Change Management Digitalisierung

Digitalisierung kann man nicht kaufen – nur machen

Spätestens im letzten halben Jahr ist vielen Unternehmen die Erkenntnis gekommen: An Digitalisierung führt kein Weg vorbei. Doch leider ist es mit der Einführung von neuer Software und der Schulung der Beschäftigten nicht getan.

Foto: Joshua Sortino, Unsplah
Foto: Joshua Sortino, Unsplah

Digitalisierung als Chefsache? Eher selten

Ein Forschungsbericht der FOM-Hochschule Köln-Essen und der Universität Duisburg-Essen hat untersucht, inwiefern DAX-Vorstände für das Thema Digitalisierung zuständig sind oder über Digitalexpertise in ihrem Führungsgremium verfügen. Das Ergebnis: Nur in der Hälfte der Unternehmen ist Digitalisierung Chefsache. Der mangelnde Sachverstand im Top-Management erklärt, warum Digitalisierung insgesamt immer mehr zur Worthülse mutiert. Es wird viel darüber geredet, an der Umsetzung hapert es jedoch.

Digitalhype mit wenig Substanz

Die Vorstellungen von Digitalisierung sind vielfältig. In zahlreichen Unternehmen erschöpft sich der Blick auf Software-Anwendungen, die Vorhandenes effizienter machen sollen. Den Grad der Digitalisierung messen diese Betriebe nur daran, inwiefern Kundenservice und Vertrieb Excel oder eine CRM-Software einsetzen.

Der mangelnde Sachverstand im Top-Management erklärt, warum Digitalisierung insgesamt immer mehr zur Worthülse mutiert. Es wird viel darüber geredet, an der Umsetzung hapert es jedoch.

Die Digitalgläubigkeit ist groß, aber Unternehmen gehen zu selten an die Prozesse ran. Dabei vergessen sie: Ein digitalisierter Prozess ist nicht allein der Digitalisierung wegen gut. Ein schlechter analoger Prozess digital übersetzt bringt keine Fortschritte. Optimierungsmöglichkeiten bleiben also auf der Strecke. Außerdem führt die Software-Fixierung oft zu der Annahme, man könne sich die Digitalisierung des Unternehmens mit neuen Software-Tools einfach einkaufen.

Um die Ecke denken

Inwiefern lässt sich das Konzept Digitalisierung also weiter fassen? Wenn wir uns die Digital Champions genau anschauen, erkennen wir: Sie erschließen ihre Geschäftsmodelle, Produkte oder Services komplett neu, experimentieren und denken dabei oft über ihre eigene Branche hinaus. Es gelingt ihnen anhand von Software oder Daten, Muster zu erkennen und daraus neue Plattformen, Produkte oder Services zu kreieren, die sie gewinnbringend skalieren können.

Der Hürdenlauf zum Digitalisierungsziel

Hat man erst einmal verstanden, dass wir freier denken, Schranken im Kopf niederreißen und Menschen ins Experimentieren bringen müssen, kann die Unternehmung Digitalisierung beginnen.

Wenn wir uns die Digital Champions genau anschauen, erkennen wir: Sie erschließen ihre Geschäftsmodelle, Produkte oder Services komplett neu und denken dabei oft über ihre eigene Branche hinaus.

Dafür gibt es allerdings ein paar Voraussetzungen:

