisches System „extrinsiviert“. Das kommt aus der Zeit der Industrialisierung, in der unsere Organisationsformen und Managementstrukturen ja erst entstanden sind. In diesem Umfeld ging es nicht um den Menschen, sondern um den maximalen maschinellen Output. 

Wenn Menschen repetitive Aufgaben erfüllen sollen, ergeben extrinsische Belohnungssysteme Sinn. Im Wissens- und Kreativzeitalter funktioniert das nicht mehr. Wir nutzen aber häufig immer noch die Motivationsformen, die für das Industriezeitalter geeignet waren.