  1. Führung: Nur mit einer klaren Vorstellung des Top-Managements, was Digitalisierung heißt, gelingt es, Köpfe zu öffnen. Diese muss die Lehmschicht derjenigen durchdringen, die Veränderung jeder Art immer ausbremsen, sich – ob absichtlich oder unabsichtlich – besonders begriffsstutzig anstellen oder diese schlicht aussitzen. Vom Top-Management, selbst absolut committet, müssen klare Signale ausgehen, was erwünscht ist und was nicht. Das heißt: Digitalisierung in der Unternehmensvision verankern, mit Nachdruck verfolgen und Ressourcen bereitstellen. Dazu Beschäftigte beteiligen und in die Pflicht nehmen, damit sie in die gewünschte Richtung handeln und beitragen. Gleichzeitig geht es ums Loslassen und darum, Dinge auch mal gegen die eigene Gewohnheit zu tun. Das ist schwierig, kostet Energie und kann auch mal kulturell ungemütlich werden.
  2. Impulse: Um über den Tellerrand hinaus zu denken und Phantasie zu entwickeln, sind Impulse und Anstöße vonnöten. Diese sollten sich Beschäftigte nicht nur im eigenen Unternehmen, sondern auch auf Tagungen und Events, durch externe Speaker und Peers, in Communities und im Web holen. Wenn in Teams Kenntnisse fehlen, können Experten von außen mit dazu kommen. Wer Neugier weckt, muss auch Chancen bieten, sie zu stillen. Oft stehen dabei zwei Dinge im Weg: die Angst, die eigenen Leute an die Konkurrenz zu verlieren, und die Haltung, „das haben wir doch noch nie gemacht und waren trotzdem erfolgreich“.
  3. Kulturarbeit: Die Menschen brauchen den Freiraum, neue Dinge auszuprobieren und dabei Fehler machen zu dürfen. Nur wenn es gelingt, den Funken in den Mitarbeitenden zu zünden, ihre Begeisterung zuzulassen und damit Macht nach unten oder an den richtigen Stellen zu verteilen, hat Digitalisierung eine Chance. Es geht nicht darum, für die Beschäftigten das Boot zu bauen, sondern die Sehnsucht nach dem Meer zu wecken. Der Weg führt weg von „wir machen alles gleich perfekt“ hin zu einem Minimum Viable Product (MVP): einem Produkt in Minimalfunktion, das sich durch Feedback immer noch weiter verbessert.
  4. Talentmanagement: Die Besten aus dem Bestandsgeschäft sind nicht unbedingt die Richtigen für die Zukunftsfähigkeit. Wer Leute nach dem Peter-Prinzip befördert und aus ihren bisherigen Jobs herausholt, weil sie diese doch gut machen, kommt oft nicht weiter. Es hilft auch nicht, bei Projektarbeit nach Nasenfaktor zu entscheiden. Erfolgsentscheidend ist es, die Talente zu identifizieren, die im Erproben von Neuem aufgehen und neues Business mutig treiben können. Wenn es die Leute im Unternehmen noch nicht gibt, müssen Unternehmen sie auch von außen rekrutieren.
  5. Kompetenzaufbau: Beschäftigte brauchen grundlegende Kenntnisse im Innovationsmanagement. Wie funktionieren beispielsweise Sprints? Was können wir vom Design Thinking lernen? Ohne die nötigen Kompetenzen zu vermitteln – und zwar nicht nur für technologienahe Funktionen und an digital-affine Mitarbeitende, wird es nicht gehen. Menschen mit Verständnis für Digitalisierung verstärken sich gegenseitig in Communities im Unternehmen und darüber hinaus. Letztlich gelingt der Kompetenzaufbau nur in einer lernenden Organisation, denn die nötigen Leute kann man sich nicht einfach nur am Markt einkaufen. Kontinuierlicher Kompetenzaufbau ist eine echte Anschubfinanzierung.
  6. Finanzielle Ausstattung: Das Budget muss nicht groß sein, aber ohne Finanzierung geht es nicht. Die Zielrichtung der Digitalisierung muss strategisch aufgehängt sein, sonst fällt das Thema bei nächster Gelegenheit unter den Tisch und wird dem Margen-Druck geopfert. Eine hohe und konsequente „Management Attention“ führt hingegen dazu, dass Beschäftigte das Thema ernst nehmen.

Nur mit einer klaren Vorstellung des Top-Managements, was Digitalisierung heißt, gelingt es, Köpfe zu öffnen.

Vom Leuchtturm zur Digitalisierungsbewegung

Das Ziel sollte klar sein: Vorhandenes optimieren und Neues schaffen, um den Mehrwert für die Kunden zu erhöhen. Das startet oft mit Leuchttürmen und einzelnen Teams, die sich Innovationen widmen. Diese dürfen aber keine Nische bleiben, sondern müssen zur (Massen-)Bewegung im Unternehmen werden, die sich selbst verstärkt.

Für die Skalierung von Digitalisierung braucht es drei Phasen:

  1. Klein anfangen: kleine, kontrollierte und geschützte Pilotprojekte, in denen Beschäftigte lernen
  2. Interesse und Enthusiasmus wecken: sowohl in der Geschäftsleitung als auch in der gesamten Belegschaft
  3. Digitalisierungsbewegung schaffen: Schnell und konsequent hochskalieren – indem andere Projekte davon lernen oder Unternehmen große Beträge in die neuen MVPs investieren

Letztlich sollten alle in der Organisation verstehen: Was als Programm beginnt, muss dann zur Haltung werden: Digitalisierung einfach machen!